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Angst vor Abschiebung. Polizisten haben das Gebiet rund um die Unterkunft in der Gürtelstraße abgesperrt. Flüchtlinge protestieren dort gegen ihre Behandlung in Berlin.

© Björn Kietzmann

Update

Hostel in Berlin-Friedrichshain: Flüchtlinge fordern Verhandlungen

Die Polizei führt seit dem Morgen weitere Gespräche mit den neun Flüchtlingen in dem Hostel in Berlin-Friedrichshain. Sie haben am Mittwoch teils mit Suizid gedroht. Die Flüchtlinge fordern Essen und Trinken - und Verhandlungen mit unterschiedlichen Behörden.

Die Nacht auf Donnerstag verlief ruhig am Hostel in der Gürtelstraße. Ein Polizeisprecher sagte dem Tagesspiegel, er gehe davon aus, dass immer noch neun Flüchtlinge in dem Gebäude sind. Die Polizei sei auch am Donnerstagvormittag mit den Flüchtlingen im Gespräch und versuche weiter, sie dazu zu bewegen, das Haus zu verlassen. In einer Mitteilung forderten die Flüchtlinge Zugang zu Essen, Trinken und Medikamenten. Außerdem heißt es: "Wir fordern Vertreter der Sozialverwaltung, der Integrationsbeauftragen, der Ausländerbehörde, und die Senatorin Kolat zu Verhandlungen auf." Dazu benötigten sie auch Kontakt zu ihren Anwälten.

Ihr Ziel sei, dass ihre Asylverfahren erneut geprüft und aus den anderen Bundesländern nach Berlin überstellt würden - wie es ihnen in der Vereinbarung vom Oranienplatz aus dem Frühjahr zugesichert worden sei. Für die Zeit einer erneuten Prüfung forderten die Flüchtlinge außerdem eine Grundversorgung, eine Unterkunft und eine Krankenversorgung.

Am Mittwochnachmittag hatte sich die Situation auf dem Dach der Flüchtlingsunterkunft in der Gürtelstraße in Friedrichshain weiter verschärft. In den Stunden zuvor hatten sich wiederholt einzelne der im Gebäude verbliebenen Flüchtlinge auf dem Dach gezeigt – nun drohte einer von ihnen offen, in den Tod zu springen. "Wenn die Polizei uns vom Dach holen will, springen wir", sagte er. Der 30-jährige Mohammed S. aus dem Niger bekräftigte am Telefon, er wolle sich auf keinen Fall festnehmen lassen.

Polizei führt Gespräche mit den Protestierenden

Derweil ist die Polizei weiter um Deeskalation bemüht. "Seit dem Vormittag wird wieder mit der Gruppe der Flüchtlinge im Haus gesprochen, um eine friedliche Lösung herbeizuführen", sagte ein Polizeisprecher. "Wir sind im Gebäude und versuchen, das Vertrauen der Flüchtlinge zu gewinnen. Wir setzen darauf, dass sie freiwillig herunterkommen."

Schon am Dienstagabend hatte die Polizei über Twitter mitgeteilt, dass den Flüchtlingen kein Ultimatum zum Verlassen des Gebäudes gestellt worden sei. Allem Anschein nach läuft die Situation – wie schon Anfang Juli an der Gerhart-Hauptmann-Schule – auf einen längeren Einsatz der Polizei hinaus. Am Mittwochabend waren noch etwa 80 Beamte in der Gürtelstraße im Einsatz, am Tag zuvor waren es 200 gewesen.

Zwei Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs

Am Dienstagvormittag sollten die Flüchtlinge auf Anweisung des Landesamts für Gesundheit und Soziales (Lageso) das Hostel verlassen, in dem sie die vergangenen Monate verbracht hatten. Die meisten von ihnen kamen der Aufforderung nach. Zehn Flüchtlinge aber verbarrikadierten sich in einem Zimmer mit Zugang zum Dach und weigerten sich, das Gebäude zu verlassen.

Heimatlos. Flüchtlinge auf dem Dach ihrer ehemaligen Unterkunft in der Gürtelstraße.
Heimatlos. Flüchtlinge auf dem Dach ihrer ehemaligen Unterkunft in der Gürtelstraße.

© Christian Mang

Die Polizei sperrte daraufhin die Gürtelstraße für den Verkehr und umstellte das Gebäude. Zwei weiteren Flüchtlingen hatte der Betreiber des Hostels gestattet, die Nacht in dem Gebäude zu verbringen – als sie aber am Mittwochmorgen doch nicht gehen wollten, stellte er Anzeige wegen Hausfriedensbruchs. Die Flüchtlinge wurden von der Polizei abgeführt.

Wasser und Strom, aber keine Nahrung

Nach Auskunft der Polizei gab einer der Flüchtlinge in der Nacht zu Mittwoch auf und verließ das Haus – zurück blieben neun, die allem Anschein nach weiter durchhalten wollen. Sie verfügen in dem Zimmer, in dem sie sich aufhalten, über Wasser und Strom, allerdings twitterten die Grünen am späten Abend, beides sei inzwischen abgestellt worden sein. Laut Polizei wird niemand mehr zu den Protestierenden durchgelassen, der die Flüchtlinge zum Beispiel mit Nahrung versorgen könnte. "Eine Versorgung findet nicht statt", sagte ein Polizeisprecher.

Auch die Flüchtlingsanwältin Beatrice Böhlo wurde nicht zu den Verbarrikadierten durchgelassen. Der Sprecher sagte dazu: "Wenn die Flüchtlinge mit einer Anwältin sprechen wollen, können sie ja vom Dach runterkommen."

Unterstützer mobilisieren - mit überschaubarem Erfolg

Schon am Dienstagnachmittag hatte eine Gruppe von etwa 50 Unterstützern vor dem Hostel für das Bleiberecht der Flüchtlinge demonstriert. Die Stimmung war aufgeheizt, es kam vereinzelt zu Handgreiflichkeiten. Im Anschluss meldeten die Unterstützer eine Dauerkundgebung in der Gürtelstraße an – etwa 15 harrten auf Isomatten und Schlafsäcken die ganze Nacht über vor dem Haus aus.

Den ganzen Mittwoch über wurde in den sozialen Netzwerken weiter mobilisiert, um mehr Aktivisten auf die Straße zu bringen – aber erst gegen 15.30 Uhr am Mittwochnachmittag traf eine größere Gruppe von etwa 40 Personen vor dem Gebäude ein. Sie veranstalteten eine spontane Solidaritätskundgebung, durch eine Lautsprecheranlage waren sie auch auf dem Dach zu verstehen. Auch Telefongespräche mit den Menschen auf dem Dach wurden über die Anlage zu den Unterstützern übertragen.

Während der Protest in der Gürtelstraße friedlich blieb, gab es zur gleichen Zeit ein paar Kilometer weiter auf dem Oranienplatz Probleme. Hier hielten sich am Mittwochnachmittag etwa 75 Personen auf, um für die Forderungen der Flüchtlinge zu protestieren – dabei gab es laut Polizei mindestens acht Festnahmen.

Lageso: In anderen Unterkünften blieb es ruhig

Der Konflikt hatte sich am Montag entfacht, als das Lageso 108 Flüchtlingen mitgeteilt hatte, dass die Prüfung ihres Asylbegehrens in Berlin abgeschlossen sei – und zwar mit negativem Ausgang. Die Betroffenen wurden aufgefordert, in jene Bundesländer oder Staaten zurückzureisen, in denen sie offiziell als Flüchtlinge registriert sind und wo anhängige Asylverfahren laufen.

Ein Flüchtling verlässt mit wenigen persönlichen Sachen das ehemalige Hostel in der Gürtelstraße, da auch sein Asylantrag abgelehnt wurde.
Ein Flüchtling verlässt mit wenigen persönlichen Sachen das ehemalige Hostel in der Gürtelstraße, da auch sein Asylantrag abgelehnt wurde.

© dpa

Dennoch verzichtete die Lageso darauf, am Mittwoch einen Vertreter in die Gürtelstraße zu schicken. "Das ist Sache der Polizei, es geht ja um die Durchsetzung des Hausrechts der Betreiber des Hostels", sagte eine Sprecherin. "In den anderen Unterkünften am Askanischen Ring, in der Haarlemer Straße und am Marienfelder Damm haben sich alle Flüchtlinge abgemeldet, die dazu aufgefordert wurden."

Angebot für Rückreise wird kaum angenommen

Das Lageso hält für die überwiegend mittellosen Flüchtlinge seit Dienstag das Angebot bereit, für ihre Rückreise aufzukommen – allerdings stieß die Behörde damit nicht auf Begeisterung: Nach Auskunft der Sprecherin wurden das Angebot bis Mittwochnachmittag nur in vier Fällen in Anspruch genommen. Mancher der Flüchtlinge geht wohl lieber in Berlin in die Illegalität.

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