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Die britische Rockband „The Rolling Stones“ während ihres Konzertes in der Berliner Waldbühne am 15.09.1965. Auf der Bühne sind zahlreiche Polizisten, rechts Fans, die zur Bühne geströmt sind. Beim Konzert der Band kam es zu schweren Ausschreitungen zwischen Fans, Ordnern und der Polizei.

© dpa/Konrad Giehr

„Die Waldbühne glich einem Schlachtfeld“: Wie ein Berliner Konzert der Rolling Stones vor 60 Jahren in Verwüstung endete

Es ist der 15. September 1965, die „Stones“ spielen ein legendäres Konzert in der Berliner Waldbühne. Dann gerät die Lage außer Kontrolle. Die Ausschreitungen markieren einen Umbruch.

Von Julia Kilian

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Als die Rolling Stones in Berlin landen, eilt ihnen schon ein Ruf voraus. Mick Jagger trägt Sonnenbrille, als er mit seinen Bandkollegen am Flughafen Tegel ankommt. Die britischen Musiker sollen am 15. September 1965 in der Waldbühne spielen – ein Konzert, das in die Geschichte eingehen wird. Denn es kommt zu schweren Ausschreitungen.

Die Fernsehnachrichten sprechen von einem „Bild der Verwüstung“. „Die Waldbühne und Umgebung glichen einem Schlachtfeld“, heißt es in dem Beitrag, den man heute in der ARD-Mediathek nachschauen kann.

Kurz vorher haben die Briten ihr erstes Deutschlandkonzert in Münster gespielt, in Dublin hatten Fans die Bühne gestürmt. Es ist das Jahr, in dem die Stones mit „(I can't get no) Satisfaction“ die Charts stürmen und auch die Beatles gehypt werden. Auch im Nachkriegsdeutschland, wo lange der Schlager dominiert, ändert sich etwas.

Rund 20.000 Fans versammeln sich vor 60 Jahren in der Waldbühne. Einige hätten die Bühne gestürmt und die Stones ihr Konzert schließlich nach nur wenigen Liedern beendet, heißt es im Buch „Berlin. Stadt der Revolte“. Der Veranstalter dreht das Licht ab und die Lage gerät außer Kontrolle.

„Die so idyllisch gelegene Veranstaltungsstätte bot ein Bild der Verwüstung“, heißt es später im Fernsehen. „Nach dem Auftritt der Rolling Stones hatten Halbwüchsige systematisch und mit geradezu krankhafter Genugtuung Bänke zertrümmert, Zäune umgerissen, Zaunlatten zerbrochen, Laternen umgestürzt.“

Die Straßenreinigung, so heißt es in dem historischen TV-Beitrag, habe allein 25 Kubikmeter Papier beseitigen müssen. „Druckerzeugnisse, auf denen die Vorzüge der härtesten Band der Welt reißerisch gepriesen worden waren.“

„Mehr als Ausbruch jugendlicher Frustration“

Jugendliche hätten vor und nach dem Konzert den S-Bahnverkehr terrorisiert. 85 seien festgenommen und 87 Personen verletzt worden, darunter 26 Polizisten. Die Schadenssumme, hieß es damals, gehe in die Hunderttausende. Die Waldbühne wird erst Jahre später wieder instand gesetzt.

Die machen die Waldbühne kaputt?

Olaf Leitner spielte in der Vorband „Team Beats Berlin“

Ein Musiker, der damals in einer Vorband spielt, beobachtet die Zerstörung. Man habe sich erstmal kneifen müssen, erzählt Olaf Leitner von Team Beats Berlin in der rbb-Reihe „Berlin – Schicksalsjahre einer Stadt“. „Die machen die Waldbühne kaputt?“ Der Anblick sei auch faszinierend gewesen. Dann sei Thema geworden, dass sich etwas mit der Jugend ändere. „Man merkte es: Da bricht was an.“

Die Ausschreitungen gehören zu den Ereignissen, die aus Sicht mancher einen Umbruch markierten. „Die Schlacht um die Waldbühne war mehr als ein Ausbruch jugendlicher Frustration“, schreibt Sven Goldmann in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung.

Jugendliche Fans der „Stones“ sammeln am auf der Waldbühne in Berlin ihre Schuhe ein, die sie zuvor auf die Bühne geworfen hatten.

© dpa/Konrad Giehr

Im Rückblick stehe sie für einen frühen, symbolisch aufgeladenen Moment im sich zuspitzenden Konflikt zwischen einer autoritätsgläubigen Nachkriegsgesellschaft und einer nachwachsenden Generation, analysiert er. Die jüngere Generation habe ihren Ausdruck nicht nur in Musik und Kleidung gesucht, sondern zunehmend auch im Widerstand gegen politische Autoritäten und gesellschaftliche Normen.

„Das Eingehen eines Risikos“

Nach den Randalen gibt Innensenator Heinrich Albertz ein Fernsehinterview. Der SPD-Politiker trägt Krawatte, legt die Hände gefaltet in den Schoß und neigt den Kopf leicht. Ob es Erwägungen gegeben habe, die Veranstaltung aus Sicherheitsgründen zu verbieten? Denn es hätten ja „Erfahrungen“ aus dem In- und Ausland vorgelegen.

Ich sag’ ganz ehrlich: Ich habe mir das sehr überlegt, ob ich nicht einfach verbieten sollte.

Innensenator Heinrich Albertz (SPD) nach den Ausschreitungen in der Waldbühne

„Ja, also ich sag' ganz ehrlich: Ich habe mir das sehr überlegt, ob ich nicht einfach verbieten sollte“, sagt Albertz. „Wenn ich es dann nicht getan habe, dann war es also das Eingehen eines Risikos.“ Er habe geglaubt, es würde an der frischen Luft und mit ein bisschen Regen freundlicher vorbeigehen.

Nach den Verwüstungen war der Veranstaltungsort am Berliner Olympiastadion über Jahre hinweg nicht nutzbar.

© imago stock&people

Dem Regen, sagt der Moderator, habe man doch nachhelfen können – mit den aufgestellten Wasserwerfern. Sei die Polizei zu zurückhaltend gewesen? Er wolle sich bei der Bewertung zurückhalten, entgegnet Albertz. Es sei überhaupt eine Zumutung gewesen, Beamte für einen solchen Zweck einzusetzen. „Wir sind also für all solchen Quatsch zuständig.“ Auch in der DDR werden die Ausschreitungen im Berliner Westen thematisiert und inmitten des Kalten Kriegs für eigene Zwecke genutzt.

Die Stones werden zu einer der größten Bands der Geschichte und kehren noch ein paar Mal in die Waldbühne zurück. Zuletzt 2022. Gefeiert werden sie da immer noch. Die Waldbühne bleibt ganz.

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