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Das Rias-Gebäude, heute Sitz des Deutschlandfunks Kultur – hier stand über Jahrzehnte das Mikrofon Friedrich Lufts.

© imago/Jürgen Ritter

"Über die Berliner Luft": Friedrich Lufts Beobachtungen über Berlin erscheinen neu

Als Theaterkritiker wurde Friedrich Luft legendär. Sein neues Buch wird am Dienstag in seinem alten Wohnhaus in Schöneberg vorgestellt.

Berlin-Schöneberg, irgendein Sonntag, etwa 1950, viertel vor zwölf: Passanten eilen in den kleinen Stadtpark, besetzen alle Parkbänke, schweigen. Denn genau zu diesem Zeitpunkt erhebt ein anderer seine Stimme: Friedrich Luft, der berühmteste deutsche Theaterkritiker seiner Zeit. Diese Stimme wird über einen öffentlichen Lautsprecher vor dem Rias-Gebäude übertragen. In unverwechselbarem, manchmal fast keuchendem Parlando, mit hellem Ton, genauen Sätzen – mal knapp, mal rankend und wuchernd je nach Objekt der Kritik, und bisweilen kräftigem Jargon als Würze.

Luft war kein Intellektueller im Sinne heutiger Diskursgewitter, sondern ein wortgewaltiger Liebhaber der Theaterkunst, hörbar begeistert, wenn es ihm gefiel, ratlos entsetzt, wenn die letzte Premiere danebenlag. Und immer endete er mit der gleichen, kaum variierten Einladung: „Wir sprechen uns wieder, in einer Woche. Wie immer gleiche Stelle, gleiche Welle, herzlich auf Wiederhören.“

Der unverwechselbare Klang seiner Sprache

Auch wenn der Rias später die Übertragung in den Park beendete, blieb die Gemeinde beisammen zu Hause am Radiogerät, bis kurz vor Lufts Tod im Dezember 1990. Es war also zuerst der unverwechselbare Klang seiner Sprache, der ihn populär machte über Jahrzehnte – kurios, weil der Sender ihn gerade deshalb anfangs nicht ans Mikrofon lassen wollte. Doch auch sein geschriebenes Wort hob ihn heraus aus der Kritikerschar, weil er einer war, der sich nicht für die Galerie spreizte, sondern von Hörern wie Lesern, auch einfachen, vor allem verstanden werden wollte. „Kritikerpapst“ hat ihn niemand genannt, niemand nennen dürfen, weil er sich schlicht als Reporter verstand und auch so arbeitete.

1911 geboren, hatte er mit dem Schreiben schon in der Nazi-Zeit begonnen, ein abgebrochener Student, der den Nazi-Institutionen wie der Reichsschrifttumskammer entkam, weil er von schottischen Verwandten großzügig unterstützt wurde. Er arbeitete für den Kabarettisten Werner Finck, reiste durch Europa, ließ in Kino und Theater nichts aus und schrieb leicht ironisch getönte Feuilletons für die „Deutsche Allgemeine Zeitung“.

„Ich war kein politischer Mensch“, sagte er selbst einmal über sich, „ich lebte eher in Richtung einer ästhetischen Weltsicht, als dass ich geglaubt hätte, irgendeine Ideologie könnte die Welt retten“. Im Krieg, der ihn 1940 doch noch ereilte, lernte er bei der Mars-Film das Filmhandwerk; überliefert ist, dass zwei Filme über die Gasmaske und zwei warnende und aufklärende „Unterleibsfilme“ auf sein Wirken zurückgingen.

Nach dem Krieg knüpfte er an diese Arbeit an, beobachtete ab 1945 als „Urbanus“ für den Tagesspiegel in kleinen Texten das Nachkriegsberlin, genau, ohne Pathos. Urbanus, schrieb er, sei „ein Moralist in jedem Falle, aber einer, der die Lust am Leben, war es auch noch so kärglich und triste wie in jenem ersten Nachkriegsjahr, freundlich im Notizbuch seines Herzens fixierte und keine Gelegenheit ausließ, zum Guten zu reden“.

Theaterkritikpreis wurde ihm gewidmet

Die Resonanz war enorm und kurios: Eine Leserin spendierte ihm jeden Sonnabend zwei Zigaretten, und als er den Verschleiß eines Farbbandes seiner Schreibmaschine beklagte, schickte man ihm reichlich Ersatz. 1947 wurde er Feuilletonchef der von den Amerikanern gegründeten „Neuen Zeitung“, schrieb später auch für „Süddeutsche“, „Welt“ und die „Berliner Morgenpost“, die ihm 1992 den Friedrich-Luft-Preis der Theaterkritik widmete.

Schon 1948 ließ der Suhrkamp-Verlag ein Heft mit den „Tagesblättern von Urbanus“ drucken. An diese Tradition knüpft nun die „Andere Bibliothek“ mit einer von Wilfried F. Schoeller zusammengestellten Auswahl an, die auch weitere literarische Texte Lufts nach einer US-Reise 1949 sowie aus den 30er und 60er Jahren enthält: „Über die Berliner Luft“.

Es sind Beobachtungen eines Flaneurs, aber ohne den Hauch von Leichtfüßigkeit, der diesem Begriff meist anhängt. „Wer spazieren geht“, so dekretierte er, „hat das eigentliche Tempo des denkenden Menschen“. In vielen dieser kurzen Texte spiegelt sich auch das strenge Demokratieverständnis Lufts, das ihn im Nachhinein als höchst politischen Menschen zeigt. Gerade in den Texten der USA-Reise, zu der ihn das State Department eingeladen hatte, beschrieb er mit großer Sympathie nicht nur das Land, sondern auch die erstaunliche Funktionsweise der US-Demokratie.

Chronik des zerbombten Berlins

Schon der zweite Text im Buch, ein 1946 geschriebener Rückblick auf die letzten mörderischen Kriegstage, zeigt seine Kunst der genauen Beobachtung und uneitlen Beschreibung. Später wird er sich genauso schnörkellos über den Mauerbau erbosen und nach einem Besuch in Ost-Berlin ironisch über den „Sputnik als Christkind-Ersatz“ spotten. Aber im Mittelpunkt der Sammlung steht die Chronik des zerbombten Berlins, stehen die Überlebenden, die sich mit verzweifeltem Mut aufrappeln.

So sind Skizzen einer Geschichte des Wiederaufbaus entstanden, die das Chaos und seine schrittweise Beseitigung beim Lesen geradezu fotografisch sichtbar werden lassen. Skizzen in einer Sprache, die an die Feuilletongenies der Weimarer Zeit, an Polgar, Kerr und Ihering anknüpft, aber dennoch einen ganz eigenen Ton findet.

Das Buch wird am Dienstag, 6. November, um 19.30 Uhr von Wilfried F. Schoeller und Christian Döring vorgestellt. Der Ort: Lufts Wohnhaus in der Maienstraße 4 in Schöneberg. Der Eintritt ist frei.

Friedrich Luft: „Über die Berliner Luft“. Feuilletons, versammelt und mit einem Nachwort versehen von Wilfried F. Schoeller. Die Andere Bibliothek, Berlin 2018,

432 S., 42 €.

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