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01.01.2024,Berlin,GER, - Impressionen aus der Silvesternacht 23/24 in Berlin. Im Bild: Rettungswagen auf dem Weg zu einer Einsatzstelle in der Silvesternacht. *** 01 01 2024,Berlin,GER, Impressions from New Years Eve 23 24 in Berlin The picture shows an ambulance on its way to an emergency scene on New Years Eve

© imago/Marius Schwarz

Böller-Attacken an Silvester in Berlin: „Diese Typen schaden ihrer ganzen Community“

Berlins Politik ringt um eine Erklärung für die Silvester-Exzesse – und um die nötigen Folgen. Die einen fordern „die harte Hand des Rechtsstaats“ ein, andere setzen auf die ganze Gesellschaft.

Stand:

Drei Tage nach der vom Missbrauch von Pyrotechnik überschatteten Silvesternacht in Berlin tobt die politische Debatte über notwendige Konsequenzen. Die AfD-Fraktion kündigte an, eine in der Vergangenheit scharf kritisierte und schließlich gescheiterte Anfrage zu Vornamen von Festgenommenen zu stellen.

CDU-Generalsekretärin Ottilie Klein sprach sich gegen ein generelles Böllerverbot und für harte Strafen aus. Wer seine Verachtung gegenüber dem Staat und seinen Werten mit Gewalt auf die Straße bringt, „der muss die harte Hand des Rechtsstaats spüren oder seine Koffer packen“, erklärte Klein, ohne die Ermittlungen zur Herkunft mutmaßlicher Täter abzuwarten.

Neuköllns Bezirksbürgermeister und SPD-Landesvorsitzender Martin Hikel (SPD) nahm die Gruppe mutmaßlicher Täter in den Blick: „Junge Männer, die meinen, tun und lassen zu können, was sie wollen: So kann man den Täterkreis zusammenfassen“, sagte er. „Aber wir reden nicht mehr nur über Dummheiten, sondern teils über schwere Straftaten.“ Das Jugendstrafrecht solle jungen Menschen eine zweite und dritte Chance ermöglichen. Aber irgendwann reiche es und auch das Jugendstrafrecht finde seine Grenzen, vor allem wenn man über 20-Jährige sprechen.

„Wenn Einsatzkräfte oder völlig unbeteiligte Kinder angegriffen und schwer verletzt werden, dann hilft nur noch festnehmen und verurteilen. Diese Typen schaden nicht nur sich selbst, sondern ihren Eltern und ihrer ganzen Community.“ Es könne keinerlei Rechtfertigung für jemanden geben, der Kinder oder Einsatzkräfte angreife.

Der Berliner Psychologe und Soziologe Kazim Erdogan, der mit der Gründung von „Väter- und Männergruppen“ in Neukölln bekannt wurde, sprach mit Blick auf die Silvesternacht von einer „schrecklichen Entwicklung“, die die gesamte Gesellschaft etwas anginge. Die Menschen, die so etwas machten, hätten kein „Wir-Gefühl“. „Menschen, die sich benachteiligt fühlen, schreien nach Hilfe.“ Dabei spiele es keine Rolle, ob es die Benachteiligung tatsächlich gebe oder sie nur empfunden sei.

Erdogan sieht es auch so, dass die Vorfälle oft von Jugendlichen mit Migrationsgeschichte ausgingen. Aber er sagt: „Meine Empfehlung ist, nicht nach Ethnie, Religion oder Zugehörigkeit zu beurteilen. Denn es sind junge Menschen, die in Deutschland geboren, aufgewachsen und sozialisiert sind.“ Statt das Trennende hervorzuheben, müsse man auf Gemeinsamkeiten fokussieren. „Die aufsuchende Arbeit und intensive präventive Maßnahmen sind in meinen Augen die Lösungen“, sagte er.

„Nirgendwo sonst wird so exzessiv geböllert wie in Deutschland und Berlin“

Mit Blick auf die nach den Silvesterkrawallen bei Jugendhilfegipfeln beschlossenen Maßnahmen sagte er, es seien Versprechungen gemacht worden, die nicht eingehalten werden konnten, teils sei auch versprochenes Geld nie geflossen. „Wenn wir keine dauerhaften Angebote haben, werden wir immer wieder solche Vorfälle erleben.“

Clara Schedlich, jugendpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, betonte ebenfalls die gesamtgesellschaftliche Dimension der Silvesternacht. „Es sind nicht die Jugendlichen, die den ganzen Spaß erfunden haben. Wir als Gesellschaft geben den Rahmen vor“, erklärte sie und bezog sich damit auf den Eindruck, dass Regelverletzungen etwa auch in Sachen Alkoholkonsum in der Silvesternacht eher akzeptiert würden. „Die männliche Sozialisation beruht weniger auf Verantwortungsbewusstsein und Vorsicht als die von Mädchen“, ergänzte Schedlich, die seit Beginn ihrer politischen Karriere ein Böllerverbot fordert. Ihrer Erfahrung nach werde nirgendwo sonst so exzessiv geböllert wie in Deutschland und Berlin, weshalb es auf den Straßen mitunter „lebensgefährlich“ zugeht, wie Schedlich beschrieb.

Ähnlich äußerte sich Katrin Seidel, jugendpolitische Sprecherin der Linksfraktion. Dabei, in der Silvesternacht in Gruppen durch die Straßen zu ziehen und zu böllern, handele es sich für viele Jugendliche „um ein ihnen sehr wichtiges Ritual“, erklärte sie. Vor allem Jungs und junge Männer fühlen sich „von der Leine gelassen“, erklärte Seidel und reagierte ratlos auf die Frage, wie sich Grenzüberschreitungen verhindern lassen. Böllerverbote allein würden das Problem nicht lösen, ist sie sich sicher.

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