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Musike drin. Das Team von Edeka-Lawrenz vor seiner Supermarkt-Bühne.

© Doris Spiekermann-Klaas

Die Fête de la Musique in Alt-Treptow: Konzert plus Freakshow – live aus dem Supermarkt

Die Fête de la Musique findet in diesem Jahr nur digital statt. Dafür ist man kreativ. In Alt-Treptow werden die Konzerte von der Käsetheke gestreamt.

Wo jetzt noch Chipstütenpaletten und Cola-Flaschentürme den Weg versperren, direkt vor der Käsetheke, wird die Konzertbühne stehen. Mit Lichtanlage, Mischpult, protzigen Drums und dem üblichen Kabelwirrwarr.

Besonders stolz ist die Supermarkt-Crew auf das Rolltor zum Lager. Dort wird am Sonntag gegen 16 Uhr die Kamera draufhalten, dann schnellt das Tor hoch und aus dem Nebel erscheinen die Musiker der ersten Band, die bei Edeka-Lawrenz in Alt-Treptow die Butter zum Schmelzen bringt. 
Die Fête de la Musique traut sich diesmal nicht auf die Straßen Berlins, wegen Corona, dafür wird aus Clubs, Kinos, Museen, Bibliotheken und privaten Wohnzimmern gestreamt. Und aus einem Supermarkt, eine Premiere. Der Edeka-Markt von Sandra Lawrenz erfüllt auf den ersten Blick so gar keine Voraussetzung für einen coolen Veranstaltungsort, genau das macht seinen Reiz aus.

Die Mitarbeiter sind ähnliche Einlagen gewöhnt

Fünf Bands treten auf, in den Umbaupausen gibt es vorproduzierte Backstage-Interviews sowie Show- und Slapstick-Einlagen der Edeka-Belegschaft, auch die Moderation übernimmt ein Kollege. 

Bei Lawrenz sind sie solche Nebenjobs schon gewöhnt. Marketingchef Sascha Frentzen freut sich besonders auf die „Freakshow“, darin werden Pferde- und Froschmasken eine Rolle spielen, Kids skaten durch den Markt, die Chefin wippt und singt an der Wurtschneidemaschine, und getanzt wird eigentlich ständig, gerne im Takt des Kassenscanners. 

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Für den Trailer des Streams, gerademal 50 Sekunden lang, haben sie bis drei Uhr morgens im Markt gedreht. Der Alltagsort Supermarkt, den viele als notwendiges Übel wahrnehmen, entwickelt dort ein Eigenleben, versprüht Energie und Lebenslust. Der Film „Nachts im Museum“ fällt Sandra Lawrenz dazu ein. 

Der Supermarkt ist kein gewöhnlicher Einkaufsladen

Warum sie das alles macht? Weil sie es kann. Ihr gehört der Markt, nicht Edeka. Habe sich alles irgendwie ergeben, sagt die 41-Jährige, die in Tegel aufgewachsen ist. Sie kennt Leute aus ihrer Jugend, die in Bands spielen und immer nach Auftrittsgelegenheiten suchen, da dachte sie eben auch mal an ihre Käsetheke, da wäre doch Platz.

Aber wie sollte das gehen, bei laufendem Betrieb? Besser, einen Lkw mit ein paar Boxen auf den Parkplatz zu stellen, „Plane hoch, Feuer frei.“  So war das vor vielleicht fünf Jahren bei ihrer ersten Fête-Teilnahme. Die Kundschaft war zufrieden, neue Bands meldeten sich, also wuchsen in den folgenden Jahren auch die Bühne und das Programm.

Vor zwei Jahren trat die bekannte Punkrock-Band Cryssis auf dem Parkplatz auf. Als die Polizei darum bat, das Konzert zu beenden, protestierten die Fans und die Band spielte unplugged weiter.

Die Fête 2020 drohte zunächst auszufallen, dann beschlossen die Organisatoren, ins Netz auszuweichen, und Lawrenz beriet mit sich und ihrem Team, was das bedeuten könnte. Das Geschäft hat wegen Corona mehr Umsatz gemacht als sonst, die Konzertveranstalter und -techniker, die auch diesmal für die professionelle Abwicklung zuständig sind, können dagegen jeden Auftrag gebrauchen. Also entschied die Chefin mitzumachen.

Auf Facebook gibt es bereits einen Trailer

Edeka-Lawrenz ist kein normaler Supermarkt. Auf dem Parkplatz steht ein Bauwagen, in dem regelmäßig zum Repair-Café geladen wird, daneben haben sie mit Leuten aus dem Kiez ein Hochbeet gebaut, es gibt Flohmärkte, Tauschbörsen und Malaktionen. Einen Poetry-Slam hat Frentzen schon im Markt organisiert. Auf den Social-Media-Kanälen erzählt er kleine Geschichten rund ums Sortiment oder versendet satirisch gefärbte Botschaften zum Muttertag, das soll die Menschen mit ihrem Edeka-Markt verbinden.

Es geht natürlich um Werbung, aber eben witzig verpackt. Für die Fête-Aktion will ihr ehemaliger Deutschlehrer aus seinem Buch über Walter Benjamin vorlesen, erzählt Lawrenz, darin spielen auch Schüler-Texte zu Cornflakes, Café Creme und Nutella eine Rolle. Passt also perfekt in den Kosmos von Aromen und Genüssen, der sich im Lebensmittelregal versammelt, aber eben oft leblos wirkt und ebenso achtlos in den Einkaufswagen befördert wird.

Es ist natürlich auch Werbung - aber mit viel Spaß

Die schlechte Laune und Genervtheit mancher Kunden aufbrechen, gerade in der Coronakrise, auch das möchten die Chefin und ihr Kommunikationsexperte Frentzen mit der Fête und anderen Aktionen erreichen. Im Trailer, der schon auf Facebook zu sehen ist, bewegen sich die Angestellten nach dem Party-Hit „Baby jetzt tanz“ der Berliner Elektropop-Band Koro!Koro!Koro!, deren Album ausgerechnet „Nahrung & Paarung“ heißt. Vier weitere Bands bestreiten den Abend, darunter Katschi, Saalfrank & Kaya und die mexikanische Band Third Noise.

Nach fünf Stunden ist diesmal allerdings wirklich Schluss, analoge Zugaben auf dem Parkplatz sind nicht geplant. Im Fête-Programm versteckt sich der Edeka übrigens hinter dem Label Bienenhauptquartier oder dem Kürzel HQ1. Die Biene ist das Maskottchen des Marktes, weil bei der Eröffnung 2012 ein Bienenvolk auf dem Dach siedelte.

Irgendjemand fing irgendwann an, von Bienenhauptquartier zu sprechen, daraus wurde das Kürzel HQ, die 1 kam dazu, weil es inzwischen auch die 2 gibt, einen weiteren Edeka-Lawrenz am Maybachufer. Aber der hat keinen Parkplatz. Die Fête 2021, nach der Coronakrise, steigt also höchstwahrscheinlich wieder in Alt-Treptow, Heidelberger Straße 90. Schon mal vormerken.

Den Livestream der Fête de la Musique findet man unter www.fetedelamusique.de

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