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Immer auf dem Weg. Pater Damian Bieger vom Franziskaner Orden wird demnächst nach Dortmund versetzt.

© Kitty Kleist-Heinrich

Franziskaner verlassen Berliner Gemeinde: Was wird aus St. Ludwig ohne die Patres mit den Kult-Predigten?

Politiker, Diplomaten, Künstler: St. Ludwig in Wilmersdorf gilt auch als „Promi-Gemeinde“. Doch jetzt ziehen sich die Franziskaner zurück. So geht es weiter.

Eine volle Kirche in Berlin? Das passt nicht ins Klischee. Und doch konnte, wer vor Corona sonntags zum Ludwigkirchplatz ging und dort die katholische Kirche betrat, genau das erleben. Um die 400 Leute drängten sich dort in normalen Zeiten in der Familienmesse um 10.30 Uhr und dann noch mal um 12 Uhr in der „Messe für Ausgeschlafene“.

Dieser Gottesdienst hatte Kultstatus, auch bei vielen, die gar nicht in der Gemeinde leben. Sie kamen wegen der Predigten von Pater Josef. Oder auch, wie die Gemeinderatsvorsitzende Monika Zulawski vermutet, „weil man in der Masse nicht so auffällt“.

Den Beinamen „Promi-Gemeinde“ hat St. Ludwig seit Langem, aber das trifft es nur unzureichend. Kulturstaatsministerin Monika Grütters gehört zu den regelmäßigen engagierten Besuchern, Kunst-Impresario Peter Raue wurde dort schon gesehen, Musiker Angelo Kelly ebenfalls, und auch Diplomaten zieht es gerne in die Wilmersdorfer Kirche.

Seit 1986 prägen Franziskaner die Spiritualität dieses Ortes. Von den ersten Brüdern, die dort wirkten, ist Pater Josef, inzwischen 77 Jahre alt, noch da. Pater Norbert kam 2004. Und seit 2013 wirken dort Pater Maximilian Wagner als Pfarrer und Pater Damian Bieger als Pfarrvikar.

1000 Unterschriften für den Verbleib der Ordensbrüder

Der Schock kam im letzten Oktober, als der Provinzialminister der Franziskaner in Deutschland, Pater Cornelius Bohl, der Gemeinde verkündete, dass die Franziskaner diesen Standort aufgeben müssen. Die Emotionen schlugen hoch zwischen Zorn und Tränen. Niemand wollte auf die charismatischen Brüder verzichten. Rasch kam eine Unterschriftenliste zustande mit über 1000 Signaturen.

Ein Anziehungspunkt für viele Berliner Katholiken: St. Ludwig in Wilmersdorf.
Ein Anziehungspunkt für viele Berliner Katholiken: St. Ludwig in Wilmersdorf.

© imago stock&people

Warum ausgerechnet St. Ludwig? „Das Kirchengebäude, der Platz, das Miteinander der Gemeinde ist ein Sonderfall in der städtischen Topografie, der sich glücklich zusammenfügt“, beschreibt Monika Grütters die besondere Situation dort. „Hinzu kommt die menschenfreundliche und weltoffene Spiritualität der Franziskaner, die uns mitten in der Großstadt guttut.“

Armut, Gehorsam und Keuschheit sind keine Werbung

Die Entscheidung war das Ergebnis eines drei Jahre langen Prozesses, in dem die Franziskaner darüber nachgedacht haben, wie sie am besten die Weichen für die Zukunft stellen. „Es war klar, dass wir einige Standorte schließen müssen“, sagt Pater Maximilian. Im Jahr 2010 zählte der Orden in Deutschland noch 380 Brüder. Inzwischen sind es nur noch 220. Und der Altersdurchschnitt liegt bei 68 Jahren.

Während viele Katholiken glauben, dass sich der Mangel an Pfarrern beheben ließe, wenn man den Zölibat abschafft, ist es mit dem Ordensleben nicht so einfach. Wer sich dafür entscheidet, braucht eine besondere Art von Berufung und gelobt, um sein Leben ganz auf Gott auszurichten, Armut, Gehorsam und Keuschheit.

Solche Berufungen erwirkt man nicht so leicht mit Werbung. Viele glauben, dass nur Gott selbst das schafft. Wenn es so ist, hat er sein Augenmerk derzeit vor allem auf Südkorea, Vietnam und Mexiko gerichtet, denn dort gibt es noch Nachwuchs, in Deutschland hingegen seit etwa fünf Jahren praktisch nicht mehr.

Derzeit werden mehrere Gemeinden zusammengefasst

Aus Sicht der beiden Patres liegt das auch daran, dass junge Menschen sich nicht mehr so gerne langfristig festlegen. „Die Entscheidung, Sankt Ludwig aufzugeben, fiel knapp“, erzählt Pater Damian Bieger am Telefon. Und es sei keineswegs so, dass die Gemeinde gegen den zweiten Berliner Standort des Ordens, die Suppenküche für Obdachlose in Pankow, ausgespielt worden wäre. Im Nachhinein allerdings mache es Sinn, dass dieser Standort beibehalten wurde.

Auch der Ordensgründer, der heilige Franziskus von Assisi, war nah bei den Armen. Zudem wird Sankt Ludwig demnächst Teil einer Großpfarrei im Rahmen des Programms „Wo Glauben Raum gewinnt“. Unter diesem Motto legt das Erzbistum kleine Pfarreien zu großen zusammen.

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Bereits vor einigen Jahren wurden die Gemeinden der Kirchen Albertus Magnus in der Nestorstraße nahe am Kurfürstendamm und St. Ludwig zusammengefasst, außerdem St. Marien und Heilig Kreuz zu „Maria unter dem Kreuz“. Diese ehemals vier Gemeinden sollen zusammen mit der Kapelle des St. Gertrauden-Krankenhauses eine Großpfarrei mit rund 20.000 Mitgliedern bilden. Bislang zählt St. Ludwig 11.000 Gemeindemitglieder.

Die Ordensbrüder sehen sich als Wanderprediger

Einen Pfarrer für diese Riesengemeinde hätte der Franziskanerorden ohnehin nicht gestellt. Die Ordensarbeit unterscheide sich signifikant von der eines Pfarrverwalters, erklärt Pater Damian. Schon um die Restaurierungsarbeiten an der St. Ludwig-Kirche über die Bühne zu bringen, mussten die Patres über ihren Schatten springen. Rund 1,8 Millionen Euro wurden verbaut, die Gemeinde brachte durch Spenden in Höhe von 274.000 Euro und mit Hilfe der Jenke-Stiftung Sankt Ludwig einen beträchtlichen Anteil auf.

Die eingerüstete Ludwigskirche im Herbst 2019.
Die eingerüstete Ludwigskirche im Herbst 2019.

© Thilo Rückeis

Für Männer, die es gewohnt seien, mit einem kleinen Taschengeld zu leben, sind das gewaltige Summen, sagt Pater Maximilian, der Pfarrer. Er hat in Rom über die franziskanische Spiritualität promoviert. Und die handele, sagt er, nicht nur von der Hilfe für die Armen, sondern vor allem davon, unterwegs zu sein. „Wir sind Wanderprediger“, sagt Pater Damian. „Wir kommen – und gehen“.

Der Raum bleibt erhalten, neue Geistliche werden gesucht

Natürlich empfinden sie Trauer angesichts des Abschieds, der für den 30. August terminiert ist. „Es ist schön, wenn man Kinder heranwachsen sieht, die man schon getauft hat“, sagt Pater Maximilian. Pater Damian, der promovierte Historiker, wird nach Dortmund versetzt. Ob der 84-jährige Pater Norbert und der 77-jährige Pater Josef, die beide schon lange das Ruhestandsalter erreicht haben, in der Gemeinde wohnen bleiben können, entscheidet letztlich der Ordensprovinzial. Der Kirchenvorstand, so sagt es die Gemeinderatsvorsitzende Monika Zulawski, habe bereits entschieden, den beiden Wohnraum zur Verfügung stellen, wenn sie bleiben wollen.

Ob Pater Josef, der sich mit seiner 12-Uhr-Messe für Ausgeschlafene eine große Fangemeinde geschaffen hat, auch weiter Gottesdienste in St. Ludwig feiern darf, wird wohl der neue Pfarrer mitentscheiden. Der dürfte bei einer fast unüberschaubaren Gemeinde mit 20.000 Menschen aber wohl für jede Unterstützung dankbar sein. Wer dort Pfarrer wird, kann der Sprecher des Erzbistums noch nicht sagen.

Der Raum der Kirche und das Engagement bleiben erhalten

Den Entwicklungsprozess für den pastoralen Raum leitet derweil Frank-Michael Scheele, der Pfarrer von „Maria unter dem Kreuz“ ist. Er hofft, dass die von gleich vier Franziskanern „auf hohem intellektuellen Niveau verwöhnte Gemeinde“ den neuen Pfarrer mit Verständnis aufnimmt. Die Kirchengemeinde habe sich ja sogar schon auf eigene Faust auf die Suche nach Geistlichen gemacht, die dafür sorgen könnten, dass die sehr gut besuchten fünf Sonntagsgottesdienste auch künftig angeboten werden könnten, berichtet Monika Grütters.

„Der Raum der Kirche bleibt ja“, sagt Monika Zulawski. Sie freut sich, dass in letzter Zeit das ehrenamtliche Engagement deutlich gewachsen sei. Viele der gewöhnlich etwa 1200 Gottesdienstbesucher wollen weiterentwickeln, was nicht nur die Franziskaner, sondern auch viele Laien gesät haben: die gute Familienarbeit, das Kirchplatzcafé, die weithin bekannte Kirchenmusik.

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