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Nachruf auf Gerhard Räder: „Ich mache hier nur die Cocktails“
Er verkaufte Goldhamster, schippte Kohlen, verkaufte Prospekte. Und er goss Fidel Castro einen Whisky ein. Eine Million wollte er verdienen
Stand:
Waffenmeister bei der Polizei hätte er nach der Armee werden können. Oder Barkeeper. Gerd überlegte nicht lange. Er marschierte ins Lindencorso – eine neue Prestige-Adresse in der Hauptstadt der DDR, direkt Unter den Linden. Frack, Fliege und weißes Hemd sollte er anprobieren. Er sah blendend aus.
1966 war Gerd Chef-Barkeeper der Nachtbar. Wenn der russische Botschafter abends vorbeikam, rief er laut: „Gerrrd machst du mir einen Wodka, doppelt, doppelt, doppelt!“
Gerd liebte diese Geschichten, die er wieder und wieder erzählte, jedes Mal so, als ob es das erste Mal sei. Fidel Castro zum Beispiel. Einen Rum für den Revolutionsführer! Wollte der aber nicht. Was dann? Gerd stellte ihm wortlos einen Whisky hin. Als die Staatsoberhäupter weiterziehen wollten, blieb Fidel bei Gerd, auf einen Schwatz mit einem DDR-Bürger außerhalb des Protokolls.
Gerd spürte, was seine Gäste brauchten. Sie sollten sich aufgehoben fühlen. Gemütlich musste es sein, ob zuhause oder in der Bar. Auf den Tisch gehörte immer eine Kerze. Kam der Schah aus Persien, dekorierte Gerd die Bar, so wie er sich die tausendunderste Nacht vorstellte.
1000 Westmark an der Wand
Jahre später, im Hotel Metropol hatte Gerd eine Wand, an die er in Fremdwährung gegebenes Trinkgeld pinnte: Dollar, Yen, Pfund. Die Freude war allerdings kurz, als er endlich einen prächtigen 1000-Westmark-Schein anheftete. Diese Zurschaustellung höchster westlicher Werte ging dann doch zu weit, das Geld wurde eingezogen. Und Gerd? Nahm sich einen Anwalt, Gregor Gysi, und focht es durch. Am Ende wurde der Wert des kompletten internationalen Trinkgeldes ausgezahlt – in Westmark.
Gerd war in Mühlenbeck im Wohnzimmer von Tante Meta auf die Welt gekommen. In Berlin fielen die Bomben, dann die karge Nachkriegszeit, und er verbrachte eine Bullerbü-Kindheit auf dem Land: mit den Cousins in der Scheune schlafen, auf Bäume klettern.
Vater, Mutter und er fanden Unterschlupf bei Opa Paul in Kreuzberg. Ein alter Sozialdemokrat, der sich in den 30ern Straßenschlachten mit der SA geliefert hatte. Er erzählte Gerd von damals, von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, und wann man seinen Mund aufmacht und wann besser nicht.
Umzug nach Pankow, Ost-Berlin, Vater und Mutter arbeiteten bis spätnachts auf einem Ausflugsdampfer der Weißen Flotte. Gerd taten sie leid; er kochte für sie Gemüseeintopf und brachte ihn vorbei. Dafür durfte er sich eine weiße Schürze umlegen, Getränke auftischen und die Gäste zum Lachen bringen, gegen Trinkgeld selbstverständlich.
In seinem Kinderzimmer züchtete er Goldhamster und verkaufte sie auf der Straße. Zu Ostern pflückte er Maiengrün, den Nachbarn half er beim Kohleschippen, im Friedrichstadtpalast sang er im Kinderchor, auf der Trabrennbahn verkaufte er Prospekte. Eine Million wollte er mal verdienen.
Die DDR war schneller
Schule bis zur achten Klasse, Ausbildung zum Werkzeugmacher, danach wollte Gerd nach Kanada auswandern. Im Rathaus Schöneberg erklärten sie ihm, dass das erst mit 21 geht. Die DDR war schneller: Als die Mauer gebaut wurde, half Gerd Freunden, die letzten Schlupflöcher zu finden. Nur er blieb – für seine Eltern.
Armeedienst. Gerd wollte nicht im Schlamm robben; als Waffenmeister würde er eine ruhige Kugel schieben können. Erst verweigerten sie ihm die Zusatzausbildung, da schrieb Gerd eine Beschwerde an Walter Ulbricht: Es sei doch die Jugend, der die Zukunft gehöre. Die Genehmigung erfolgte umgehend. Wochenends arbeitete Gerd in einem Hotel und wurde Oberkellner.
Gerd war meinungsstabil. Wenn ihm etwas nicht in den Kram passte, hat er‘s nicht gemacht. Russischunterricht zum Beispiel, da ging er lieber ins Kino, die Tadel nahm er in Kauf. Oder die Anwerbeversuche der Stasi – als Barkeeper bekam er ja einiges mit. Da schüttelte er den Kopf: Ich mache hier nur die Cocktails.
Lindencorso, Hotel Metropol, Seebrücke, Hotel Neptun, Internationales Handeszentrum, Café Venus – immer, wenn er sich auf einen neuen Job bewarb, gab er bei der Befragung seine Familie im Westen an, die würde er niemals leugnen.
Die Sommer an der Ostsee; das war ein Leben! Abends spielte er Klavier, machte Getränke und flirtete mit den Frauen. Tags stand er am Strand, rauchte Zigaretten und flirtete mit den Frauen. Gefiel ihm eine, nahm er sie mit aufs Zimmer. Ihm gefielen viele, bis er Marion traf.
Es war der 10. Dezember 1976, Gerd arbeitete im Café Venus in Weißensee, als er sie entdeckte, fröhlich und gutaussehend. Sie forderte ihn auf, er standhaft: „Ich tanze nicht im Dienst“. Es wurde spät, alle gingen, Marion blieb.
Sie redeten und lachten, er sang ihr das Lied von den Berliner Jungs vor und irgendwie landeten sie in seiner Laube in Marzahn. Drei Monate später zog sie bei ihm ein. Gerd baute an, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Kinderzimmer. Marion faszinierte, wie Gerd das Leben genoss, wie er sich sein Glück erschuf, Tag für Tag.
Abends arbeitete Gerd, tags hatte er Zeit für Tochter und Sohn. „Egal, wie alt ich war, Gerd hat immer versucht mir Antworten zu geben, die ich verstand“, sagt seine Tochter. Wenn die Kinder sich was wünschten, fuhr er mit ihnen in den Intershop und kaufte es ihnen. Wenn die Kinder etwas kaputt machten, sagte er: Nichts ist für die Ewigkeit. Wenn er sauer war, dann wurde seine Stimme nur etwas härter.
Mit der Wende veränderte sich auch die Gastronomie. Als Betriebsrat kämpfte er noch für eine gerechte Abfindung für die Angestellten der Interhotels, 1995 hatte auch er genug. Erst stieg er in ein Obst- und Gemüsegeschäft ein, wurde aber vom Geschäftspartner über den Tisch gezogen. Er war fassungslos, gab aber nicht auf, baute ein kleines Holzhaus auf seinem Grundstück, eröffnete sein eigenes Café.
1999 wurde er krank, irgendwann erhielt er die Diagnose: Haarzellleukämie. Viermal dachten alle, dass er sterben würde, nur Gerd nicht, der wollte noch leben. Er las, telefonierte mit Experten, wurde selbst zu einem und machte nur die Behandlungen mit, die er für richtig hielt.
25 Jahre waren so noch drin. Dann starb er, zuhause, wie er es wollte. Seine letzten Worte waren: „Nein! – Na gut!“
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