zum Hauptinhalt
Brandenburgs Wissenschaftsministerin Martina Münch (rechts). In der ersten Reihe die Gewinner des Franz-Bobzien-Preises 2018.

© Matthias Schlegel

Franz-Bobzien-Preis: Lagerschicksale – dem Vergessen entrissen

Auf Spurensuche: Ein Projekt des Landesjugendrings Brandenburg über KZ-Außenstellen erhält in Oranienburg den Franz-Bobzien-Preis 2018.

Von Matthias Schlegel

Vielerorts ist Gras darüber gewachsen. Im übertragenen und im wörtlichen Sinne. Welches Leid Gefangene in der NS-Diktatur als Zwangsarbeiter in den mehr als 1000 Außenlagern der KZ erdulden mussten, ist bis heute wenig erforscht. Und in der Öffentlichkeit wenig bekannt. Die baulichen Hinterlassenschaften der einstigen Lager hat sich die Natur zurückgeholt oder sie sind längst überbaut und ihres historischen Hintergrunds beraubt worden. Die Reste der Erinnerungen drohen mit dem Ableben der letzten Zeitzeugen für immer verloren zu gehen.

Der Landesjugendring Brandenburg initiierte in enger Kooperation mit der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie eine breit angelegte Spurensuche. Im Rahmen des Pilotprojekts „überLAGERt“ erforschten fünf Jugendgruppen die KZ-Außenstellen in Grüneberg, Königs Wusterhausen, Bad Belzig, Lieberose/Jamlitz und Schwarzheide. Sie erkundeten die einstigen Lagergelände, sprachen mit ehemaligen Inhaftierten, interviewten ortsansässige Zeitzeugen, recherchierten in den Archiven.

So gestalteten zum Beispiel zehn Schüler des Max-Steenbeck-Gymnasiums in Cottbus eine Ausstellung über das Außenlager Lieberose/Jamlitz. Sie gingen dabei vor allem auf das Schicksal des jüdischen Häftlings Jakob Richter ein, der die Lagerhaft überlebt hatte. Richter, der heute in Chicago lebt, war eigens aus den USA angereist, um den Jugendlichen Auskunft über den Lageralltag zu geben.

Vertreter von Schülergruppen aus Cottbus und Grüneberg nahmen den Franz-Bobzien-Preis 2018 für den Landesjugendring Brandenburg entgegen.
Vertreter von Schülergruppen aus Cottbus und Grüneberg nahmen den Franz-Bobzien-Preis 2018 für den Landesjugendring Brandenburg entgegen.

© Matthias Schlegel

In Oranienburg wurden die fünf Gruppen und der Landesjugendring nun am Sonntag für ihre Arbeit, mit der sie die einstigen Orte des Schreckens dem Vergessen zu entreißen versuchen, von der brandenburgischen Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Martina Münch (SPD) mit dem Franz-Bobzien-Preis ausgezeichnet. Zum fünften Mal hatten die Stadt Oranienburg gemeinsam mit der dort ansässigen Gedenkstätte und dem Museum Sachsenhausen diesen Preis ausgeschrieben.

Er würdigt Initiativen in Berlin und Brandenburg, die für Toleranz und Demokratie stehen, gegen Fremdenfeindlichkeit gerichtet sind und sich der Aufarbeitung des NS-Regimes widmen. Die Preisverleihung fand anlässlich des 73. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen an dem historischen Ort statt.

Für die Nazis "asozial", später erneut Außenseiterin

Ministerin Münch betonte in ihrer Laudatio, das Projekt des Landesjugendringes zeige, mit wie viel Empathie und Interesse sich junge Menschen in ihrer jeweiligen Region der Vergangenheit näherten. Sie hätten ermöglicht, die öffentliche Wahrnehmung für die KZ-Außenlager zu schärfen und damit einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur geleistet.

Der zweite Preis ging an Schüler der Ernst-Litfaß-Schule in Berlin. Die Jugendlichen des Oberstufenzentrums Mediengestaltung und Medientechnologie erarbeiteten nach intensiven Recherchen in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück eine künstlerisch anspruchsvolle Serie von Drucken. Darin umreißen sie grafisch das „doppelte“ Schicksal der KZ-Überlebenden Ilse Heinrich.

Die Frau, die heute in der Nähe der Litfaß-Schule wohnt, berichtete den Schülern über ihr Leben. Von den Nazis als „arbeitsscheu“ und „asozial“ stigmatisiert und ins KZ Ravensbrück verschleppt, wurde Ilse Heinrich nach der Befreiung erneut gesellschaftlich zur Außenseiterin gestempelt und erst viel später rehabilitiert. Günter Morsch, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, wies darauf hin, dass der diskriminierende Umgang mit sogenannten „Asozialen“ während der Nazidiktatur, aber auch im geteilten Deutschland danach „noch immer ein verschwiegenes Kapitel der Geschichte“ sei.

Wirken eines Gefängnispfarrers aus Marzahn

Das Erinnerungsprojekt „Poelchaustraße in Marzahn“ wurde mit dem dritten Preis ausgezeichnet. Das vom Ökumenischen Forum Berlin-Marzahn getragene und mit zahlreichen Schülern und Initiativen verwirklichte Projekt erinnert an das Wirken des Gefängnispfarrers Harald Poelchau, der in der NS-Zeit konspirativ und unter größter Gefahr für sein eigenes Leben und das seiner Frau politischen Gefangenen und ihren Angehörigen vielfältige Unterstützung gewährte.

Im Ergebnis der vom Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf unterstützten Beschäftigung von Schülern aus vier Schulen mit dem Leben Poelchaus wurden in Marzahn eine Straße nach ihm benannt und eine Erinnerungsstele aufgestellt. Oranienburgs Bürgermeister Alexander Laesicke bezeichnete es mit Blick auf den Gesamtwettbewerb als „ermutigend“, mit welcher Kontinuität und welchem Engagement sich Vertreter aller Generationen für die Aufarbeitung der Geschichte der Nazidiktatur einsetzen.

Der Franz-Bobzien-Preis ist mit 3000 Euro dotiert. Benannt ist er nach einem ehemaligen Häftling des Konzentrationslagers Sachsenhausen. Der Pädagoge und Politiker Franz Bobzien, der von 1938 bis zu seinem Tod 1941 im KZ inhaftiert war, hatte sich unter schwierigsten Bedingungen vor allem für ausländische jugendliche Mitgefangene engagiert, indem er ihnen unter anderem Sprachunterricht gab und ihnen damit half, den Lageralltag besser zu bewältigen.

Zur Startseite