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Wenn der Vater gewalttätig ist, sind Mutter und Kind auch nach einer Trennung oft noch gefährdet.

© Getty Images/iStockphoto

Gewalttätige Väter nach der Trennung: Mit Fußfessel zum Umgang mit dem Kind?

Familiengerichte ordnen regelmäßig an, dass gewalttätige Väter ihre Kinder weiter treffen dürfen. Elektronische Fußfesseln sollen Frauen vor Ex-Partnern schützen. Expertinnen haben Zweifel.

Stand:

Man stelle sich mal vor: Eine Frau hat es endlich geschafft, sich aus der Situation häuslicher Gewalt zu befreien. Sie hat ihren prügelnden Partner verlassen und einen der viel zu raren Plätze in einer Zufluchtswohnung bekommen. Und nun das: Sie soll dafür sorgen, dass die gemeinsamen Kinder den Vater weiterhin regelmäßig treffen können. Gleichzeitig will sie ihren neuen Aufenthaltsort um jeden Preis vor dem gewalttätigen Mann geheim halten, um sich selbst zu schützen.

Ein unwahrscheinliches Szenario? „Nein“, sagt Judith Steyer, Leiterin des Frauenzentrums „Flotte Lotte“ in Reinickendorf, das seit 20 Jahren vier solcher Zufluchtswohnungen für von häuslicher Gewalt betroffene Frauen zur Verfügung stellt. „Wir sehen immer wieder Auflagen von Jugendämtern und Familiengerichten, nach denen Mütter alles dafür tun sollen, den Umgang mit dem Vater zu ermöglichen. Und dafür, dass die Kinder den Vater in einem positiven Licht sehen.“

Adressen von Schutzwohnungen können auffliegen

Da sei beispielsweise eine Mutter, die ihren Kindern die Wahl ließ, ob sie den gerichtlich angeordneten Umgang mit dem Vater wahrnehmen wollten oder nicht. Als die Kinder sich dagegen entschieden, habe das Gericht ihr ein Ordnungsgeld auferlegt. 120 Euro, die die Bürgergeldempfängerin kaum aufbringen konnte.

Ein anderer Fall, von dem sie erzählt, ist weitaus dramatischer. Ein Kind verriet bei einem Treffen mit dem Vater versehentlich die Adresse der Schutzwohnung. „Die Frau musste ihren Zufluchtsort verlassen und umziehen, das Kind die Schule wechseln“, sagt Steyer.

Der Frau sei die Tragweite der Informationsweitergabe anfangs gar nicht richtig bewusst gewesen, „aber wir konnten ihren Verbleib in der Wohnung nicht verantworten.“ Bei der Geheimhaltung der Adressen der Schutzwohnungen gehe es darum, Femizide und andere Gewalttaten zu verhindern. Manchmal sei die Gewalt mit dem Umzug in die Schutzwohnung beendet, oft aber nicht.

Frauenzentrum: Die Bedrohung wächst

Zu groß sei die Gefahr, die von manchen der gewalttätigen Expartner ausgehe. Auch für das Umfeld der Frauen. Eine Freundin einer Klientin habe ein Messer gefunden, das als Drohung in ihrer Wohnungstür steckte. Und das Frauenzentrum verzichtet aus Sicherheitsgründen lieber darauf, auf seiner Internetseite die Namen der Sozialarbeiterinnen zu nennen, die sich um die Frauen in den Schutzwohnungen kümmern. „Die Bedrohungslage nimmt zu. Die Fälle, die wir sehen, werden immer dramatischer und gefährlicher für die Frauen“, sagt Steyer.

Im Jahr 2023 wurden 360 Frauen und Mädchen in Deutschland umgebracht. In fast 70 Prozent der Fälle ging es um häusliche Gewalt. Täter waren der Partner, der Ex-Partner – oder der eigene Vater. Zählt man noch die versuchten Tötungsdelikte dazu, kommt man auf 938 weibliche Opfer. In Berlin wurden im vergangenen Jahr bis Ende November 2024 nach Auskunft der Berliner Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger 29 Frauen Opfer eines Femizids.

Tötungsfälle sind der traurigste Beleg, dass in Gewaltschutzfällen die Gewährung von Umgang ein Hochrisiko darstellt.

Aus einem Papier zu Gewaltschutz und Umgangsrecht des Berliner Vereins Frauenhauskoordinierung

Wie oft dabei ein angeordneter Umgang des Kindes mit dem Vater eine Rolle gespielt hat, ist nicht dokumentiert. „Tötungsfälle sind der traurigste Beleg, dass in Gewaltschutzfällen die Gewährung von Umgang ein Hochrisiko darstellt“, heißt es aber in einem Papier zu Gewaltschutz und Umgangsrecht des Berliner Vereins Frauenhauskoordinierung.

Das Gericht kann trotz Gewaltschutz Umgang verfügen

Dass Gerichte trotz Gewalt häufig den Umgang mit dem Vater anordnen, thematisiert eine bundesweite Umfrage unter betroffenen Müttern, die von ihrem Ex-Partner und Vater ihrer Kinder getrennt sind. 848 Frauen wurden dazu im Mai 2024 von der Organisation Terre des Femmes befragt. 56 Prozent von ihnen gaben an, ihr gewalttätiger Ex-Partner habe vor Gericht Umgang erwirkt, den sie „für nicht sicher halten“.

Die Berliner Rechtsanwältin Asha Hedayati vertritt Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, und ist Vorstand einer Schutzeinrichtung für Frauen. Sie erlebt oft, dass Mütter, kurz nachdem sie mit ihren Kindern in ein Frauenhaus geflüchtet sind, eine Ladung vom Familiengericht bekommen, wie sie sagt. Sie müssten dann zu einem Anhörungstermin kommen, weil der Vater Umgang beantragt hat.

„Gewalt spielt bei den Anhörungen meist keine Rolle. Es heißt oft, das sei ja vorbei, man müsse jetzt nach vorne schauen. Fast ausnahmslos wird der Umgang mit beiden Elternteilen als dem Kindeswohl dienlich gesehen“, sagt Hedayati. Selbst wenn eine Frau vorher Gewaltschutz gegenüber diesem Mann durchgesetzt habe, könne das Gericht Umgang verfügen.

Fehlurteile zulasten von Müttern und Kindern?

Es werde Druck auf die Mütter ausgeübt, sodass sie häufig einem Umgang zustimmten. „Sonst bekommen sie zu hören, dass sie nicht bindungstolerant seien. Und das kann in der Folge bedeuten, dass ihre Erziehungsfähigkeit infrage gestellt wird. Im schlimmsten Fall droht ihnen, dass ihnen das Sorgerecht entzogen und das Kind umplatziert wird.“ Meist zum gewalttätigen Vater.

Nachfrage bei der Berliner Justizverwaltung: Wie oft gab es im Jahr 2023 bei Sorge- und Umgangsrechtsfällen, die vor Berliner Familiengerichten verhandelt wurden, Gewaltvorwürfe der Mutter dem Vater gegenüber? In wie vielen Fällen wurde dem Vater trotz Gewaltvorwürfen ein Umgangsrecht zugestanden? Und wie oft das Sorgerecht? Es „werden statistisch lediglich die Zahlen von Sorge- und Umgangsrechtsverfahren erfasst“, lautet die unbefriedigende Antwort. „Eine weitere Differenzierung nach den antragstellenden Personen oder inhaltlichen Aspekten erfolgt nicht.“ Warum werden diese Daten nicht erhoben? Auf diese Frage antwortet die Justizverwaltung nicht.

Man kann nicht eine Fußfessel anordnen und den Umgang nicht ausschließen.

Asha Hedayati, Rechtsanwältin

Nach Ansicht des Soziologen Wolfgang Hammer, der lange die Landesjugendbehörde in Hamburg leitete, Mitglied der Jugend- und Familienministerkonferenz war und seit seiner Pensionierung zwei Studien zu dem Thema herausgebracht hat, sind Familiengerichte „Blackboxen“. Sie werden nicht ausreichend kontrolliert. So entstehen ihm zufolge reihenweise Fehlurteile, hauptsächlich zulasten der Sicherheit von Kindern und Müttern. 

Keine Antwort von der Justizverwaltung

Und das Bundesjustizministerium hat zur Reform des Kindschaftsrechts im Januar 2024 festgestellt: „Auch ist die Rechtsstellung von Kindern an einigen Stellen zu schwach ausgeprägt. Der Schutz vor häuslicher Gewalt im Umgangsrecht wird bislang nicht ausdrücklich geregelt.“

Vor diesem Hintergrund würde man gerne wissen, ob es nicht wichtig wäre, durch die Erhebung von Daten Klarheit zu bekommen, also die Blackbox transparenter zu machen. Doch auch auf diese Frage an die Justizverwaltung – keine Antwort.

Eine Kindeswohlgefährdung ist nicht nur, wenn Väter ihre Kleinkinder schlagen, sondern auch, wenn Jugendliche ihre Mütter oder andere Menschen schlagen, weil sie vom gewalttätigen Vater unter Druck gesetzt werden.

Asha Hedayati, Rechtsanwältin, Autorin und Vorstand einer Schutzeinrichtung für Frauen

Zum Fragenkatalog gehörten auch einige, die sich direkt an Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) richten: Gibt es ihrer Ansicht nach eine Tendenz von Familiengerichten, Müttern vorzuwerfen, nicht alles zu tun, um die Kinder dazu zu bewegen, sich mit dem Vater zu treffen? Werden Kinderrechte ausreichend gewahrt? Wird das Recht der Mütter auf körperliche Unversehrtheit in Fällen von Trennung nach häuslicher Gewalt ausreichend gewahrt? Wie sollte in Familienrechtsverfahren generell damit umgegangen werden, wenn die Mutter Gewaltvorwürfe gegen den Vater erhebt? Sollte dem immer nachgegangen werden? Wenn ja wie? 

Das Gewaltschutzgesetz soll geändert werden

Die Senatsverwaltung für Justiz antwortet darauf lediglich kurz, sie begrüße „gesetzgeberische Überlegungen auf Bundesebene, die darauf abzielen, die bereits jetzt durch Artikel 31 Istanbul Konvention bestehenden Einschränkungen des Umgangsrechts in Fällen häuslicher Gewalt im Bürgerlichen Gesetzbuch zu verankern und damit sichtbarer zu machen. Eine bundesrechtliche Konkretisierung erscheint vor dem Hintergrund des Kindeswohls und des besseren Schutzes des von häuslicher Gewalt betroffenen Elternteils als richtig. Zu Einzelfällen äußert sich die Senatsverwaltung nicht.“

Um Einzelfälle ging es in der Anfrage auch nicht.

Diese Antwort stammt von Mitte Dezember. Anfang Januar gab es nun eine vom Bundeskabinett beschlossene Vorlage für eine Änderung des Gewaltschutzgesetzes, die vorsieht, dass Täter unter bestimmten Bedingungen eine elektronische Fußfessel tragen müssen. Außerdem sollen sie zur Teilnahme an Anti-Gewalt-Kursen verpflichtet werden können. Offen ist allerdings, ob der Bundestag diese Änderung noch vor der geplanten Neuwahl am 23. Februar beschließen wird.

Frauenrechtsorganisationen sehen die Fußfessel kritisch

Und was bedeutet das für den Umgang gewalttätiger Väter mit ihren Kindern? Reicht eine Fußfessel aus, um die Gefahr für die Mütter zu bannen?

Der Verein Frauenhauskoordinierung schrieb zur geplanten Gesetzesänderung eine Stellungnahme ans Justizministerium: „Als isolierte Maßnahme bestehen gegen die elektronische Aufenthaltsüberwachung erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken sowie die Sorge, dass Betroffenen eine Sicherheit suggeriert wird, die tatsächlich nicht geboten werden kann.“

Der Verein sieht die Pläne aus vielen Gründen kritisch. Vor allem ist man der Ansicht, dass den bereits bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten „seitens der Justiz nicht der entsprechende Stellenwert entgegengebracht wird“. Nur etwa zwölf Prozent der Verstöße gegen das bestehende Gewaltschutzgesetz führten derzeit zu einer Verurteilung. Werde eine elektronische Aufenthaltsüberwachung eingeführt, bestehe „die Sorge, dass das Gefährdungspotenzial unterschätzt wird. Es sollte keine schärfere Maßnahme eingeführt werden, wenn die bereits zur Verfügung stehenden Mittel nicht ausgeschöpft werden.“ 

Umgang für sechs Monate aussetzen

Statt der Fußfessel sollten Frauenrechtsorganisationen zufolge andere Mittel angewandt werden, um körperliche Angriffe und Femizide zu verhindern: „Bei Gewalttaten sollte der Umgang mit dem Gewalt ausübenden Elternteil für sechs Monate ausgesetzt werden. Die Wiederaufnahme der Umgänge muss an Bedingungen geknüpft werden“, fordert die Organisation Terre des Femmes.

„Es braucht ein Umdenken insofern, als das Kindeswohl nicht isoliert von der Gewalt an der Mutter betrachtet werden darf“, heißt es vom Verein Frauenhauskoordinierung. Gerichte müssten zunächst herausarbeiten, ob es sich um einen Umgangsstreit mit oder ohne Gewalt handele. Das Hauptziel bei Umgangsstreitigkeiten mit Gewalt durch den Vater sei „Sicherheit für Mutter und Kind“.

Er brach ihr das Nasenbein, das Kind stand daneben

Und kann eine Fußfessel dazu beitragen? „Ich glaube nicht, dass Fußfesseln das Problem der geschlechtsspezifischen Gewalt lösen. Rein rechtlich muss sehr viel passieren, bis eine Fußfessel gerechtfertigt ist“, sagt Rechtsanwältin Asha Hedayati. „Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist, ob wir so viel Gewalt zulassen – bis dahin.“ Auch sie steht den Plänen der Bundesregierung kritisch gegenüber. „In begründeten Einzelfällen kann das vielleicht wirkungsvoll sein. Aber man muss sich fragen: Wo genau ist da die Prävention? Es kann nicht funktionieren, wenn wir auf den ganzen anderen Ebenen der Prävention versagen.“

Wie könnte nun das Prozedere mit der Fußfessel im Einzelfall aussehen? „Ich würde ja hoffen, dass zumindest in so einem Fall kein Umgang angeordnet wird. Man kann nicht eine Fußfessel anordnen und den Umgang nicht ausschließen“, sagt Hedayati.

Asha Hedayati ist eine deutsche Rechtsanwältin für Familienrecht und Autorin.

© Mario Heller/Tagesspiegel

Sie berichtet von einer Frau, der das Nasenbein bei der Übergabe zu einem Umgang vom Vater ihres Kindes gebrochen worden sei. Das Kind habe daneben gestanden. „Das macht etwas mit dem Kind. Das erlebt ja die Gewalt. Kinder, die Gewalt miterleben, haben ein größeres Risiko, selbst Gewalt als Erwachsene zu erleben oder gewalttätig zu werden.“ In diesem Zusammenhang sei die wichtigste Prävention: das frühzeitig zu unterbinden. „Das Problem ist doch: Wenn Kinder mitbekommen, dass dem Vater keine Grenzen gesetzt werden und er keine Konsequenzen fürchten muss, dann prägt sie das. Das macht etwas mit ihrem Leben, das hat Auswirkungen auf die Zukunft des Gewaltschutzes.“

Es geht nicht darum, den Vater ganz auszuschließen

Hedayati sagt: „Eine Kindeswohlgefährdung ist nicht nur, wenn Väter ihre Kleinkinder schlagen, sondern auch, wenn Jugendliche ihre Mütter oder andere Menschen schlagen, weil sie vom gewalttätigen Vater unter Druck gesetzt werden.“ Sie bekomme immer wieder mit, dass älteren Jungs Gewalt gegen die Mutter ausübten, wenn sie es lange genug vom Vater miterlebt hätten.

Auch Frauenzentrumsleiterin Steyer berichtet von einer Frau, die ihre älteren Kinder beim Vater zurückgelassen habe, weil die sie ebenfalls geschlagen hatten. „Sie nahm nur das Kleinkind mit in die Schutzwohnung.“

„Es geht aber grundsätzlich gar nicht darum, den Vater komplett aus allem auszuschließen. Es ist wichtig, dass man ihm Therapieangebote macht, ihm ein Antigewalttraining auferlegt. Das ist ein Punkt bei der geplanten Änderung des Gewaltschutzgesetzes, den ich befürworte“, sagt Asha Hedayati: „Aber das Ziel, die Gewalt zu beenden, kann so allein nicht erreicht werden. Debatten über die Fußfessel und Frauenhausplätze sind wichtig. Wenn wir hauptsächlich nur darüber reden, setzen wir aber voraus, dass es weiterhin Gewalt gibt. Dabei wollen wir doch eine Gesellschaft, in der es keine Gewalt gibt.“

Anwältin: Gerichte werden oft erst aktiv, wenn Gewalt eskaliert

Um das zu erreichen, müsse in den Kitas und in anderen Bildungseinrichtungen angefangen werden, die Kinder aufzuklären zu dem Thema: Es müsse Gleichstellung thematisiert werden, problematische Männlichkeitsbilder müssten bei den Jüngsten dekonstruiert werden, sagt Anwältin Hedayati.

Dass oft erst dann gehandelt wird, wenn es eigentlich schon zu spät ist, erlebe sie oft in der Praxis: Gerichte würden immer wieder erst dann zugunsten von Müttern aktiv, wenn die Nachtrennungsgewalt durch den Vater erwiesenermaßen eskaliert ist: „Es gab Umgänge, da wurde bei den Übergaben der Mandantin körperliche Gewalt angetan, dann war das Gericht sehr schnell. Und der Vater hatte plötzlich kein Interesse mehr an dem Kind.“

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