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Temporäre Haltestellen vor Schulen in einigen Bezirken sollen Eltern ermöglichen, ihre Kinder abzuliefern. Parken soll hier nicht erlaubt sein.

© Ralf Hirschberger/dpa

Berliner Verkehr: Helfen Straßensperrungen vor Grundschulen?

Am Verkehrschaos vor Schulen sind oft Eltern beteiligt. Helfen Haltezonen oder gar Straßensperrungen? In Charlottenburg gibt es einen konkreten Vorschlag.

Es ist ein Teufelskreis. So sieht es nicht nur Martin Burth aus der SPD-Fraktion der Charlottenburger Bezirksverordnetenversammlung (BVV): Wenn einige Eltern ihre Schützlinge mit dem Auto morgens direkt vor die Schule bringen, so machen es ihnen schnell alle anderen nach. Eine häufige Begründung: Es sei zu gefährlich für die Kinder, sich den Schulweg zu Fuß zwischen den haltenden oder parkenden Autos zu bahnen.

Um dem Verkehrschaos vor Schulen entgegenzuwirken, hat der Sprecher des Ausschusses für Umwelt, Natur- und Klimaschutz der BVV nun einen Antrag vorgelegt, der auch in anderen Bezirken mit Interesse betrachtet werden dürfte. Darin fordert er das Bezirksamt auf, ein Pilotprojekt mit dem Titel „Sicherer Schulweg“ einen Monat lang zu testen. Als Versuchsobjekt schlägt er die Nehring-Grundschule vor, die wenige hundert Meter südlich vom Schloss Charlottenburg liegt. Der Straßenabschnitt vor dem Schulgelände solle vor Schulbeginn und zum Schulschluss für Kraftfahrzeuge je eine Dreiviertelstunde lang gesperrt werden, heißt es in dem Antrag. Der liegt nun den Ausschüssen zur Prüfung vor.

Gefährungssituationen, weil Eltern in zweiter Reihe parken

Burth möchte, dass das Pilotprojekt in der ersten Schulwoche nach den nächsten Sommerferien beginnen kann. Die Nehring-Schule hat er ausgewählt, weil dort alle Schüler zur selben Zeit Schulschluss haben. Ein weiterer Grund ist, dass die Nehringstraße, an der die Ganztagsschule liegt, ein verkehrsberuhigter Bereich ist. Die Fußgänger hätten hier sowieso Vorrecht, sagt Burth. Und es sei erträglich für den Verkehr in der Stadt, die Straße zeitweise zu sperren, schließlich sei die Straße keine Hauptverkehrsader. Und dennoch komme es morgens und nachmittags zu Gefährdungssituationen – weil die Eltern ihre Kinder bringen oder abholen und dabei auch gern mal in der zweiten Reihe parken. So beschreibt es Rektorin Aina Lappalainen, die die Grundschule seit 2013 leitet. Zudem würden zwei Behindertenparkplätze, die sich unmittelbar vor der Schule befinden, dabei unrechtmäßig besetzt werden.

Der Bezirksverordnete Burth hat den Ablauf selbst beobachtet. Viele Eltern neigten dazu, die Schüler bis in den Klassenraum zu begleiten. Das Auto bleibe währenddessen auf dem Gehweg stehen. Besonders schlimm sei, dass viele Eltern in Eile seien und somit oft hektisch. Direkt nach den Sommerferien hätten Polizeibeamte den Verkehr im Bereich vor der Schule beruhigt. Als die Beamten dann wegblieben, kam das Chaos wieder. Zu Unfällen unmittelbar vor der Grundschule ist es laut Polizei in den vergangenen Jahren allerdings nicht gekommen. Burth möchte vorbeugen. 400 Meter soll der gesperrte Straßenabschnitt vor der Nehring-Schule lang sein. Die 200 Meter links vom Eingang und die 200 Meter rechts davon sollen also zeitweise Autofrei bleiben. Der Antrag sieht an beiden Enden jeweils eine Barke zur Absperrung vor. Zusätzlich soll je ein Polizist dafür sorgen, dass auch wirklich keine Autos in den gesperrten Abschnitt gelangen. Umgekehrt können Fahrzeuge, die innerhalb der Sperrzone geparkt haben, ungehindert rausfahren.

Kiss-and-Go-Area in Spandau

Die Eltern sollen also vor der Zone halten, an sogenannten Kiss-and-Go-Haltestellen, jedoch nicht parken. „Die letzten 200 Meter dürfen die Kinder laufen“, sagt Burth. Ein Schülerlotse sei für die wenigen Meter nicht nötig. Und der Effekt? Burth hofft, dass die Eltern es dann ganz lassen, die Kinder mit dem Auto zur Schule zu fahren. Er möchte nicht nur erreichen, dass der Schulweg sicherer wird, sondern auch dass die Kinder mehr Selbstständigkeit erlangen. Nach Abschluss des Projekts will Burth es mit den Kindern und deren Eltern evaluieren.

Auch in anderen Bezirken ist der rege Verkehr zu den Stoßzeiten vor den Schulen ein großes Thema. In Spandau wurde bereits im November beschlossen, dass vor einer Grundschule ebenfalls modellhaft eine Kiss-and-Go-Area eingerichtet werden soll. Wo und wann, steht noch nicht fest. Die Schöneberger Werbellinsee-Grundschule hatte vor zwei Jahren ihre Schülerlotsen wegen übermäßiger Gefährdung durch rücksichtslose Autofahrer von einer benachbarten Kreuzung abgezogen. Mittlerweile sollen sich die Verhältnisse verbessert haben: Nach Auskunft der Schulleitung betreuen nun Eltern die Schülerlotsen und begleiten deren Einsätze vom Straßenrand aus. Das bewähre sich: „Die Kinder fühlen sich nicht mehr so bedroht.“ In Köpenick berichtet ein Schulleiter, dass ein Vater sein Kind eines Morgens mit dem Auto auf das Schulgelände gefahren habe. Als er den Vater aufforderte, das Auto vom Gelände zu fahren, seien ihm Schläge angedroht worden.

Schulwegpaten in Neukölln

Gabi Jung vom Umweltverband BUND koordiniert das Projekt „Zu Fuß zur Schule und zur Kita“, das bereits 1994 gestartet wurde. 2018 fanden die Aktionstage des Projekts bereits zum zwölften Mal statt – in Berlin hätten rund 70 von insgesamt 409 Grundschulen und 2000 Kitakinder teilgenommen. Eine offizielle Elternhaltestelle gibt es bislang nur in Kreuzberg an der Reinhardswaldschule, weiß Jung. 2016 wurde diese eingerichtet. Außerdem habe man in Neukölln auf mehreren Parkplätzen Treffpunkte für Eltern und Schüler ausgewiesen. In jedem Bezirk gebe es Versuche, das Problem einzudämmen.

Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie gibt auf Nachfrage ein Schulwegpatenprojekt an der Neuköllner Schule Am Sandsteinweg als Positivbeispiel an. Ähnliches gebe es an der Grundschule am Buschgraben in Zehlendorf. In dem Bezirk bringe außerdem das Konzept „Tausendfüßler“, nach dem Eltern Schulweggemeinschaften bilden, mehr Sicherheit. Im Februar wollen sich Vertreter der Senatsverwaltung mit dem Bezirksamt Reinickendorf und der Polizei zusammensetzen, um das Thema Schulwegsicherheit für diesen Bezirk genauer zu betrachten.

In Brandenburg kümmert sich das Netzwerk Verkehrssicherheit um die Problematik. Schulen können sich hier Schilder für Haltezonen bestellen. Der Wiedererkennungseffekt sei wichtig, genauso wie das zentrale Konzept drumherum, sagt Koordinatorin Jung. Sie wünscht sich, dass auch in Berlin Haltestellen entstehen, denen ein gemeinsames Konzept zugrunde liegt. Darüberhinaus sei es wichtig, dass alle Beteiligten eingebunden sind: Eltern, Kinder, Schulen und auch die Polizei. „Kinder können nicht sicher werden, wenn sie ständig im Auto gefahren werden“, sagt Jung.

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Lesen Sie mehr im Spandau-Newsletter: "Spandau soll ‚Kiss&Go-Areas‘ vor jeder Grundschule einrichten.“ Der Plan stammt von Christian Haß, SPD, und Lars Leschewitz, Linke. Hier der Text aus dem Spandau-Newsletter. Das sagt einer der höchsten Spandauer Polizisten zur Sicherheit vor den Schulen. Und das sagen Bürgermeister Helmut Kleebank, SPD, und Sie, die Leserinnen und Leser des Newsletter, zur Debatte.

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