
© Annekathrin Mücke
In Gedenken an eine DDR-Diva: Tenor Björn Casapietra singt in Potsdam Himmelslieder für seine Mutter Celestina
Die Sopranistin Celestina Casapietra war drei Jahrzehnte die Primadonna der Staatsoper Berlin. Tenor Björn Casapietra widmet seiner verstorbenen Mutter ein Konzert in der Potsdamer Nikolaikirche.
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Es wird kein trauriges Konzert, sagt der Berliner Tenor Björn Casapietra, sondern es werde eines voll lebendiger Erinnerung: „Ich singe in der Potsdamer Nikolaikirche die Himmelslieder, wie ‚Halleluja‘ von Leonard Cohen und das ‚Ave Maria‘ von Schubert. Ich möchte mit meiner Musik Herz und Seele berühren, aber auch Hoffnung und Zuversicht vermitteln, besonders in diesen unruhigen Zeiten.“ Casapietra ist das wichtig, und er trägt einen großen Namen.
Celestina Casapietra, seine am 23. August 1939 in Genua geborene Mutter, lebte seit Ende der Sechzigerjahre in Berlin, Hauptstadt der DDR, in Rauchfangswerder in Treptow-Köpenick. „Sie war 30 Jahre lang sowas wie die Primadonna, die Diva der Staatsoper Berlin, bis kurz nach der Wende, als Daniel Barenboim kam.“ Drei Jahrzehnte war sie berühmt und beliebt für ihre Interpretationen: Tosca, Tannhäuser, viele Mozart-Opern.

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„Verheiratet war sie mit meinem Vater, Professor Generalmusikdirektor Herbert Kegel. Die beiden waren in der DDR sowas wie ein Glamourpaar“, erinnert sich der heute 54-jährige, auch gesellschaftlich engagierte Künstler. Sein Vater dirigierte, wie 1976 in der Philharmonie, die Mama sang, der Sohn auch mal mit ihr im Duett. 1983 kam die Trennung der Eltern.
Der Sohn und Tenor Björn Casapietra ist gerade auf Tour, und zuletzt brachte er auch in Kirchen jiddische Wiegenlieder, italienische geistliche Gesänge sowie keltische Gebete an die Natur und den Chorhit „Maria durch den Dornwald ging“ auf die Bühne. Jetzt, am Freitag, 11. Oktober, ab 19.30 Uhr, will der Vater einer Tochter und begeisterte Hundehalter einige Lieder, die mit der Mutter und der Oma zu tun haben, ins Programm einpflegen, wie ein genuesisches Volkslied. Auch er ist in Genua geboren, die italienische Sopranistin reiste damals extra dorthin zurück zum Entbinden, um ihrem Sohn spätere DDR-Reisebeschränkungen zu ersparen.
Die Berliner Star-Opernsängerin ging zurück nach Italien
Das Lied heißt: „Ma Se Ghe Pensu“, das sei Genuesisch, und es handele von einem Genuesen, der nach Spanien auswandert, eine Familie gründet, ein Haus baut und eigentlich in Spanien lebt. „Aber im Refrain besingt er dann die Schönheit Genuas und wie sehr er die Stadt vermisst“, sagt Casapietra. In der zweiten Strophe gebe es einen Dialog mit dem Sohn, der den alten Vater von der Rückkehr abhalten will. Doch der Vater will auch dort beerdigt werden, wo schon die Gebeine seiner Mutter liegen.
„Das ist quasi das Lied meiner Mutter, denn genauso hat sie ihr Leben verbracht“, sagt Casapietra. Den Bühnenstar Celestina Casapietra hat es im Alter zurück in das Dorf Sori gezogen, die Mutter und Oma ging nach Italien, sie fehlte in Berlin. Familiengeschichte, wie sie der Tenor bei seinem Gedenkkonzert in Herz und Seele bei sich tragen wird.
„Ich werde auch aus Richard Wagners Tannhäuser die Arie ‚Lied an den Abendstern‘ singen. Ich habe meine Mutter in der Rolle der Elisabeth bestimmt 30 Mal gesehen, damals als Kind“, erinnert sich Björn Casapietra. Sie war damals aus Liebe zum berühmten Vater, dem Chefdirigenten der Dresdner Philharmonie Herbert Kegel in die DDR gezogen.
„Im katholischen Italien der Fünfzigerjahre haben ihr noch ihre älteren Brüder die Schminke aus dem Gesicht gewischt. Als sie den Wunsch äußerte, Opernsängerin werden zu wollen, sagten sie ihr, dass nur Huren auf eine Bühne gehen würden, um vor Männern zu singen. Daher vermute ich, dass ihre Flucht aus Italien auch ein wenig eine Flucht vor toxischer Männlichkeit war, wie wir sie heute nennen“, sagt der Tenor.
Sie musste auch im Privatleben immer eine Diva sein.
Tenor Björn Casapietra über seine Mutter Celestina Casapietra
„Alleine, dass meine Mutter eine internationale Weltkarriere als Opernsängerin gemacht hat, ist etwas, für das ich sie immer ehren werde. Aber sie war eben auch ein Mensch, der nur als Künstler funktioniert hat, als Kunstfigur.“ Als Mensch alleine, nicht mal als Mutter, habe sie leben oder existieren können. „Sie musste auch im Privatleben immer eine Diva sein. Das hat es mir als Sohn nicht gerade leicht gemacht“, erzählt der Tenor aus Mitte dem Tagesspiegel.

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Als die Operndiva 1990 das Angebot von Daniel Barenboim abgelehnt habe, nur noch kleine Rollen in der Staatsoper in Mitte zu singen, sei der Mensch Celestina Casapietra zunehmend in ein seelisches Loch gefallen. Ersatz-Anerkennungen, Tabletten, Substanzen. Sie aufzuhalten, das sei dem Sohn nicht gelungen.
Als er bei ihr ankam, war sie gerade verstorben
Und doch, was bleibe, als Erinnerung auf der Bühne in Potsdam: „Sie war eine fantastische Sängerin und dafür werde ich sie immer bewundern.“ Seine Mutter ist am 10. August, „an dem Tag, an dem ich in Italien angekommen bin, um sie zu besuchen, gestorben. Ich kam wenige Stunden zu spät.“ Ob das ein Zufall ist?
„Nein. Niemand sollte sie sehen, wie sie, inzwischen 84 Jahre alt, bettlägerig in einem Altersheim lebte, nicht mal ihr eigener Sohn. In diesem Heim wollte sie keinen Kontakt mit niemandem haben. Sie wollte nur in ihrem Zimmer liegen und Musik hören“, sagt Björn Casapietra.
Bei dem Gedenkkonzert in der Potsdamer Nikolaikirche will der Tenor seiner Mutter „ein letztes Mal meine Liebe versichern“.
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