
Ruhestand auf Zwang: Innenausschuss soll Pensions-Affäre bei der Polizei klären
Vorwürfe gegen die frühere Polizeiführung: Beamte sollen nach Unfällen oder Krankheit mit fragwürdigen Arztgutachten in Pension geschickt worden sein.
Mehr als ein Jahr lang hat es der Innenausschuss des Abgeordnetenhauses vor sich hergeschoben. Für Montag ist nun eine Anhörung angesetzt, in der es um schwere Vorwürfe gegen die frühere Polizeiführung geht - um Beamte, die vorzeitig in die Pension geschickt wurden, bei denen getrickst worden sein soll, um das sogenannte Zurruhesetzungsverfahren abzuschließen.
In Gang gesetzt worden war die Anhörung im Innenausschuss durch einen Bericht des RBB im Februar 2018: Vier Beamte berichteten davon, wie sie nach Dienstunfällen, nach Krankheit oder nach Angriffen mit Tricksereien und mit fragwürdigen ärztlichen Gutachten aufs Abstellgleis geschoben werden sollten.
Sie schilderten auch, wie der Dienstherr, dem gegenüber sie sich zur Loyalität verpflichtet haben, diese Loyalität den Beamten gegenüber vermissen ließ. Und wie die Gerichte dieses Vorgehen und auch polizeiärztliche Gutachten in mehreren Fällen zerpflückt haben.
Doch als sich der Polizei-Berufsverband „Unabhängige“ nach dem RBB-Bericht vom Februar 2018 an die Fraktionen im Abgeordnetenhaus gewandt hatte, gab es kaum Reaktionen. Nur die AfD nahm sich des Themas an: Auf den bereits vor einem Jahr gestellten Antrag hin wird am Montag ein Vorstandsmitglied der Unabhängigen angehört, die anderen Fraktionen verzichteten auf eigene Vorschläge für Anzuhörende.
Allerdings ist für die Koalition das Thema auch ein Stück weit erledigt - durch die Entlassung des früheren Polizeipräsidenten Klaus Kandt und den Aufstieg seiner damaligen Vize-Präsidentin Margarete Koppers zur Generalstaatsanwältin. Die frühere, maßgebliche Führung ist nicht mehr bei der Polizei.
1022 Verfahren in sieben Jahren
Der Vorwurf, den die Unabhängigen machen: Nach Dienstunfällen oder Angriffen seien zahlreiche Beamte durch das Raster der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gefallen. Der RBB hatte von insgesamt 1022 Zurruhesetzungsverfahren in den Jahren 2010 bis 2017 berichtet. Der Berufsverband hat den Verdacht, dass es weitere Verfahren gab, die Polizei in diesen Fällen aber vor dem Verwaltungsgericht den Rückzug antreten musste, um kein negative Gerichtsbeschluss zu kassieren.
Es sind harte Vorwürfe, die seit 2018 im Raum stehen, doch geschehen ist bislang kaum etwas. Aus Sicht der Unabhängigen will bislang niemand Verantwortung übernehmen, auch viele Fragen sind noch offen. Dass zahlreiche Frühpensionierungen notwendig waren, bezweifelt auch der Berufsverband nicht. Und doch listen die Unabhängigen eine zweistellige Zahl von Fällen auf, in denen Beamte erfolgreich dagegen vorgegangen sind.
Eine Ursache für das rigide Vorgehen der Behörde sind auch Sicht des Verbandes die Sparjahre in Berlin. Politisch verantwortlich: SPD, Linke, später auch die CDU. Auch die Polizei musste Personal abbauen, Polizeischüler bekamen in Berlin keine Perspektive und gingen nach Hamburg.
Die Berliner Polizei stellte kaum neu ein, das Personal überalterte. Um gegenzusteuern, so lautete der Vorwurf des Verbandes, habe die Polizeiführung die Zahl der Zurrruhesetzungen drastisch erhöht - immer mit Gutachten des ärztlichen Dienstes der Polizei.
Die Polizei selbst ging Anfang 2018 nur von einer geringen zweistelligen Zahl von Fällen aus, in denen sie die Gerichtsverfahren gegen Beamte verloren hatte. AfD und FDP erhoffen sich nun Aufklärung darüber, in wie vielen Fällen die Polizei Erfolg hatte vor Gericht und in wie vielen Fällen sie nach eindeutigen Hinweisen der Richter den Rückzug angetreten hat.
Verband vermutet systematisches Vorgehen
So befanden die Unabhängigen, die auch den Gesamtspersonalratsvorsitzenden der Polizei stellen, dass es in zahlreichen Fällen in den ärztlichen Gutachten, mit denen Beamte für dienstunfähig erklärt werden sollten, Ungereimtheiten gibt. Auch das Verwaltungsgericht ist dieser Einschätzung in mehreren Fälle gefolgt, wenn etwa Beamten eine „narzisstische Persönlichkeitsstörung“ oder infantile Züge vorgeworfen wurden. Wobei die Frage bleibt, wie die Betroffenen bei solchen Diagnosen überhaupt Beamte werden konnten.
Aus Sicht des Berufsverbands gehen die Vorwürfe noch tiefer: Der Verband hegt den Verdacht, dass ein systematisches Vorgehen vorliegt, um mit falschen ärztlichen Diagnosen Beamte loszuwerden. Und auch die Justiz ist betroffen: Als Beamte nach ihrem Sieg vor dem Verwaltungsgericht dann Strafanzeige erstattet haben, wurden die Ermittlungen wegen Verjährung eingestellt.
Für den FDP-Innenexperten Marcel Luthe geht es bei den Vorwürfen nur um die Spitze des Eisbergs beim Personalwesen der Berliner Polizei. Für Luthe ist die Zwangspensions-Affäre eine Folge der Ära von Ex-Polizeivizepräsidentin Koppers, denn sie war für Personal und Finanzen zuständig. Und der polizeiärztliche Dienst wurde direkte an die Führung angebunden.
Die heutige Führung unter Polizeipräsidentin Barbara Slowik ist nun in einem Dilemma. Sie wird im Innenausschuss wegen des Datenschutzes kaum auf die Einzelfälle eingehen können. Betroffene Beamte, die ebenfalls als Gäste erwartet werden, erhoffen sich aber zumindest Aufklärung über das Vorgehen der früheren Polizeiführung.
Denn für zahlreiche Beamte blieben die Verfahren und der erfolgreiche Kampf gegen die Zwangspensionierung nicht ohne Folgen: finanziell, privat, seelisch. Und wie bei den von der Schießstandaffäre betroffenen Polizisten geht es nicht selten auch um die Anerkennung von Dienstunfällen. Bereits in der Schießstandaffäre zeigte sich bei den Beamten ein immenser Vertrauensverlust der Beamten gegenüber dem Dienstherrn, dem Staat.