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Der neue Berliner Senat unter Führung von Regierendem Bürgermeister Kai Wegner.

© AFP/ODD ANDERSEN

Fehlstart von Kai Wegner in Berlin: Der neue Senat ist schon in der Krise

Die Hauptstadt hat einen neuen Regierenden Bürgermeister. Aber der Start ist ein Desaster.

Ein Kommentar von Christian Tretbar

Was für ein desaströser Start für Kai Wegner. Er braucht drei Wahlgänge, um ins Amt zu kommen, und er schleppt so von Tag eins an eine schwere Hypothek des Misstrauens mit sich herum. Es ist natürlich legitim, in einer geheimen Wahl, in der Parlamentarier nur ihrem Gewissen folgen müssen, auch gegen die Fraktionslinie zu stimmen. Und doch ist es politisch katastrophal, was daraus folgt und was darin zum Ausdruck kommt.

Die SPD-Abgeordneten zeigen, wie wenig verlässlich die SPD in der Hauptstadt mittlerweile ist. Die, die mit Nein gestimmt haben, ignorieren ein demokratisch legitimiertes Abstimmungsverfahren in der Partei. Es ist ihnen schlicht egal, was die Partei, für die sie im Parlament sitzen, will.

Es zeigt aber auch, wie groß der Führungsverfall bei den Sozialdemokraten ist. Franziska Giffey, die noch SPD-Vorsitzende in der Hauptstadt ist, hat offensichtlich kein Gewicht mehr. Und auch ihr Co- und Fraktionschef Raed Saleh büßt an Reputation und Einfluss ein. Sie haben den Laden nicht mehr im Griff.

Wut, Ärger und Enttäuschung über Wegner sind in der CDU groß

Doch die Schuld allein bei Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten zu suchen, wäre viel zu einfach. Denn die missratene Wahl zeigt auch, dass die Hauptstadt-CDU zu alter Tradition zurückgefunden hat. Die CDU Berlin war stets für Intrigen, Fehden und Machtspiele berühmt-berüchtigt. In den letzten Monaten schien das Kapitel weitgehend abgeschlossen.

Kai Wegner während der Abstimmung im Gespräch mit SPD-Fraktionschef Raed Saleh.
Kai Wegner während der Abstimmung im Gespräch mit SPD-Fraktionschef Raed Saleh.

© AFP/TOBIAS SCHWARZ

Aber jetzt haben sich einige der alten fragwürdigen Tugenden offenbar besonnen. Warum? Weil sie a) unzufrieden mit dem Koalitionsvertrag sind; b) die Besetzung der CDU-Senatsposten nicht gutheißen, sich ausgeschlossen fühlen; und c) schon immer unzufrieden mit Kai Wegner waren. In der knappen Wahl Wegners kommt viel Enttäuschung, Wut und Ärger aus den eigenen Reihen zum Ausdruck. Das kann für Wegner noch gefährlicher werden in Zukunft als die wankelmütige SPD.

Dass sich die AfD nun auch noch rühmt, den Regierenden Bürgermeister der Hauptstadt ins Amt gehievt zu haben, macht die Sache für Kai Wegner zusätzlich zur Belastung. Dabei ist es egal, ob die AfD-Stimmen ausschlaggebend waren oder ob allein die Ankündigung der AfD, Wegner zur Mehrheit zu verhelfen, die Koalition diszipliniert hat. Das ist mehr als nur peinlich.

Für die Hauptstadt ist dieses Wahl-Debakel ein weiterer Tiefschlag nach Monaten des Chaos, mit einer vergeigten Wahl 2021, einer zerstrittenen rot-grün-roten Koalition und einer Wiederholungswahl, die vor allem eines gezeigt hat: wie gespalten die Hauptstadt gut 30 Jahre nach dem Mauerfall wieder ist.

Der neue Senat muss das Chaos schnell hinter sich lassen

Berlin hat zwar nun eine neue Regierung. Doch die ersten politischen Verletzungen sind da. Und man hat das Gefühl, dass die Stadt dort feststeckt, wo sie sich offenbar auch am wohlsten fühlt: in der politischen Anarchie. Seit Jahren wird Berlin für organisierte Unzuständigkeiten, fehlende Funktionsfähigkeit und schlicht politische Unfähigkeit wahlweise belächelt, verachtet oder bemitleidet. Einen weiteren Beleg dafür bietet dieser Wahltag.

Der neue Senat muss jetzt schleunigst zeigen, dass er dieses Chaos hinter sich lassen kann. Nur wird die Aufgabe für Wegner nicht leichter. Er muss eine kritische SPD weiter bezirzen und darf nicht wieder den Fehler machen, wie in den Koalitionsverhandlungen, die eigenen Leute dabei aus dem Blick zu verlieren. Er tritt an, um die Stadt zu vereinen. Doch jetzt muss man schon zufrieden sein, wenn er seine eigene Regierung beisammenhält.

Eine Liebesheirat ist Schwarz-Rot in Berlin definitiv nicht. Das dürfte nach diesem Wahltag jeder verstanden haben. Muss es aber auch nicht sein. Denn die Hauptstadt braucht vor allem endlich eine handlungsfähige Regierung. Denn die Aufgaben sind immens: Die Wohnungskrise treibt viele Menschen in der Hauptstadt um; den Schulen fehlen Lehrkräfte, viele Schulgebäude sind marode, und es mangelt vielerorts an Schulplätzen; die Verwaltung muss reformiert werden, um Blockaden endlich aufzulösen; der Kulturkampf um die Mobilität in der Hauptstadt muss beendet werden; die Klimaziele in der Stadt müssen realistisch umgesetzt werden. Die Liste ließe sich weiter fortsetzen.

Und es zeigt nur eines: Die Hauptstadt kann sich nicht noch einmal drei Jahre politischen Streit, Missgunst und womöglich Stillstand leisten. Die Berlinerinnen und Berliner haben etwas anderes verdient: nämlich eine funktionierende Stadt und Fortschritt. Aber Tag eins der schwarz-roten Koalition lässt leider eher befürchten, dass sich Streit, Misstrauen und politische Schuldzuweisungen weiter fortsetzen. Es wäre ein politisches Armutszeugnis der Hauptstadt. Ein weiteres.

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