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Die Vision: So soll der Else Ury Campus nahe dem Bahnhof Grunewald aussehen.

© Simulation: promo / greeen! architects

Erinnerung an Judendeportationen in Berlin: Gedenk-Campus entsteht nahe dem Mahnmal „Gleis 17“ in Grunewald

In einem „Else Ury Campus“ soll dokumentiert und erforscht werden, wie das NS-Regime am Bahnhof Grunewald viele Juden in Konzentrationslager deportiert hatte.

Mehr als 50.000 Berliner Juden wurden in der Nazizeit vom Bahnhof Grunewald aus in Konzentrations- und Vernichtungslager gebracht und dann großenteils ermordet. Daran erinnert das Mahnmal „Gleis 17“. Etwa 300 Meter östlich davon plant die Moses Mendelssohn Stiftung einen studentischen Campus als „Dokumentationszentrum und Gedenkort“. Sie stellt das Projekt auf der neuen Webseite else-ury-campus.de vor. Es trägt den Namen der Kinderbuchautorin Else Ury, die 1943 wegen ihrer jüdischen Herkunft im KZ Auschwitz ermordet worden war.

Jetzt startet das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf ein Bebauungsplanverfahren. Der Tagesspiegel hatte bereits im Sommer 2020 exklusiv über das Vorhaben berichtet – und später noch einmal, als sich der Bauausschuss des Bezirks damit beschäftigte.

Studierende jüdischer und anderer Herkunft sollen möglichst ab dem Jahr 2026 in etwa 165 Wohnungen leben, die je 18 Quadratmeter messen. Dafür entstehen drei Neubauten mit je drei Etagen. Sie werden in einem Dreieck angeordnet, um an einen Davidstern zu erinnern.

Ein viertes Gebäude ist für eine Dauerausstellung über die Deportationen am Bahnhof Grunewald gedacht. Die Bundesregierung hat angekündigt, Fördermittel für dieses Dokumentationszentrum zu gewähren. Wie es aussehen wird, steht noch nicht fest. Die Stiftung will die Planung erst im Dezember ausschreiben.

In Anlehnung an die „Allee der Gerechten“ in Yad Vashem in Jerusalem ist auch ein „Hain der Menschlichkeit“ geplant, um Berlinerinnen und Berlinern zu gedenken, die verfolgten Juden geholfen hatten.

Ein weiteres Modellbild des geplanten Campus.
Ein weiteres Modellbild des geplanten Campus.

© Simulation: promo / greeen! architects

Hochschüler, die im Campus wohnen möchten, sollen an der Gedenkarbeit mitwirken. Das sagte am Dienstag die Chefkuratorin der Moses Mendelssohn Stiftung, Elke-Vera Kotowski. Sie stellte das Vorhaben gemeinsam mit Bezirksbaustadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne), dem Rabbiner Walter Homolka sowie dem Publizisten und Pädagogen Micha Brumlik vor. Zum einen gehe es um die ständige Betreuung der Ausstellung. Außerdem solle möglichst jeder Studierende das Schicksal einer deportierten Person erforschen.

[340.000 Leute, 1 Newsletter: Der Autor dieses Textes, Cay Dobberke, schreibt den Tagesspiegel-Newsletter für Charlottenburg-Wilmersdorf. Den gibt es hier: leute.tagesspiegel.de]

Für das bisherige Brachgelände habe es Wohnungsbauanträge privater Investoren gegeben, sagte Baustadtrat Schruoffeneger. Mit Rücksicht auf das Mahnmal „Gleis 17“ habe das Bezirksamt alle abgelehnt. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Gideon Joffe, sprach sich im vergangenen Frühjahr auch gegen den Campus aus. Wenn dort ein Wohnblock entstehe, „ginge viel von der Authenzität verloren“.

Anders sieht es der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. In einem Brief an die Stiftung lobt er die „zukunftsgerichtete Erinnerungskultur“ und die „innovative“ Campus-Idee.

Die frühere Zentralratsvorsitzende Charlotte Knobloch hat die Schirmherrschaft übernommen. Sie kenne das Mahnmal „Gleis 17“ von vielen Besuchen und habe sich oft eine „Kontextualisierung“ gewünscht, schreibt sie im Geleitwort einer Broschüre. Das Projekt stelle die „Perspektive der Verfolgten in den Vordergrund“, erinnere aber auch an Leute, die jüdischen Menschen trotz möglicher Sanktionen geholfen hatten, der Deportation zu entgehen. „Dieser Mut und diese tiefe Menschlichkeit dürfen niemals in Vergessenheit geraten.“

Das Bezirksamt wünscht sich zusätzlich ein jüdisches Kulturzentrum

Am kommenden Montag beginnt die Bürgerbeteiligung im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens. Das Bezirksamt will die Unterlagen auf seiner Webseite veröffentlichen und im Stadtplanungsamt auslegen. Das ganze Planungsverfahren werde wohl rund drei Jahre dauern, heißt es. Die Stiftung findet sich damit ab, obwohl sie den Campus lieber früher eröffnen würde. Die reine Bauzeit schätzt sie auf zwei Jahre – oder etwa ein Jahr, falls man Fertigbauteile verwende.

Stadtrat Schruoffeneger sieht im Else Ury Campus „kein singuläres Projekt“. Charlottenburg-Wilmersdorf brauche auch ein jüdisches Kulturzentrum. Darüber hat er beispielsweise mit den Eigentümern des Kranzler-Ecks verhandelt. Dort steht das einstige Bilka-Warenhaus und spätere Karstadt-Sportkaufhaus seit einiger Zeit leer. Noch sei aber fraglich, wie das Gebäude künftig genutzt werde, sagte Schruoffeneger dem Tagesspiegel.

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