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Berlin: Känguruwürste kommen nur noch aus der Lausitz

Die Grüne Woche ist erneut ein Publikumsmagnet und zog wieder mehr als 400 000 Besucher an, doch ihr internationales Flair schwindet. Es droht der Abstieg zur Regionalmesse

Wieder zehn Tage Grüne Woche, wieder zehn Tage Erfolg. Die weltgrößte Verbrauchermesse hat ihr Ziel, so viele Besucher wie nur möglich anzuziehen, auch 2004 weitgehend erfüllt, und das, obwohl sie sich permanent verändert. Von der Leistungsschau des Reichsnährstands über das Fernwehpanorama der Nachkriegs- und West-Berlin-Zeit bis zur international getönten Regionalmesse heute spannt sich der Bogen. Doch bei aller vordergründigen Lust am Essen und Trinken hatte die Grüne Woche immer auch eine politische Legitimation; gegenwärtig ist das der Streit um die ökologische Landwirtschaft, der auf dem beliebten Berliner Testmarkt gewissermaßen stellvertretend ausgetragen wird.

Ministerin Künast, so präsent wie kein Fachminister vor ihr, nutzte jede Gelegenheit, ihr schwächelndes Paradepferd über die Hürden zu tragen und ließ schon beim Eröffnungsrundgang keinen Zweifel daran, wo ihre Prioritäten liegen. Die andere Seite, unterstützt vom Bauernpräsidenten Sonnleitner, bemühte sich, die konventionelle Landwirtschaft in mindestens ebenso freundlichem Licht erscheinen zu lassen. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusehen, dass auch die Schlacht um die Gentechnik im Essen hier in den kommenden Jahren exemplarisch ausgetragen wird.

Die Besucher dürfte das alles eher verwirren. Denn die extensive Präsenz der benachbarten Bundesländer – vor allem Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt – führte dazu, dass Produkte aus diesen Ländern, bio oder nicht, in mehreren Hallen auftauchten, ohne dass der Unterschied so recht klar wurde: in der Bio-Halle, der Länderschau, der CMA-Halle und eventuell auch noch in der „Markenschau“, die zutreffender Bierschwemme geheißen hätte. Einen Vorteil hat diese Tendenz zu überwölbenden Themen immerhin: Kleine Qualitätsbetriebe haben nur dann die Chance, sich dem Messepublikum zu zeigen, wenn ihnen jemand die Standgebühren von den Schultern nimmt. Früher hat es die Kleineren auf der Grünen Woche nicht gegeben, heute sind sie da, und das ist ein Fortschritt. In der Bio-Schau sah man beispielsweise Erzeuger wie die Hofkäserei Backensholz, Neumarkter Lammsbräu und den Berliner Vollkornbäcker Tillmann, die dem Anschein nach viele Besucherkontakte hatten. Ob es sich auch um spätere Kunden handelt? Sehr fraglich.

Zumal der typische Besucher offenbar anders als früher nicht sehr von Entdeckerlust getrieben wird, sondern eher die Selbstvergewisserung im Vertrauten sucht. Nicht von ungefähr herrschte der größte Andrang stets in der Brandenburg-Schau, die den Speckgürtel Berlins in voller Breite darbot und ein Hochamt der Spreewaldgurke inszenierte. Im Gewühl überzeugte man sich davon, dass die Heimat noch am Leben ist. Ähnlich konzipiert war die Seeräuber-Geisterbahn der Mecklenburger, die sich stärker auf Bier und Hering stützte, allemal eine Repetition bemooster touristischer Klischees – schwer verständlich, dass die Chance, junge Gäste zu erreichen, durch so altbackene Darbietungen immer wieder verschenkt wird.

Das größte Defizit der gegenwärtigen Grünen Woche ist das Verschwinden des Auslands. Alle Welt redet von Globalisierung - hier findet sie nur noch durch mäßig engagierte Importeure statt, sofern sie nicht gleich von den Deutschen miterledigt wird: Früher kamen die Känguruwürste aus Australien, heute aus der Lausitz. Auch dort, wo Engagement noch spürbar ist, sind Rückzugstendenzen deutlich, beispielsweise beim italienischen Beitrag, der seit dem vorigen Jahr auf jegliche Inszenierung südlichen Lebensgefühls verzichtet. Überhaupt Verzicht: Seit Jahren waren nicht mehr so wenig Schauköche zu sehen, ihre Zeit scheint vorüber. Auch Bühnenshows spielten kaum noch eine Rolle.

Ohne die zunehmende Präsenz der osteuropäischen Länder wäre dies längst eine deutsche Regionalveranstaltung. Leider haben aber auch diese Länder offenbar noch keine rechte Vorstellung davon, womit sie den deutschen Markt eigentlich erobern wollen; eingeschweißte Industriesalami, nachgemachter holländischer Käse und dunkles Bier allein können es nicht sein. Und dass viele andere Länder nur noch in den Drückerkolonnen des üblichen deutschen Weingroßhändlers präsent sind, ist ein Trauerspiel ohnegleichen. Darunter verschwindet selbst ein Land wie Österreich, das genug Grund zu selbstbewusstem Auftreten hätte, in der Belanglosigkeit. Die Schweiz dagegen inszenierte sich wieder souverän als Bastion der Qualität, während die Holländer noch nicht so recht wissen, ob sie weiter tausend Tulpen schwenken oder lieber doch offensiv die Präzision ihrer Landwirtschaft ausstellen sollten.

Wie wird es in den nächsten Jahren weitergehen? Mehr Politisierung, mehr Gemütlichkeit, mehr Regionalisierung werden den Gang der Grünen Woche bestimmen, dazu tätige Lebenshilfe, die Konsumenten und Produzenten näher zusammenrücken lässt. „Squeeze“, sagte der Mann am Stand von Werder-Ketchup mit dem Finger auf der Plastikflasche, „das hat nichts mit dem Geschmack zu tun. Das heißt: hier drücken.“

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