
© dpa/Jörg Carstensen
Kunstinstallationen gegen das Vergessen: Berliner Bebelplatz wird wieder zum „Platz der Hamas-Geiseln“
Der Bebelplatz wird wieder in „Platz-der-Hamas-Geiseln“ umbenannt. Kunstinstallationen erzählen die Geschichte der ermordeten Geiseln und jener, die sich noch in Gefangenschaft befinden.
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Die Sonne steht hoch über dem Bebel-Platz in Berlin, der jetzt „Platz-der-Hamas-Geiseln“ heißt. Ihr Licht bricht sich in den Scherben eines Tellers. Dazwischen liegen Tassen, Kaffeebohnen, dahinter ein blutverschmiertes Sofa, ein leerer Laufstall.
Die Installation zeigt ein Wohnzimmer im Kibbuz nach dem Angriff der Hamas am 07. Oktober. Es ist eins von mehreren Kunstprojekten, die am wiedereröffneten „Platz der Hamas-Geiseln“ mitten in Berlin an das Attentat vor einem Jahr erinnern.
Noch immer sind 101 Menschen in Gefangenschaft der Hamas. Einer, der das persönlich erlebt hat, ist Alon Gat. Er wurde gemeinsam mit seiner Familie entführt – doch ihm gelang die Flucht. „Etwa 500 Meter vor der Grenze sprang ich mit meiner Tochter aus dem Auto“, sagt er. „Ich habe mein Kind nach Hause gebracht, jetzt ist es unsere Aufgabe, auch alle anderen Geiseln zurückzubringen.“
54 Tage später wurde seine Frau bei einem Gefangenenaustausch freigelassen. Seine Schwester Carmel Gat blieb jedoch weiter in Gefangenschaft. Nachdem ein weiterer Austausch gescheitert war, wurde sie nach 11 Monaten getötet. Die Installation erzählt auch ihre Geschichte.
„Vor wenigen Monaten haben wir hier den 40. Geburtstag von Carmel Gat markiert, vor wenigen Wochen dann eine Kerze an ihrem Grab angezündet“, sagt die Initiatorin des Projekts Melody Sucharewicz. Bereits im Mai dieses Jahres wurde der Bebel-Platz mit den leeren weißen Stühlen erstmals zum ‘Platz der Hamas-Geiseln’. Vorbild ist der israelische „Hostages Square“.
„Sie hat in Gefangenschaft Yoga mit den Kindern gemacht, das ist einfach unglaublich.“
„Meine Schwester war eine starke Frau“, betont Gat. Befreite Kinder hätten sie später „ihren Schutzengel“ genannt, heißt es auf einem Informationsblatt der Ausstellung. „Sie hat Yoga mit den Kindern gemacht, Achtsamkeitsübungen in Gefangenschaft. Das ist einfach unglaublich“, sagt er.
Außerdem habe sie Tagebuch geführt, ein Lied geschrieben. „Wenn ich hier rauskomme. Wenn ich hier rauskomme, werde ich ein besserer Mensch für diese Welt sein. Wenn ich hier rauskomme – und ich werde hier rauskommen“, zitierte und übersetzte Gat einige Zeilen aus dem Buch. „Sie hat wirklich geglaubt, dass sie überlebt“, sagt er.
Die Bücher von Carmel und ihrer verstorbenen Mutter sind nun Teil der Installation. Sie sollen die Geschichte der Geiseln mit der Bücherverbrennung 1933 am Bebelplatz zusammenführen. Auch ein einzelner, schwarzer Schuh ist zu sehen. „Carmel hat ihn in den Tunneln verloren“, sagt ihr Bruder. „Er gehörte zu den persönlichen Gegenständen, die gemeinsam mit ihrem Leichnam von der IDF zurückgebracht wurden.“
„Der Ort ist mir wichtig, weil ich nicht in Israel lebe und so ein Teil davon sein kann.“
Auf dem Platz steht auch eine riesige Sanduhr, die demonstrieren soll, wie die Zeit „rinnt“. Zudem gibt es einen Nachbau eines Hamas-Tunnels und Leinwände, auf denen Menschen Wünsche und Hoffnungen draufschreiben können. Sie können vor den Kunstwerken Blumen ablegen.
Inbar hat gelbe Rosen mitgebracht. „Ich habe einen guten Freund in Israel, dessen Cousin als Geisel in Gaza ist“, sagt die junge Frau. „Ich bin gekommen, um ihm zu gedenken. Wobei das vielleicht nicht richtig formuliert ist: Ermordet ist er nicht, wir kennen die Situation nicht.“ Sie klopft auf den Stehtisch neben ihr. „Der Ort ist mir wichtig, weil ich in Berlin lebe, nicht in Israel, und ich so ein Teil davon sein kann.“
Auch Kultursenator Joe Chialo bestätigt die Relevanz des Platzes. „Dieser Ort ist wahnsinnig wichtig, nicht nur historisch“, sagt er. „Es ist ein Ort, wo wir Gegenwart und Zukunft verhandeln können. Ich glaube, dass wir mit solchen Installationen Antworten für morgen erarbeiten können.“ Chialo setzte sich bereits im Mai für die Installationen am Bebelplatz ein.
„Ich glaube, dass die Gesellschaft in Berlin gespalten ist, Konflikte werden sehr aggressiv ausgetragen. Das erlebe nicht nur ich persönlich, weil der Eingriff in meine Privatsphäre weitreichende Konsequenzen für meine Familie und mich hat“, sagt Chialo, bei dem es in den vergangenen Monaten zu antisemitischen Schmierereien an seinem Wohnort gekommen war. „Als Kulturverwaltung wollen wir wieder den Dialog fördern, wir wollen Begegnungsstätten schaffen, wo wir an einem gemeinsamen Zielbild des Friedens arbeiten.“
Darauf hofft auch Gat. „Es ist unsere Aufgabe, die Geiseln zurückzuholen“, betonte er. Dafür gebe es für ihn nur einen Weg. „Wir müssen einen Deal mit dieser terroristischen Organisation machen. Dafür muss die Hamas aber auch bereit dazu sein. Es gibt derzeit nicht genug Druck auf die Hamas, auf Katar. Wir müssen diesen Druck erhöhen.“ (Tsp)
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