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Die Booze Bar 2021: Warten auf Kundschaft, die man nicht einlassen darf.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Friedrichshainer Cocktailbar im Lockdown: Wie die "Booze Bar" mit dem Außer-Haus-Verkauf hadert

Die preisgekrönte "Booze Bar" in Berlin-Friedrichshain war ein Treffpunkt für Tinder-Bekanntschaften. Jetzt ist dort tote Hose - und der Inhaber frustriert.

Fast menschenleer liegt die Boxhagener Straße da. Und das an einem Freitagabend. Gastronom Lutz Rau schaut aus dem Fenster seiner „Booze Bar“ in Berlin-Friedrichshain. An einem normalen Wochenende, ohne Pandemie, wäre sein Lokal jetzt rappelvoll. Und feierwillige junge Leute würden durch die Straßen ziehen. Doch jetzt stehen nur drei Männer vor dem Späti nebenan und trinken Flaschenbier. Rau kennt sie. „Das sind normalerweise Gäste von uns“.

An einem Imbiss gegenüber unterhalten sich zwei Radkuriere von Lieferando, ein weiterer von Wolt kommt hinzu. Das Geschäft der Essenslieferdienste boomt, doch im Gegensatz zu Restaurants können viele Bars ihr Angebot nicht ohne weiteres per Rad ausliefern lassen.

2011 hat Rau die „Booze Bar“ gegründet. Seither hat sich die Cocktailbar einen Namen gemacht in Berlins Gastroszene. Dabei war der Erfolg keineswegs programmiert: Der Kiez rund um die Simon-Dach-Straße ist weniger für gehobene Barkultur bekannt als für Easyjet-Touristen. Shisha-Bars und Imbisse locken mit niedrigen Preisen. Rau hingegen setzte von Anfang an auf professionell geschüttelte Drinks für gehobene Ansprüche.

Eine Besonderheit sticht sofort heraus: Statt einer Getränkekarte erhält jeder Gast eine individuelle Beratung. 2015 erhielt seine Bar beim Bartender-Wettbewerb „Mixology Award“ den Preis für das „Barteam des Jahres“.

Ein langer, weißer Tresen dominiert den vorderen Teil des Barraums, in dem ein großes Terrence-Hill-Poster hängt. Läuft man daran vorbei, gelangt man in einen Lounge-Bereich. „Dort sitzen immer die Tinder-Dates“, sagt Rau lächelnd. Wer an der Bar arbeitete, werde ganz nebenbei Zeuge unzähliger Dates. „Wir erkennen das schon, wenn die Leute hereinkommen.“

Verräterisch seien bereits die nervösen Blicke der Gäste, mit denen sie herauszufinden versuchten, ob die andere Person bereits vor ihnen angekommen sein könnte. Auf die Frage nach dem Getränkewunsch käme dann meist die Antwort: „Nein danke, ich warte noch auf jemanden.“

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Doch im Moment finden Dates nicht in Bars statt. Drinks gibt es meist nur bei den Spätis. Zwar dürfen auch Bars Getränke außer Haus verkaufen. Doch die Erlaubnis des Ordnungsamts gelte nur für geschlossene, handelsübliche Verpackungen, sagt Rau. Doch Not macht erfinderisch. Die Barkeeper der „Booze Bar“ füllen Cocktails in Flaschen ab und reichen sie durch das Fenster hinaus. Für Stammkunden gibt es einen Lieferservice. Die Barkeeper bringen die Drinks persönlich bis zur Wohnungstür.

Auch andere Anbieter sind kreativ geworden. Zum Beispiel hat die Bar „Pawn Dot Com“ einen Webshop für Cocktails eingerichtet. Dort werden vakuumverpackte Zutaten zum Selbstmixen ebenso wie fertige Getränke angeboten, zum Abholen oder mit Postversand. Es gibt auch „Online-Barabende“ via Zoom. Und der Berliner Webshop „The Good Taste“ liefert neben Gerichten feiner Restaurants auch Cocktails von drei Berliner Bars aus: „Bonvivant“, „Lost My Voice“ und der „Tier Bar“. Doch kann digitale Vermarktung den Barbetrieb ersetzen?

Lutz Rau, Chef der "Booze Bar" in Friedrichshain und zwei seiner Mitarbeiter haten in ihrem Lokal die Stellung.
Lutz Rau, Chef der "Booze Bar" in Friedrichshain und zwei seiner Mitarbeiter haten in ihrem Lokal die Stellung.

© Doris Spiekermann-Klaas

Lutz Rau glaubt das nicht. „Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein“. Der entgangene Umsatz lasse sich nicht ausgleichen. Umso schlimmer sei es, dass die staatlichen Coronahilfen so schleppend ausgezahlt würden. Bisher sei nur die Novemberhilfe angekommen, sagt der Geschäftsführer, für die Dezemberhilfe habe er lediglich eine Bewilligung erhalten. Bei den meisten Bekannten aus der Szene sei die Situation ähnlich. Etwa ein Drittel der Firmen sei akut existenzgefährdet, schätzt Rau. „Viele werden es nicht schaffen.“ Er erwarte eine Pleitewelle spätestens im Herbst.

[Mehr Bars, die Drinks nach Hause liefern, finden sie in dieser Übersicht (T+) und auf unseren Genuss-Seiten.]

Trotz ausbleibender Überbrückungshilfe müsse die Miete jeden Monat gezahlt werden, sagt Rau. Die sechs Mitarbeiter:innen sind fest angestellt, was in der Branche keine Selbstverständlichkeit ist. Momentan sind alle in Kurzarbeit. Doch das Arbeitsamt stelle jeden Monat dieselben Fragen und wolle Nachweise sehen, die er längst erbracht habe. Die ganze Bürokratie sei nur noch frustrierend und ermüdend, sagt er. Noch nie sei die „Booze Bar“ in einer derartig schwierigen Situation gewesen.

Die "Booze Bar" in der Boxhagener Straße liegt mitten in der Party-Meile. Davon ist aktuell wenig zu spüren. Der Außer-Haus-Verkauf laufe nur schleppend, heißt es.
Die "Booze Bar" in der Boxhagener Straße liegt mitten in der Party-Meile. Davon ist aktuell wenig zu spüren. Der Außer-Haus-Verkauf laufe nur schleppend, heißt es.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Auch nicht damals, nach dem Feuer: Im März 2016 war der Barraum vollständig ausgebrannt. Ursache waren ölige Lappen, die nach einer Behandlung des Holzbodens mit Leinöl im Müll gelandet waren. Wenn ungesättigte Pflanzenöle an der Luft kristallisieren und aushärten, entsteht Hitze. Diese chemische Reaktion kann zu Selbstentzündung führen. Dem Brand sei damals ein langwieriger Rechtsstreit mit der Versicherung gefolgt, erinnert sich Rau.

Auch heute muss er sich mit einer Versicherung herumärgern. Aufgrund der Erfahrung mit dem Feuer habe er eine „Multi-Risk-Versicherung“ abgeschlossen, sagt er. Diese beinhalte auch Entschädigungen im Fall einer Schließung wegen Infektionskrankheiten. Doch im Kleingedruckten der Police seien verschiedene Krankheiten aufgezählt, für die der Schutz gelten soll. Das neuartige Coronavirus steht dort natürlich nicht, weil es beim Vertragsabschluss noch gar nicht existierte. „Die Versicherung weigert sich zu zahlen und möchte sich einfach aus der Verantwortung stehlen“, sagt Rau. Doch er habe bereits einen Rechtsanwalt beauftragt, dagegen vorzugehen.

Es gibt auch Lichtblicke im bisher düsteren Jahr 2021. Bei einem der wichtigsten Barkeeper-Wettbewerbe, dem „Diageo World Class“, kam Ella Lappalainen bis ins Halbfinale. Die Finnin wohnt seit 2019 in Berlin und gehört zum festen Team der „Booze Bar“. Für den Wettbewerb hatte sie eine eigene, recht aufwändige Variante des Gin Tonic entwickelt.

Innenansicht der "Booze Bar" aus besseren Tagen. Aktuell dient der Tresen als Ablage.
Innenansicht der "Booze Bar" aus besseren Tagen. Aktuell dient der Tresen als Ablage.

© Martin Strauss (Promo)

Natürlich musste auch diese Cocktail-Mixer-Wettkampf Mitte März unter Pandemiebedingungen anders ablaufen als sonst. Die Kandidaten mixten in einem Foodtruck vor dem Club „Sage Beach“, das Publikum konnte nur per Livestream zuschauen. Das Deutschland-Finale wird am 26. und 27. April in Berlin stattfinden.

Rau verfolgt derweil weiter die Berichterstattung zur Coronakrise, er lässt keine Pressekonferenz aus. Die Politik handle oft wirklichkeitsfern, sagt er. Dass sich Maßnahmen wie zum Beispiel Ausgangssperren in einer Großstadt durchsetzen ließen, glaubt er nicht. Gerade für junge Leute müsse es Möglichkeiten geben, sich draußen zu treffen. Verbote allein könnten seiner Ansicht nach sogar die Situation verschlimmern, wenn viele Feierwillige auf illegale Partys ausweichen. So wie sie im vergangenen Sommer schon in verschiedenen Parks stattfanden. Im Gegensatz dazu könne professionelle Gastronomie für die Einhaltung von Hygienekonzepten sorgen, meint Lutz Rau. Dazu müssen die Unternehmen aber erst einmal überleben.

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