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Der Bettenturm am Charité-Campus in Berlin-Mitte.

© Foto: dpa/Paul Zinken

Exklusiv

„Zu wenig Zeit für Forschung und Lehre“: Junge Ärzte kritisieren Arbeitsbedingungen an der Berliner Charité

Eine interne Umfrage an Berlins Universitätsklinik zeigt, was in der Medizinmetropole noch zu tun ist. Derweil steigt auch für die Charité der Kostendruck.

Knappe Zeit in den Laboren, schleppende Digitalisierung und steigende Materialpreise – die Charité steht unter wachsendem Druck. Dem Tagesspiegel liegt die 40-seitige Auswertung einer Mitarbeiterbefragung vor, an der sich fast 8500 Beschäftigte beteiligten. Demnach empfehlen nur 44 Prozent der Befragten die Charité als Arbeitgeber weiter – und insbesondere junge Ärzte tun dies noch seltener.

Weniger als 15 Prozent der Mediziner unter 40 Jahre würden die landeseigene Universitätsklinik als guten Arbeitsplatz empfehlen. Viele Beschäftigte litten, heißt es in der internen Auswertung, unter zu „wenig Digitalisierung“ und „zu wenig Zeit für Forschung und Lehre“.

Ein Charité-Sprecher sagte, die erwähnten 44 Prozent der Befragten empfehlen die Charité „uneingeschränkt“ weiter, die Zustimmung insgesamt sei größer. Zudem entwickele man weitere familienfreundliche Karrieremodelle und treibe Digitalisierung sowie Entbürokratisierung voran.

Der Marburger Bund führt derzeit Tarifverhandlungen für die 2700 Charité-Mediziner. Die Ärztegewerkschaft fordert neben 6,9 Prozent mehr Gehalt weniger Bereitschaftsdienste und verlässlichere Dienstpläne. Mittelfristig könnte dies zur Folge haben, dass die Hochschulklinik weitere Ärzte anstellen muss. Erst vergangenen Sommer streikten die in Verdi organisierten Charité-Pflegekräfte für mehr Personal pro Station. Inzwischen gilt der danach ausgehandelte Entlastungstarifvertrag.

65 Prozent der Befragten unterstützen Charité-Strategie

An der Charité arbeiten samt Tochterfirma CFM fast 21.000 Beschäftigte. Mit 3000 Betten in Steglitz, Wedding und Mitte sowie 2,3 Milliarden Euro Jahresumsatz ist die Charité die größte Hochschulklinik Europas. Dem sechsköpfigen Vorstand steht Heyo Kroemer vor, den Aufsichtsrat führt Gesundheits- und Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Grüne).

Als landeseigene Universitätsklinik soll die Charité die zentrale Rolle im Ausbau Berlins zur „Gesundheitsstadt 2030“ spielen. Dazu werden Milliarden Euro für Modernisierungen verplant, jeder Campus soll eigene Schwerpunkte bilden. Am Standort in Mitte setzen die Planer beispielsweise auf Translation: Damit sind jene Schritte gemeint, mit der Forschungsergebnisse in der Patientenversorgung angewendet werden. Während 65 Prozent der Beschäftigten in der obigen Umfrage angaben, sich „für den Erfolg der Strategie 2030 einzusetzen“, konnten nur 25 Prozent sagen, was das für ihre Arbeit „konkret bedeutet“.

Bedroht die Inflation das Charité-Herzzentrum?

Eine besondere Rolle in der Medizinmetropole wird das Herzzentrum der Charité am Virchow-Campus in Wedding einnehmen. Das über Jahrzehnte selbstständige, von einer Stiftung getragene Zentrum war in die Klinik integriert worden und soll nun für fast 400 Millionen Euro modernisiert werden. Allerdings liegen dem Pläne aus der Zeit zugrunde, in der weder Coronakrise noch die aktuelle Inflation absehbar waren.

Die FDP im Abgeordnetenhaus fordert deshalb, alle Möglichkeiten zu prüfen, damit private Akteure der Gesundheitswirtschaft, Investoren und Mäzene in Finanzierung und Betrieb des Herzzentrums einbezogen werden können. In bestimmten Fällen seien private Beteiligungen möglich, teilte der Charité-Sprecher mit, man diskutiere derlei mit dem Senat.

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In der rot-grün-roten Koalition wiederum dürfte darüber gesprochen werden, dass die Charité über keine Professur zu gynäkologischer Endokrinologie und Reproduktionsmedizin verfügt. Das geht aus einer Antwort von Wissenschaftsstaatssekretärin Armaghan Naghipour (parteilos, für Grüne) auf Frage der Abgeordneten Bahar Haghanipour (Grüne) hervor, die dem Tagesspiegel vorab vorliegt.

Wegen mangelnder Expertise fehlten Charité-Beiträge zur Debatte um Reproduktionsgesetze, Schwangerschaftsabbrüche und Präimplantationsdiagnostik, sagte Haghanipour, gleichstellungspolitische Sprecherin der Grünen: „Die Charité verkennt die zentrale Rolle von Forschung und Ausbildung zu Fehlgeburten und Abtreibungen.“ Es sei erschütternd, dass Berlins Hochschulmedizin „keinen qualifizierten Beitrag zur öffentlichen Aufklärung dieser grundlegenden Gesundheitsversorgung von Frauen leistet“.

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Dem widerspricht die Charité-Spitze. In Berlin gebe es hochspezialisierte Praxen für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, in denen auch ehemalige Charité-Fachleute arbeiteten, die mitunter noch in der Klinik lehrten. „Da die ambulante Versorgung in dem genannten Fachbereich in Berlin exzellent aufgestellt ist“, sagte der Charité-Sprecher, „erscheint die Einrichtung einer Professur nur sinnvoll, wenn damit auch eine Lücke in der Versorgung geschlossen würde, die aktuell nicht vorhanden ist.“

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