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Mann flieht in Berlin aus offenem Vollzug: Polizei schätzte Kriminellen zeitweise als islamistisch ein
Der entwichene Straftäter soll während des Vollzugs keine extremistischen Positionen gezeigt haben. Seine Flucht nennt Berlins Justizsenatorin ein „missliches Vorkommen“.
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Die Polizeibehörden haben bei dem am Wochenende aus einer Spandauer Haftanstalt entwichenen Straftäter zwischenzeitlich einen Bezug zum radikalen Islamismus gesehen. Das sagte Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) am Mittwoch vor dem Justizausschuss des Abgeordnetenhauses. Diese Einschätzung habe auf polizeilichen Erkenntnissen beruht, sich aber später nicht mehr bestätigt, sagte Kreck.
Der wegen räuberischer Erpressung, Waffen- und Drogendelikten verurteilte Straftäter war am Wochenende aus dem offenen Vollzug geflohen. Nach Angaben der Justizsenatorin war erst am 13. September die Verlegung in die Spandauer Haftanstalt und den offenen Vollzug erfolgt. Letzterer sollte als Vorbereitung für die Haftentlassung dienen – Ende Oktober wäre der Gefangene regulär freigekommen. Im offenen Vollzug können sich Gefangene etwa innerhalb des Gefängnisses frei bewegen und außerhalb davon einer Arbeit nachgehen.
Bereits seit 2019 wurde der 41-Jährige von der Berliner Staatsanwaltschaft als Person mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität geführt. Dabei habe es auch die zwischenzeitliche Einschätzung des Landeskriminalamtes gegeben, dass der Mann einen Bezug zum radikalen Islamismus habe, sagte Kreck. Bei einer psychologischen Prüfung in der Justizvollzugsanstalt Moabit im November 2021 kamen die betreuenden Psychologen aber zu dem Schluss, die Einschätzung der Polizei nicht zu teilen.
Anfang August gab Verfassungsschutz seine Einschätzung
Während des Strafvollzugs des Verurteilten seien die Sicherheitsbehörden immer wieder routinemäßig nach einem Bezug zum Salafismus beziehungsweise radikalen Islamismus gefragt worden, sagte Kreck. Dabei habe es allerdings keine Hinweise zum radikalen Islamismus gegeben. Auch eine Einschätzung des Verfassungsschutzes aus dem August sei zu keinem gegenteiligen Schluss gekommen. In Gesprächen mit Sozialarbeitern habe sich der Mann zudem von extremistischen Positionen distanziert.
Erst am Anfang dieses Monats, am 5. September, sei die Arbeitsgruppe Risikomanagement zu dem Schluss gekommen, dass deswegen eine Eintragung in den Datenbanken der Sicherheitsbehörden zum islamistischen Extremismus nicht notwendig sei.
Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kann „nicht ausgeschlossen“ werden
Die Justizsenatorin sagte vor den Fachpolitikern der Berliner Fraktionen, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch den Geflohenen „aufgrund seiner Kriminalitätsentwicklung“ nicht ausgeschlossen werden könne. Kreck bezeichnete die Flucht des Gefangenen als „ganz missliches Vorkommen“. Zugleich verwies sie auf die Konzepte und gesetzlichen Rahmen für den offenen Vollzug, für den nur geminderte oder keine Sicherungsmaßnahmen erlaubt seien.
Der 41-Jährige, der nach Tagesspiegel-Informationen einer bekannten kriminellen Bande aus Berlin angehört, war zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Wegen einer Drogentherapie war die Strafe kurzzeitig zurückgestellt worden, bevor sie im Sommer 2021 fortgesetzt wurde. Am Sonnabend hatten die Vollzugsbeamten bei der Abendkontrolle um 20.10 Uhr den nun Flüchtigen noch in seiner Zelle gesehen. Beim nächtlichen Kontrollgang am Sonntag um 0.35 Uhr war er fort. Zwei Stunden später wurde die Polizei über die Flucht des Straftäters informiert.
Nach Justizangaben war er in Vorbereitung auf seine geplante Entlassung aus dem Gefängnis am 13. September in den offenen Vollzug verlegt worden. Rund fünf Wochen später wäre der Mann regulär entlassen worden. Der 41-Jährige verbüßte eine Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten wegen Drogenhandels, räuberischer Erpressung und unerlaubten Führens von Schusswaffen.
Während der 41-Jährige in Haft war, gab es nach Angaben der Senatorin zwischenzeitlich Hinweise, dass der Mann Bezüge zum Salafismus oder radikalen Islamismus haben könnte. Dies sei mehrfach thematisiert worden. Psychologen hätten diese Einschätzung Ende 2021 nicht geteilt. Auch eine Anfrage beim Verfassungsschutz habe im August 2022 ergeben, dass solche Erkenntnisse nicht vorlägen. In der JVA Plötzensee habe sich der Mann unauffällig verhalten. Daher sei schließlich die Verlegung in den offenen Vollzug beschlossen worden.
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