zum Hauptinhalt
Joachim „Hamster“ Damm in seiner Wohnung in Prenzlauer Berg – wo auch sein berühmtes Krenz-Plakat hängt.

© Stefan Weger

„Großmutter, warum hast du so große Zähne?“: Er malte das berühmte Krenz-Plakat der Alexanderplatz-Demo

Als das Volk zurückbiss: Kein Plakat war bei der Großdemonstration am 4. November 1989 auffälliger als die Egon-Krenz-Karikatur von Joachim „Hamster“ Damm.

Joachim „Hamster“ Damm hatte es eigentlich schon geschafft: Im Spätsommer 1989, als immer mehr DDR-Bürger über Fluchtkorridore wie Prag oder Ungarn den Weg in den Westen suchten, saß er in Frankfurt am Main vor dem Fernseher eines Bekannten und guckte Nachrichten - aus dem Osten. Plötzlich ein Kameraschwenk, einmal in voller Breite quer über das vollzählig versammelte SED-Politbüro. „Wie Büsten sahen die aus, das war das totale Puppentheater“, erinnert sich Damm.

Katz und Maus mit der Staatssicherheit

Die Reaktion des damals 24-Jährigen, der im Rahmen einer Studienreise zum Thema „Dantons Tod“ für einige Wochen durch Frankreich reisen durfte und sich auf einer Art verlängerten Heimreise befand: „Ich muss unbedingt zurück. Wer das verpasst, ist selber Schuld.“

Was aus heutiger Sicht verrückt klingt, war aus der Perspektive des angehenden Bühnenbildners und Absolventen der Kunsthochschule Weißensee nur konsequent. Damm hatte Spaß gehabt an seiner DDR, spricht von einer „geilen Zeit, in der man nur machen musste“. Er war überzeugt: Das beste Kapitel dieser Geschichte von Revolution und Selbstauflösung lag noch vor ihm und der DDR. Er wollte daran mitwirken.

Das Mittel der Wahl: Damms kreativ-künstlerisches Potenzial, mit dem er Protest und Opposition so zu verpacken wusste, dass die rigiden Abwehrmechanismen des in Aufruhr versetzten Regimes quasi an ihm abperlten. „Katz und Maus gespielt“ hätten er und seine Freunde von der „Spaßfraktion“ in den späten 80er Jahren mit Staatssicherheit und Behörden.

In selbstgeschneiderten Fantasieuniformen aus der Zeit der Französischen Revolution, inklusive Reitstiefeln, sei er damals durch den Prenzlauer Berg gelaufen, dem er bis heute treu geblieben ist. „Sie haben mir nicht weh getan“, erinnert sich Damm an die Momente der Konfrontation mit der Staatsmacht in Form von Vernehmungen. „Verbissen“, wie die Anhänger des Neuen Forums oder der Umweltbibliothek, sei er nie gewesen, erklärt Damm.

Kreativer Protest gegen „Lieblingsfeind“ Egon Krenz

Sein Meisterstück gelang dem Studenten am 4. November 1989. Am Abend zuvor hatte es ein Treffen von Kunsthochschulstudenten gegeben. Rund 30 junge Menschen diskutierten, wie sie die für den nächsten Tag geplante Großdemonstration auf dem Alexanderplatz möglichst kreativ begleitet könnten. Damm bot sich eine Chance: Die Auseinandersetzung mit seinem „Lieblingsfeind“ Egon Krenz. „Der ist damals nach China gereist und hat seine Solidarität mit dem Vorgehen auf dem Tiananmen-Platz zum Ausdruck gebracht.“

[Mit unseren Leute-Newslettern informieren wir aktuell und hintergründig aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Mitten in der Nacht setzte Hamster Damm die ersten Striche auf ein von der NVA geklautes Bettlaken. „Es gab ja keine Leinwände“, sagt er heute, 30 Jahre später. So entsteht eine Karikatur des Honecker-Nachfolgers, der mit den Ohren eines Wolfes und gebleckten Zähnen unter einer Bettdecke hervorlugt. Frei nach dem Grimmschen Märchen „Rotkäppchen“ prangt darunter die Frage: „Großmutter, warum hast du so große Zähne?“

Eingekesselt von der Stasi

Dass die Botschaft funktioniert, merkt Damm tags darauf schon auf dem Weg zum Alex. „Es war ein extrem befreiendes Lachen der Leute, die haben meist nicht viel gesagt“, erinnert sich der Künstler. Auf einen Holzrahmen gespannt und unverhüllt trugen er und seine Begleiter das Plakat durch die Straßen.

Auf der Demonstration selbst machte das Werk schnell Karriere: Während Damm auf dem Alex zunächst von jungen Männern umringt worden war, vermeintlich zum Schutz von Zeichnung und Zeichner, befreiten ihn Mitdemonstranten schließlich aus dem Stasi-Kessel und geleiteten ihn vor die Bühne. Dort angekommen, unterbrach der spätere PDS-Chef Lothar Bisky im Angesicht des Plakats für Sekunden seine Rede. Der wölfische Krenz und sein humorvoll-aufrührerischer Urheber hatten zugebissen.

Zur Startseite