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Festnahme nach dem Diebstahl einer 100-Kilo-Goldmünze aus dem Bode-Museum.

© Paul Zinken/dpa

Update

Lagebericht über Organisierte Kriminalität: Diese Banden dominieren in Berlin

Auch wenn viel über arabische Clans gesprochen wird: Die meisten Täter der Organisierten Kriminalität sind aus Osteuropa. Das zeigt das erste Berliner Lagebild.

Ermittler, Fachpolitiker und Journalisten haben darauf lange gewartet – an diesem Mittwoch stellt Innensenator Andreas Geisel (SPD) erstmals ein umfassendes Lagebild zur Organisierten Kriminalität (OK) in Berlin vor.

Vorweg: Italienische Familien, die der klassischen Mafia zugerechnet werden, spielen kaum eine Rolle. In den meisten der 59 Berliner OK-Verfahren 2018 ging es um russischsprachige Verdächtige – oft aus dem Baltikum, vor allem aber aus dem Kaukasus.

Schwerpunkt mafiöser Banden in Berlin sind Eigentumsdelikte. Demnach stufen Ermittler 17 Verfahren wegen Diebstahls als OK ein, meist ging es um Autoschmuggel. Danach folgen 16 Ermittlungen zu Drogenverstößen – vor allem Kokainhandel. Berlin bleibt OK-Hochburg. Nur in den deutlich größeren Ländern Nordrhein-Westfalen und Bayern wurden mehr OK-Verfahren geführt.

Welche Taten als OK eingestuft werden, wägen Fahnder und Juristen ab. Meist wird Illegales dann als OK bezeichnet, wenn die Täter arbeitsteilig und dauerhaft Profite durch kriminelles Handeln machen und diese Beute in die legale Wirtschaft überführen wollen.

Zur angeblichen Bedeutungslosigkeit der italienischen Mafia ein Satz von Bert Brecht: ,Die im Dunkeln sieht man nicht'

schreibt NutzerIn Al.Dente

Behördenintern wird als Beispiel dieser Fall angeführt: Aus einer Bank wurden 2014 mehr als neun Millionen Euro gestohlen. Ein Mann aus der Großfamilie Remmo wurde dafür verurteilt, das Geld nicht gefunden. Die Staatsanwaltschaft ließ 2018 dann 77 Immobilien beschlagnahmen, weil sie mit dem Geld gekauft worden sein könnten.

Die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Lagebild Organisierte Kriminalität 2018

  • In Berlin gab es 2018 insgesamt 59 Ermittlungskomplexe im Bereich Organisierte Kriminalität
  • Es wurden 462 Tatverdächtige geführt
  • Insgesamt 98,3 Millionen Euro Schaden und 16,4 Millionen Euro Erträge aus der OK wurden erfasst
  • Insgesamt wurden 12,1 Millionen Euro Vermögenswerte gesichert, allein 11,7 Millionen Euro durch die Berliner Polizei
  • Im Vergleich zum Vorjahr ging die Eigentumskriminalität und die Kriminalität im Zusammenhang mit dem Nachtleben zurück
  • Rauschgiftschmuggel- und Handel sowie Fälschungskriminalität haben zugenommen

Bei der Vorstellung des Lagebilds sagte Innensenator Geisel, die Organisierte Kriminalität sei seit vielen Jahren Schwerpunkt der Berliner Polizei. Es handle sich um Straftaten mit erheblichem wirtschaftlichem Schaden. Allerdings bilde die Statistik, wie alle Kriminalstatistiken, nur das Hellfeld ab. Anfang nächsten Jahres soll es zudem eine Bilanz speziell zur Clankriminalität geben.

Andreas Geisel (SPD, l-r), Barbara Slowik, und Sebastian Laudan, Chef der Abteilung für Organisierte Kriminalität beim Landeskriminalamt.
Andreas Geisel (SPD, l-r), Barbara Slowik, und Sebastian Laudan, Chef der Abteilung für Organisierte Kriminalität beim Landeskriminalamt.

© Jörg Carstensen

Warum wird zwischen Organisierter Kriminalität und Clankriminalität unterschieden?

Die Polizeipräsidentin und der Innensenator betonten, es sei wichtig zwischen Clankriminalität und Organisierter Kriminalität zu unterscheiden. Denn arabische Großfamilien fassen zwischen mehreren hundert bis zu mehreren Tausend Familienmitgliedern. Davon seien manche im Bereich OK "auffällig", wie Geisel sagte. Es gebe aber auch Familienmitglieder, die lediglich in der zweiten Reihe parkten oder mit Profilierungsfahrten auffallen würden. "Das ist nicht organisiere Kriminalität", sagte Geisel, "aber dieses Dominanzgehabe höhlt unseren Rechtsstaat aus, deshalb arbeiten wir mit der gesamten Bandbreite an Maßnahmen."

Laut Polizeipräsidentin Barbara Slowik fanden elf Prozent der bundesweit geführten OK-Verfahren in Berlin statt. Die Ermittlungen seien umfangreich und zeitintensiv. Bei elf von 100 Tatverdächtigen sei Bewaffnung festgestellt worden, was gefährlich für die Polizeibeamten, aber auch für die Bürger sei.

37,5 Prozent der Tatverdächtigen hätten die deutsche Staatsangehörigkeit, 9,5 Prozent davon hatten eine nicht-deutsche Geburtsurkunde, so Slowik. Die Unterscheidung in Nationalitäten sei kritisch so bewerten und nicht immer Zielführend. Tatverdächtige von OK seien unter anderem in zweiter oder dritter Generation in Deutschland, sowohl die aktuelle Staatsangehörigkeit und die Geburtsurkunde seien da Deutsch.

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Dem schon bekannten Lagebild des Bundeskriminalamtes zufolge hat es 2018 bundesweit 535 OK-Ermittlungsverfahren gegeben. Mit 59 Fällen wäre die Zahl der in Berlin geführten OK-Verfahren zurückgegangen, 2017 waren es 68. Im Jahr 2016 waren es 61 Verfahren. Auffällig an der Statistik ist, dass die Berliner Behörden selbst im vergangenen Jahr weniger Verfahren gegen organisierte Kriminelle geführt haben als im Vorjahr.

Hier sank die Zahl im Vergleich zum Vorjahr von 60 auf 49. Dagegen ist die Zahl der Ermittlungskomplexe, die von den Bundesbehörden - Bundeskriminalamt, Bundespolizei und Zoll - betreut werden von acht auf zehn gestiegen.

Überfall auf Geldtransporter in Berlin-Mitte: Dahinter soll Clan aus Neukölln stecken.
Überfall auf Geldtransporter in Berlin-Mitte: Dahinter soll Clan aus Neukölln stecken.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Allerdings können einzelne Ermittlungen ganze Netzwerke betreffen, womöglich also gab es 2018 mehr OK-Verdächtige als noch vor einigen Jahren. Zudem stieg die Zahl der Verfahren, die in Berlin von Bundeskriminalamt, Bundespolizei und Zoll geführt werden, von acht auf zehn.

[Mehr zum Thema: Treffpunkte, Razzien, Tatorte – wie der Staat gegen Berliner Clans vorgeht]

In der rot-rot-grünen Senatskoalition wird immer wieder über die Phänomene "Clans" und "Ok" debattiert: So lehnt die Linke den Term "Clan-Kriminalität" ab, er diskriminiere komplette Großfamilien. In dem Bericht wird deshalb auch von "Kriminalität durch Angehörige aus ethnisch abgeschotteten Subkulturen" gesprochen, gemeint sei damit aber eigentlich nur "Clan-Kriminalität", so Geisel.

Ermittler sagen immer wieder, dass deutsch-arabische Clans in zahlreiche OK-Verfahren involviert sind. Und es gebe durchaus Tausende Männer allein in Berlin, deren kriminelle Geschäfte darauf basieren, dass sie ein ethnisch und familiär abgeschottetes Milieu beherrschen.

Schon in den vergangenen Jahren richteten sich die meisten OK-Ermittlungen in Berlin gegen russischsprachige Netzwerke und kaukasische Banden. Dann folgen die aus dem Libanon stammenden Familien und multiethnische Strukturen, die sich in ihrem Habitus an Rockern orientieren.

[Mehr zum Thema: „Seid gnadenlos“ – Kriminelle wollen einen Berliner Clan-Experten mundtot machen]

Eine zentral geführte OK-Struktur – also den einen „Mafiapaten“ – gibt es in Berlin nicht. Viele Profi-Gangster arbeiten nur auf Zeit oder für bestimmte Taten zusammen. Die Verdächtigen sind flexibel, Bezeichnungen wie „Polenmafia“ taugen kaum. Allerdings gibt es Ermittlern zufolge auch homogene Gruppen – etwa von Tschetschenen.

Europol: Deutschland soll mehr Finanzermittlungen führen

Berlins Behörden hatten sich 2018 neu aufgestellt. Beim LKA wurde eine Koordinierungsstelle Organisierte Kriminalität (KO-OK) aufgebaut, bei der Staatsanwaltschaft gibt es jetzt eine Spezialabteilung zur Vermögensabschöpfung. Umso verwunderter sind Experten, dass es in Berlin seit einigen Jahren kein Verfahren zu italienischen Mafia-Strukturen gibt. Dafür fehlten, sagen Ermittler, offenbar immer noch ausreichend Fachleute.

Im Oktober hatte der Europol-Chefermittler für Organisierte Kriminalität, Jari Matti Liukku, die deutschen Behörden zu intensiveren Geldwäsche- und Schwarzgeldermittlungen aufgefordert. Die Bundesregierung hatte zuvor begonnen, verschärfte EU-Richtlinien umzusetzen.

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