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Christine Wagner und Serkan Cetinkaya in der Studio-Amtsstube. Ihr Podcast hatte mehr Hörer als der der Bundesregierung.

© Cristina Marina

Eine Ärztin und ein Comedian klären auf: Gesundheitsamt Berlin-Neukölln startet Corona-Podcast

Das Gesundheitsamt Neukölln hat jetzt einen Podcast: Im „Feierabendfunk“ wollen eine Ärztin und ein Comedian über das Virus und die Arbeit der Ämter aufklären.

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Serkan Cetinkaya greift ins Bücherregal, nimmt ein paar schwere Medizinwälzer heraus und stapelt sie auf dem hellen runden Tisch, auf dem auch sein Mobiltelefon liegt. Mit langsamen Bewegungen stellt er darauf ein voluminöses, schwarz gebundenes Wörterbuch. „Das hier hat eine besonders dicke Klappe“, sagt Cetinkaya. „Da hängen wir unser Mikro dran.“

Das kleine Büro im dritten Obergeschoss des Gesundheitsamtes in Neukölln verwandelt sich an diesem Tag in ein Tonstudio. Zusammen mit Christine Wagner nimmt Cetinkaya hier den Podcast „Feierabendfunk“ auf. Die beiden Mitarbeiter im neu geschaffenen Pandemiestab des Bezirksamtes wollen damit bei den Bürgern ankommen.

„Ich habe festgestellt, dass für viele eine Menge Fragen noch unklar sind“, sagt Cetinkaya, der sonst in der Corona-Hotline arbeitet. So beispielsweise: Was muss ich tun, wenn meine Corona-App rot leuchtet? Oder wenn ich positiv getestet worden bin? Oder wenn mein Kind von der Kita nach Hause in Quarantäne geschickt wurde?

Die meisten Menschen beschäftigten sich erst damit, wenn sie selbst betroffen seien, sagt der 46-Jährige. In der Hotline beantwortet er täglich rund 50 solche oder ähnliche Fragen. „Damit wir die Menschen besser erreichen, haben wir den Podcast als eine Mischung von Information und Unterhaltung angedacht.“

Wagner ist Ärztin – sie verantwortet den fachlichen Teil. Cetinkaya, der bis vor der Corona-Pandemie eigentlich Comedian und Schauspieler war, bringt dabei Lustiges oder Kurioses aus der Hotline ein. „Mit unserem Publikum ist es ein bisschen wie mit dem kranken Elefanten im Zoo, der die bittere Medizin nicht schlucken will“, sagt er. Dem Elefanten werde diese deshalb mit einer leckeren Banane verabreicht. „Wir sind die Banane“, sagt Cetinkaya und lacht.

„Wir stehen immer noch auf Ampelstufe Schwarz“

Man könnte sagen, die bittere Medizin ist in diesem Fall die Wahrheit. Lange war Neukölln mit der höchsten Infektionsrate der Corona-Hotspot der Bundesrepublik schlechthin. Inzwischen belegt der Bezirk zwar nur noch Platz 15 bundesweit. Die Fallzahlen bleiben dennoch hoch. Die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz, also die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb der letzten sieben Tage, liegt bei 244. Das Gesundheitsamt arbeitet am Limit.

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„Wir stehen immer noch auf Ampelstufe Schwarz“, sagt Christine Wagner. Die 38-Jährige ist Fachärztin für Allgemeinmedizin und leitet den Kommunikations- und Strategiestab des Gesundheitsamtes. Diese Ampelstufe setze sich aus der Inzidenz-Zahl und den sogenannten Fall-Rückständen im Team zusammen – der Zahl der Fälle, die am Ende des Tages unbearbeitet bleiben. Schwarz heißt, dass das übliche Grün-Gelb-Rot-System nicht mehr ausreicht, um die Überlastung angemessen zu beschreiben.

„Dabei haben wir unsere Arbeit inzwischen umorganisiert“, führt Wagner aus. „Die Lage hat sich dadurch etwas verbessert.“ Der Ärztin zufolge sind jetzt mehr „Fallermittler“ da. So heißen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nachverfolgen, wo die Menschen, die an Corona erkrankt sind, sich mit dem Virus infiziert haben. Rund 65 Fallermittler sind mittlerweile an jedem Werktag im Einsatz, am Wochenende etwas weniger.

Nicht alle Fälle können nachverfolgt werden

Das Gesundheitsamt meldet sich nicht mehr bei jeder einzelnen „Kontaktperson ersten Grades“ eines positiv getesteten Menschen. Der Betroffene muss das jetzt selbst tun. „Sonst wäre die Aufgabe für uns wirklich nicht mehr zu bewerkstelligen“, sagt Wagner.

Darüber hinaus gibt es im Pandemiestab, wie die Corona-Abteilung des Gesundheitsamtes heißt, für die verschiedenen Belange feste Ansprech-Teams. So kümmert sich ein Team um Pflegeheime, ein anderes um die rund 20 Schulen und ebenso vielen Kitas in Neukölln, und drei weitere um die Anliegen aller anderen Bürgerinnen und Bürger. „Es ist immer noch viel zu tun, aber wir sind dadurch nicht mehr so sehr überlastet“, erläutert Wagner. Der Rückstand von rund 250 Fällen, die liegen blieben, entspreche der Menge, die täglich neu hereinkomme.

„Mit dem Podcast wollen wir auch Transparenz für unsere Arbeit schaffen“, sagt Wagner, „und den Bürgern zeigen, dass wir trotz des hohen Arbeitspensums für sie da sind und uns Mühe geben.“ Sie und Cetinkaya machen den Podcast nach ihrer üblichen Arbeit im Pandemiestab. „Deshalb heißt er auch Feierabendfunk“, sagen die beiden einhellig – und schmunzeln.

„Gesundheit ist sexy“

Seit Mitte Oktober haben sie bereits mehr als zehn Folgen mit Längen zwischen acht und 18 Minuten gesendet. Der Podcast soll, je nach Corona-Lage, mindestens einmal wöchentlich erscheinen. Der Arbeitsaufwand beläuft sich auf etwa zwei bis drei Stunden in der Woche.

Auch und gerade wegen des geringen Produktionsaufwandes sind Podcasts nach Meinung von Fachleuten ein Medium mit Zukunft. Alles, was es dafür brauche, sei „bisschen Handygebühr und Akkuleistung“, sagt Cetinkaya. Nicht einmal ein externes Mikrofon, wie die beiden es vom Bezirksamt zur Verfügung gestellt bekommen haben, sei zwingend nötig. „Dabei sind Podcasts enorm praktisch“, erläutert Cetinkaya. Man könne sie im Auto, zu Hause beim Kochen oder auch vor dem Einschlafen hören.

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Die beiden wollen mit dem „Feierabendfunk“ auch nach dem Ende der Pandemie weitermachen. Themen gebe es dabei mehr als genug: „Gesundheit ist sexy“, sagt Cetinkaya. Neben den Älteren interessierten sich auch immer mehr junge Menschen für einen gesunden Lebensstil, einschließlich Sport, Wellness, gesunder Ernährung oder der Prävention von Krankheiten.

Bis dahin beschäftigt sich der Podcast, der einst „das Neueste aus dem Hotspot der Bundesrepublik“ versprach, erst mal mit Fragen zu Corona. Etwa: Was ist eine Kontaktperson ersten Grades? Für Wagner auch im direkten Gespräch leicht zu beantworten: „Würde ich jetzt meinen Mundschutz abnehmen und das Fenster im Büro zumachen, wäre ich für alle, die noch im Raum sind, eine KP1.“ Manchmal geht es im im Podcast auch um Sexgeschichten, vor allem wenn Cetinkaya in der Hotline versucht, Kontakte auf WG-Feiern zu ermitteln. Den Podcast kann man auf gesundheitsamtneukoelln.podigee.io sowie bei allen üblichen Anbietern hören. 

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