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Berlin: Die Stars spüren den Mythos Berlin zuerst

Gesellschaftlich ist die Stadt weiter als politisch: Der besondere Geist der Stadt inspiriert ausländische Gäste auf Anhieb

In der Phaeton Lounge, die Hauptsponsor VW während der Berlinale betrieb, konnten selbst Kino-Allergiker in Ruhe einen Drink nehmen. Die Gefahr, nach den neuesten Filmen gefragt zu werden, war nicht allzu groß. Wie auf anderen Partys rings um die Berlinale versammelten sich auch hier manchmal Leute, die Will Smith nicht erkennen würden, wenn er ihnen in der Straßenbahn gegenüber säße. Für viele Nachteulen der letzten Tage bot die Berlinale einfach einen guten Anlass zu feiern. Das Leben. Die Stadt. Oder sich selbst.

Nicht nur das Festival selbst, auch die Galas ringsum sind ein Anziehungspunkt. Dustin Hoffman kam zur Verleihung der Goldenen Kamera extra noch mal zurück, obwohl er erst ein paar Tage zuvor in der Stadt war. Seit seiner spektakulären Antikriegsrede vor zwei Jahren ist er sowieso ein Stammgast. Sicher gibt es immer noch Zeitgenossen, die in Berlin die Stadt der Botschaftsluder sehen, aber das ist längst ausgestanden.

Die Berlinale zeigt von Jahr zu Jahr mehr, dass die Stadt gesellschaftlich schon viel weiter ist als auf der politischen Ebene, wo um die Finanzbedürfnisse der Hauptstadt immer noch gezankt wird. Und das ist keine Frage der reinen Star-Statistik. Aus allen Teilen des Landes kommen die Leute und machen mit bei der alten West-Berliner Pflanze Berlinale. „Halb München ist da“, jauchzte die Bayerin im knielangen Missoni-Mantel als die Wolfsburger VW-Leute ihre VIP-Lounge mit der People’s Nacht eröffneten. Alexandra von Rehlingen aus Hamburg und Andrea Schoeller aus München führten an dem Abend mit Regie. Zwei Tage später begrüßte die Münchnerin Alexa Agnelli im schicken rosa China-Kleid Gäste wie die Kölnerin Alice Schwarzer zur Dom-Perignon-Party im China Club. Berlin gilt als hip, und dieser Trend könnte sich noch verstärken. Die jungen Nachwuchs-Stars vom Talente Campus schwärmten bei den „Berlin Today Awards“ in der Kalkscheune von der Stadt, die sie inspiriert. Verliebt in Berlin, das ist hier die Devise.

Letztes Jahr war die Amerikanerin Grace Lee mit ihrem Werk über die Curry-Wurst in der Endausscheidung. Ihr Film ist in der Zwischenzeit auf zahlreichen Festivals gelaufen. Unter den Arrivierten in Hollywood hat es sich längst rumgesprochen, dass Berlin mehr zu bieten hat als Currywurst. Ein Besuch im Jüdischen Museum etwa ist für die meisten Stars ein Muss. Auch Tim Robbins und Susan Sarandon waren da. Mögen die Eingeborenen manchmal an ihrer Stadt auch verzweifeln und die Provinzpolitiker draußen im Lande in ihr in erster Linie eine gigantische Geldschluckerin sehen: Wer von weit herkommt, entdeckt vor allem das Funkeln.

Die Sumpfnasen aus Mauerzeiten haben endgültig ausgedient. Längst verlangt Berlin von seinen Protagonisten Star-Qualitäten,von Dieter Kosslick zum Beispiel, der sich mit allen Legenden des Filmgeschäfts immer so nett herzt auf dem roten Teppich. Wenn Filmgrößen wie Susan Sarandon, Roland Emmerich und Cathérine Deneuve vertraut mit dem Regierenden Bürgermeister die Köpfe zusammenstecken, geht es vermutlich nicht nur um die komplizierten Flugverbindungen in die Stadt. Peter Riva, der Enkel von Marlene Dietrich, hat Klaus Wowereit am Vorabend der Berlinale gefragt, warum er eigentlich der Welt nicht sage, was für eine großartige, durch und durch lebendige Stadt dies sei.

Ausländische Gäste sehen Berlin mit fremden Augen, schlagen einen Bogen zurück in die goldenen Zwanziger und erkennen eine Art Auferstehungsprozess. Berlin ist nicht so sehr eine Frage des Standorts als viel eher des „Spirits“. Die zu Mauerzeiten viel beschworene Seelenverwandtschaft mit Metropolen wie New York scheint immer erlebbarer zu werden, oft gelobt wird die Kreativität der Stadt.

„Es gibt einen erstaunlichen Geist in Berlin heute. Die Stadt hat sich verändert seit ich sie 1983 zum ersten Mal besucht habe, völlig verändert. Ein schöner Wandel. Ein echtes Zeugnis dafür, was passiert, wenn Freiheit über Unterdrückung triumphiert. Eine Bilderbuchansicht von den Vorzügen der Demokratie. Ein glorioses Zeugnis davon, was passieren kann, wenn Freiheit stattfindet“, schwärmte Tim Robbins. Der Schauspieler Kevin Spacey sprach enthusiastisch von den tollen Möglichkeiten in Babelsberg, wo man höchst glaubwürdig New York und Beverly Hills erstehen lassen kann.

Ob sie als cineastisch unbelastete Mitläufer der Berlinale nur die Nächte durchfeiern oder als Filmhelden auf dem roten Teppich selber gefeiert werden, eins haben die Berlin-Besucher der letzten Tage gemeinsam: Sie stricken mit an dem neuen Mythos Berlin, der in dieser Zeit geboren wird.

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