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In Charlottenburg ist eine neue Gedenktafel enthüllt worden. Sie erinnert an das ehemalige Gebäude eines jüdischen Ritualbads, der Mikwe.

© Seval Tekdal

Gegen das Vergessen: Neue Gedenktafel in Charlottenburg erinnert an jüdisches Ritualbad

In Charlottenburg ist eine lange geplante Gedenktafel für ein ehemaliges jüdisches Tauchbad enthüllt worden. Auch der stellvertretende israelische Botschafter war vor Ort. 

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Sonntagnachmittag, kurz vor 15 Uhr. Der Bürgersteig in der Bleibtreustraße 2 in Charlottenburg füllt sich. Das Ziel der Menschen: ein kleiner Spielplatz. Noch versteckt hinter blauem Stoff steht dort das Ergebnis des an diesem Tag noch mehrfach erwähnten „langen Atems“, den der Initiator und Jurist Enrico Brissa bewiesen hat. Nach siebeneinhalb Jahren hat er sein Ziel erreicht: Am Rande des Spielplatzes steht jetzt eine Gedenktafel für die jüdische Mikwe, einem Tauchbad zur rituellen Reinigung.

An der Stelle, an der sich seit 1956 ein Kinderspielplatz befindet, stand einst ein Wohn- und Geschäftshaus. 1926 hatte es die Jüdische Gemeinde zu Berlin gekauft und im Kellergeschoss zu einem rituellen Tauchbad umgestaltet. 1934 zogen das „Jüdische Wohlfahrts- und Jugendamt“ sowie die „Jüdischen Allgemeinen Zeitung“ ein.

Doch im Frühjahr 1939 ernannten die Nationalsozialisten das Haus zu einem sogenannten „Judenhaus“, in das jüdische Bürgerinnen und Bürger zwangsweise umziehen mussten. 1942 musste die Gemeinde das Haus weit unter Wert verkaufen, der Erlös wurde von der Gestapo einbehalten. 20 Bewohnerinnen und Bewohner sind bekannt, die schließlich in Konzentrationslager deportiert und dort ermordet wurden. Nur zwei von ihnen überlebten.

Das Haus wurde im Herbst 1943 durch Bombenangriffe zerstört, 1956 wurden auch die letzten Reste der Ruine gesprengt.

Heute hört man hier Kinderlachen

Dass sich heute an der Stelle, die wie viele Orte in Berlin stellvertretend für so viel jüdisches Leid steht, ein Spielplatz befindet, begrüßte der stellvertretende israelische Botschafter Guy Gilady sehr. „Heute hört man hier Kinderlachen – damit steht dieser Ort nicht mehr nur für die Vergangenheit, sondern auch für die Zukunft“, sagte Gilady, der bei der Eröffnung ebenfalls vor Ort war.

Der stellvertretende israelische Botschafter Guy Gilady (l.) erinnerte in seiner Rede auch an den Tag der Befreiung in Auschwitz. Zudem dankte er Enrico Brissa (r.) für seinen unermüdlichen Einsatz gegen das Vergessen.

© Seval Tekdal

Er begann seine Rede mit einigen erklärenden Worten zur Mikwe, bedankt sich bei Initiator Brissa für seinen unermüdlichen Einsatz gegen das Vergessen. Gilady erinnerte auch an den Tag der Befreiung von Auschwitz, die sich am 27. Januar zum 80. Mal jährte und betont in diesem Zusammenhang, wie wichtig das Erinnern an die Grausamkeiten der Nationalsozialisten und die Bewahrung der Erinnerung an jüdisches Leben sind.

Die neue Gedenktafel auf dem Spielplatz in der Bleibtreustraße 2 erinnert an die Mikwe, die hier einst zu rituellen Zwecken des jüdischen Glaubens genutzt wurde.

© Seval Tekdal

Auch Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) und Berlins ehemaliger Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) waren vor Ort. Die Vorsteherin der Charlottenburg-Wilmersdorfer Bezirksverordnetenversammlung, Judith Stückler (CDU), sprach in ihrer Begrüßungsrede vom „langen Atem“ von Enrico Brissa, der sich nun endlich ausgezahlt habe.

Brissa, Initiator der Gedenktafel und ehemaliger Protokollchef des Bundestages, freute sich, dass die Tafel endlich steht. Viele Jahre hat er dafür gekämpft. Jetzt appellierte er an alle, sich zu engagieren und Antisemitismus zu bekämpfen.

Brissa sprach vom erschreckenden Wiedererstarken von Antisemitismus in den vergangenen Jahren, erinnerte an die „Schändung der Büste Alice Salomons“ an gleichnamigen Hochschule „durch pro-palästinensische und pro-Hamas-Gruppen“. Erinnerungspolitik müsse, gerade aufgrund solcher Vorfälle, konkret sein und berühren – „so wie diese Gedenktafel“, sagte Brissa.

Die Tafel greift die Historie der Bleibtreustraße 2 unter dem Titel „Die Mikwe der Jüdischen Gemeinde in Charlottenburg“ auf, erzählt die Geschichte des Ortes nach und liefert erklärende Worte zur Mikwe als Teil des jüdischen Brauchtums. Auch eine Abbildung der Mikwe sowie der Fassadenzeichnung des damaligen Hauses sind auf der Tafel abgebildet.

Die Gedenktafel ist mittlerweile das zweite Projekt des Erinnerns, das Brissa im Bezirk erwirkt hat. Im Juni 2020, zum 100. Todestag des Sozialwissenschaftlers und Politikers Max Weber, wurde bereits eine Gedenktafel an dessen früherem Wohnort in der Charlottenburger Leibnizstraße 21 auf seinen Vorschlag hin angebracht.

Als Nächstes wolle sich Brissa für mehr Aufmerksamkeit für die Stolpersteine einsetzen, die an Verfolgte des Nationalsozialismus erinnern. Davon gebe es im Kiez gebe es zu wenig, sagte er und klang dabei wie jemand, der erneut bereit ist, seinen langen Atem unter Beweis zu stellen.

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