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Uwe Schneider (1968-2020)

© privat

Nachruf auf Uwe Schneider (Geb. 1968): „Einfach nur mal schnupfen!“

Alles ging so leicht, easy peasy. Und die Drogen machten alles noch leichter. Der Nachruf auf einen, der die Kurve nicht gekriegt hat.

„Gestern gegen 21 Uhr 30 klingelte es an der Tür“, postete die Schwester auf Facebook. „Zwei Polizisten kamen die Treppe hoch. Ich ahnte Schlimmes. Und richtig. Mein Bruder Uwe war tot in seiner Berliner Wohnung aufgefunden worden. Ich bin unendlich traurig. Ich will, dass Ihr das wisst. Für den Fall, dass Ihr mich in den nächsten Tagen trefft und Euch wundert, warum ich so verheult aussehe. FUCK YOU DROGENDEALER DIESER ERDE. Fuck You!“

Uwes Leichnam wurde zunächst in die Gerichtsmedizin gebracht, dann zum Bestatter überstellt. „Bei dem Verdacht eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz wird in Berlin grundsätzlich obduziert“, belehrte der Kriminalbeamte die Schwester.

Sie kaufte eine schwarze Jeans, einen Hoodie, Strümpfe, ein T-Shirt und eine Unterhose für Uwe. Sie suchte die Musik für die Trauerfeier aus: Frank Sinatra „I did it my way“. Sein Lieblingslied. Sie kaufte ein Tuch aus Samt, drei Meter lang, royalblau. Blau war Uwes Lieblingsfarbe. Das Tuch würde sie über seinen Sarg ausbreiten. Und Teelichter daraufstellen, die flackernd seinen Namen buchstabieren. Aber zuvor wollte sie ihn noch einmal sehen. 

Uwe lag unter einem weißen Tuch auf einer Bahre aus Metall. Das Tuch wurde ein wenig zurückgeschlagen. Sie trat zu ihrem Bruder, streichelte seine Wange und seine Hand. Ließ das weiße Tuch ganz wegziehen.

Die Obduktionsnarbe zog sich vom Hals bis zum Unterleib. Sie wusch seine Haare, föhnte sie trocken, vorsichtig, denn sie begannen bereits auszufallen, wusch den Körper. Sie zog ihn an, half, ihn in den Sarg zu legen. Sie stellte das Foto seiner Einschulung auf den Sarg. Ihr kleiner Bruder: Ein hübscher blonder Lockenkopf, der fröhlich in die Zukunft blickt.

Papas Liebling

Als sie Teenager waren, fuhren sie mit den Eltern jeden Sommer nach Spanien ans Meer. Abends wollte die große Schwester in die Disco. Sie durfte nur ausgehen, wenn Uwe mitkam. Der kleine Bruder sollte sie beschützen. Das war anfangs nervig, wurde aber schnell sehr lustig, weil Uwe seinen Job ungeheuer ernst nahm und nicht von ihrer Seite weichen wollte.

Uwe war Papas Liebling. Aber Papas Liebe war die eines Tyrannen, der je nach Laune unmäßig verwöhnte oder strafte. Mutter und Tochter litten unter ihm, Uwe hingegen wurde immer alles leicht gemacht. Er war der Prinz, der Sonnenschein aller. Bei seiner Geburt waren noch alle in Sorge gewesen. Zwei Monate zu früh, kaum medizinische Mittel, um so ein Frühchen am Leben zu erhalten. Schwester Ziliana saß die Nacht über an seinem Bett, stupste ihn an, immer wieder, damit er beständig atmete. Sie rettete ihm das Leben. Von da an schien alles ganz einfach. Uwe ging seinen Weg, und alle mühten sich, ihm die Hindernisse beiseite zu räumen.

Er wollte den Deutschaufsatz nicht schreiben, also schrieb ihn der Vater. Mathematik hingegen mochte er, weil sie ihm so leichtfiel. Er tat immer nur, was ihm leichtfiel. „Ich will Spaß, ich will Spaß. Ich geb Gas, ich geb Gas!“

Liebe war so anstrengungslos

Abi wollte er nicht machen, aber gern schnelle Autos fahren. Lehrstellen für Kfz-Mechaniker waren damals begehrt. Also lobte der Vater 5000 D-Mark für denjenigen aus, der seinem Sohn einen Ausbildungsplatz verschaffte. Alles lief wie von selbst. Nur die Trennung der Eltern nicht. Die große Schwester floh früh aus dem Haus. Ihm blieb nur der Hund, an dem er sehr hing. Strolchi schlief immer am Kopfende. Eines Morgens wachte Uwe auf, und Strolchi war nicht da. „Wo ist Strolchi?“, fragte er erschrocken. „Ich habe ihn zum Tierarzt gebracht“, entgegnete der Vater. „Einschläfern. Wegen der Scheidung wissen wir ja nicht, wohin mit ihm.“

[Die Stillen und die Vergessenen von nebenan. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern erzählen wir von Menschen und Schicksalen aus Ihrem Kiez: leute.tagesspiegel.de]

Als er die Lehre beendet hatte, arbeitete Uwe eine Zeit lang bei dem Autohersteller Lada. Nebenbei verlegte er sich darauf, amerikanische Straßenkreuzer zu importieren und für den deutschen Markt umzurüsten. Das lief super. Prunkstück war ein Chevy in Pink. Bei den Mädels kam er damit gut an. Er war ja ein Hübscher. Prinz Charming. Liebe war so anstrengungslos. Easy peasy. 

Und die Drogen machten alles noch leichter. Pepsi, Uwes alter Schrauberfreund, erinnert sich noch genau, wann das angefangen hat mit dem Kiffen. Damals, als sie bei Lada arbeiteten. Anfangs kiffte Uwe nur am Wochenende. Aber bald wurde auch am Montag gekifft, dann am Mittwoch, und dann die ganze Woche. Drogen schenken große Träume. Einfacher Schrauber wollte Uwe nicht mehr bleiben, also begann er Fahrzeugbau zu studieren. Im Studium traf er einen Kollegen, der ihm Heroin anbot: „Einfach nur mal schnupfen!“

Uwe hatte es im Griff. „Ihr wisst gar nicht, wie toll Drogen sind!“ Die Party war endlos und er der König. Keiner konnte ihm was. „Schnupfen macht ja nicht abhängig.“ Nicht spritzen, nur schnupfen. Das wollte er seine Mutter und alle anderen glauben machen. „Ach Schwesterchen, is’ doch gar nix los. Ich schnupf das Zeug.“

Neue Anläufe

Die Mutter weinte drei Tage. Er fand sich toll. Endlich war da etwas, für das er lichterloh brannte. Uwe gab das Studium auf, trieb sich in Hamburg am Bahnhof herum. „Meine Welt ist das hier …“ In eine andere fand er nicht mehr. Er stürzte tiefer ab, als die Highs ihn je hätten heben können. Wenn es gut lief, kam er immer noch cool rüber. Muscle-Shirt, Cowboystiefel. Das Haar mit Gel nach hinten gestylt. Aber es lief nicht mehr allzu oft gut. Kein Job. Keine der vielen Freundinnen blieb. Der Vater hatte sich schon früh von ihm abgewandt, öffnete ihm nicht einmal mehr die Tür, so enttäuscht war er von seinem Prinzen, der zum Bettler geworden war.

Immer wieder nahm Uwe Anlauf, aber der Absprung gelang nicht mehr. Einmal hatte er den Entzug schon fast geschafft, die Entgiftung überstanden. Den Schwur getan, clean zu bleiben. Die große Schwester nahm ihn mit nach Berlin, er traf seinen Kumpel Pepsi wieder, sie fanden Arbeit in einer Hinterhofwerkstatt, schraubten gemeinsam wie damals bei Lada. Aber der Chef kam mit der Kohle nicht rüber. Pepsi fand einen neuen Job, Uwe nahm die Abkürzung und setzte sich die Frustspritze.

Er flog raus bei der Schwester, wohnte in Neukölln zur Untermiete und wurde wieder Vollzeit-Junkie. Die Freundin war schwanger, die Heizkostenabrechnung drohte, er log, was das Zeug hielt, um an Geld zu kommen. Die Schwester schickte ihm für den Winter warme Kleider, die Mutter Schuhe, er vertickte alles, kaum, da er es ausgepackt hatte. Knast wegen Schwarzfahren, Blutvergiftung wegen dreckiger Spritze, Krankenhaus zur Entgiftung, und alles wieder von vorn. Er lebte im Wohnmobil, das war nicht angemeldet, hatte seinen Husky dabei, Judy, sein Ein und Alles, ließ sie einmal aus Versehen Hühnerknochen fressen, zugedröhnt, dass sie fast an den Knochensplittern krepiert wäre. Bettelte um Geld für sich, für Judy und für die Drogen.

Eines Tages war Judy tot

Uwe ist 2006 mit Judy ins Wohnheim in der Liberdastraße gezogen. Eines Tages war Judy tot, vergiftet, wie Uwe behauptete. Tatsächlich war sie an Altersschwäche gestorben. Aber die Welt hatte sich nun mal gegen ihn verschworen. Da half nur der Suff, und, wenn er noch irgendwie rankam, das Heroin.

Ansonsten war da nicht mehr viel. Uwe hatte einige Exemplare von Grzimeks Tierleben in seinem Zimmer. Säugetiere, Fische, Fische und Lurche. Da las er manchmal drin.

Einige Wochen vor seinem Tod hat ihn seine große Schwester noch einmal besucht. Eine rote Couch stand im Zimmer. Überall lag Zeug herum. Er trug einen blauen, abgetragenen Mantel. Sie gingen in ein indisches Restaurant um die Ecke. „Du weißt, du kannst nach Lübeck kommen.“ – „Ja, das weiß ich. Wenn ich hier rausfliege, komme ich zu Dir.“

Beide wussten, dass dieser Tag nicht mehr kommen würde. Am Bahnsteig ermahnte er die große Schwester: „Immer schön in der Mitte gehen. Hier ist neulich einer vor die U-Bahn gestoßen worden, den kannte ich.“ Als sich die U-Bahn-Türen schlossen, warf er ihr noch einen Handkuss zu, als wollte er wieder einmal beteuern: „Schwesterchen, du kommst auch ohne mich klar. Komm, keine Tränen. Ist doch gar nix los.“

Als er gefunden wurde, lag er in seinem Zimmer, auf dem Boden. Laute Musik. Zwei Tage zuvor war sein Geburtstag gewesen. Seine Mutter hatte ihm ein wenig Geld überwiesen. Er hatte allein gefeiert. Exzess mit Ansage: „Ich knall mir einen. Und wenn’s vorbei ist, ist auch gut.“

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