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Katrin Lange (SPD), nachdem sie ihren Rücktritt als Innenministerin von Brandenburg erklärt hatte.

© dpa/Michael Bahlo

Nachspiel in Brandenburgs Verfassungsschutz-Affäre : Kontrollgremium nimmt sich am Dienstag das Innenministerium vor

Katrin Lange ist als Innenministerin zurückgetreten. Doch die Affäre um den entlassenen Verfassungsschutzchef und die AfD-Hochstufung ist nicht ausgestanden. Nun tagt die Geheimkommission.

Stand:

Die Affäre um die Entlassung des Chefs des brandenburgischen Verfassungsschutzes, Jörg Müller, und die Hochstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch ist für Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) noch nicht ausgestanden.

Am Dienstagnachmittag tagt die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) letztmalig in alter Besetzung im Geheimschutzraum des Parlaments. Bei der Sondersitzung befasst sich das Gremium erneut mit dem Fall des entlassenen Verfassungsschutzchefs Jörg Müller. Und mit der Frage, ob die am Freitag als Innenministerin zurückgetretene Abgeordnete Katrin Lange (SPD) ihre Informationspflicht gegenüber der Kommission zum Einstufungsverfahren bei der AfD verletzt hat.

Bereits kurz nachdem Lange den Abteilungsleiter vor die Tür gesetzt hatte, hinterfragte die PKK die Vorgänge. Langes Darstellung, sie sei nicht rechtzeitig von Müller über die AfD-Hochstufung informiert wurden, sei nicht glaubwürdig, hieß es danach.

Die PKK gab sogar eine ungewöhnliche Erklärung ab: Das Gremium attestierte Müller eine konstruktive Zusammenarbeit. Er habe in den vergangenen Jahren „stets Sorge dafür getragen“, die „verbesserte parlamentarische Kontrolle umzusetzen und den Verfassungsschutz nach modernen Standards aufzustellen“.

Jörg Müller, bis 6. Mai Leiter des Verfassungsschutzes in Brandenburg.

© dpa/Monika Skolimowska

Allein das war nach den parlamentarischen Gepflogenheiten ein ungewöhnlicher Vorgang, zumal wenn eine Ministerin einen politischen Beamten in den Ruhestand versetzt. Klar ist: Auch im Fall Müller hat die PKK weitreichende Kontrollrechte. Und zwar, wenn es um „behördeninterne Vorgänge mit erheblichen Auswirkungen auf die Aufgabenerfüllung“ geht oder „Einzelvorkommnisse, die Gegenstand bedeutender politischer Diskussionen oder öffentlicher Berichterstattung sind“.

Das alles trifft auf den Fall Müller zu. Die Kommission kann vom Innenministerium alle „erforderlichen Auskünfte, Unterlagen, Akten- und Dateneinsicht, Stellungnahmen und den Zutritt zur Verfassungsschutzbehörde verlangen sowie bei besonderem Aufklärungsbedarf Bedienstete zum Sachverhalt befragen“. Möglicherweise auch Müller selbst?

Damit besteht für Woidke die Gefahr, dass die PKK im Nachhinein Lange noch der Lüge überführen könnte. Der Regierungschef hatte Lange und ihre Darstellung bis zu ihrem Rücktritt weitgehend gestützt. Zudem könnte auch die Rolle des Innenstaatssekretärs und Lange-Vertrauten Frank Stolper, der ihr schon in der alten Kenia-Koalition als Staatssekretär im Finanzressort diente, ins Blickfeld geraten. Die Erkenntnisse der PKK könnten die Frage beeinflussen, welche Konsequenzen der neue Innenminister René Wilke, bislang Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder), früher Linke-Politiker, seit einiger Zeit parteilos, daraus zieht.

Lange will Weisungslage im Ministerium nicht gekannt haben

Allein was bislang durch Medienberichte etwa von „Welt“, „MAZ“, „Zeit“ und Tagesspiegel zu Langes Vorgehen gegen Müller bekannt wurde, ist erdrückend. Offen ist bislang, ob die PKK im Ministerien und in den Akten weitere Nachweise dafür fand und Langes Erzählung widerlegen kann.

Lange hatte behauptet, Müller habe am 14. April ohne ihr Wissen die Landes-AfD vom Verdachtsfall hochgestuft zu einer erwiesen rechtsextremistischen Bestrebung. Sie habe aber erst am 5. Mai den Vermerk mit Unterschrift und Stempel von Müller erhalten. Eine so wichtige Entscheidung hätte ihr unverzüglich mitgeteilt werden müssen. Sie fühle sich von Müller hintergangen. Tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass Lange weitaus früher davon wusste – die Hochstufung aber verzögerte und nicht mittragen wollte. Am 6. Mai versetzte sie Müller in den Ruhestand.

Inzwischen hat das Ministerium sogar gestanden, dass Lange die – dann von ihr im Zuge der Affäre abgeschaffte – Weisungslage im Ministerium bis zum 5. Mai nicht kannte. Ihr Amtsvorgänger Michael Stübgen (CDU) hatte 2023 angeordnet, dass allein der Abteilungsleiter für Verfassungsschutz über eine Einstufung entscheidet – also Müller. Damit wollte Stübgen der AfD-Erzählung entgehen, dass der Verfassungsschutz auf politische Weisung hin agiere und instrumentalisiert werde.

Der frühere Innenminister Michael Stübgen (rechts, CDU) und der von ihm als Leiter der Verfassungsschutzabteilung eingesetzte Jörg Müller.

© ZB/Soeren Stache

Lange will nichts davon gewusst haben. Sie ging laut Ministerium davon aus, dass sie die Letztentscheidung über derart politisch brisante Einstufungen habe. Müller hätte die Ministerin „besser und früher“ unterrichten müssen, weil sie schließlich unverzüglich Regierungschef, Parlament und Öffentlichkeit informieren müsste. Außerdem habe sich der Verfassungsschutz über ihre Auffassung hinweggesetzt, die Entscheidung des Bundes zur AfD-Einstufung abzuwarten, und sie auch lange im Unklaren gelassen. So jedenfalls erklärten es das Ministerium und Lange selbst – vor und nach ihrem Rücktritt.

Ob diese Erzählung stimmt, daran gibt es ernste Zweifel. Denn anders als von Lange dargestellt, hatte Müller nach übereinstimmenden Berichten die Ministerin bei mehreren Gesprächen über die Hochstufung der AfD informiert. Zudem war seit Dezember durch Medienberichte bekannt, dass der Verfassungsschutz die märkische AfD hochstufen wollte – dies aber aus Rücksicht auf die Landtagswahl im September und die Bundestagswahl im Februar verschoben hatte.

Lange selbst hatte im Dezember, als sie Innenministerin in der neuen SPD-BSW-Koalition wurde, erklärt, dass sie dem nachgehen wolle. Wie die „Zeit“ berichtet, hat Lange dem Abteilungsleiter Müller danach mehrfach zu verstehen gegeben, dass sie eine AfD-Hochstufung kritisch sehe.

Müller informierte die Innenministerin aber wiederholt darüber, dass die AfD im Land aus Sicht seiner Abteilung als gesichert rechtsextremistisch eingestuft werden müsse. Er drängte auch mehrfach darauf, dass zu entscheiden und dann die Öffentlichkeit darüber zu informieren. Die PKK könnte nun herausgefunden haben, was genau im Ministerium vorging und wie weit Langes Erklärungen überhaupt an der Wahrheit dran sind.

Und einiges ist bereits bekannt: Seit Ende März bat Müller bei Lange um einen persönlichen Termin, um über die Hochstufung zu sprechen. Am 9. April war es so weit, Müller brachte den vorbereiteten Einstufungsvermerk und das eigens erstellte Gutachten mit. Lange sollte das Gutachten zunächst lesen, dann würde er es unterzeichnen. Müller soll Lange erklärt haben, dass die Entscheidung fachlich gefallen sei. Er schlug Lange vor, die Entscheidung im Mai, wenn der Jahresbericht des Verfassungsschutzes vorgestellt werden sollte, zu verkünden.

Müller und Lange sprachen mehrfach über die Einstufung

Doch Lange soll es abgelehnt haben, die Papiere zu lesen oder anzunehmen. Stattdessen soll sie abgewiegelt und darauf beharrt haben, dass ein neuer Umgang mit der AfD nötig sei und die Partei politisch geschlagen werden müsse. Mit dabei gewesen sein soll Staatssekretär Stolper.

Bei einem weiteren Treffen am 14. April soll Müller dann klar gesagt haben, dass er nun mehr über die Hochstufung der AfD entschieden habe. Und er soll angekündigt haben, Lange den Vermerk auf dem Dienstweg zukommen zu lassen und die PKK bei deren nächster Sitzung am 6. Mai zu informieren.

Danach, rund um Ostern, also rund um den 20. April, lagen Langes Ministerbüro Unterlagen der Verfassungsschutzabteilung vor. Es ging um die Vorbereitung der Pressekonferenz im Mai zum Jahresbericht des Nachrichtendienstes und die Information der Öffentlichkeit über die Hochstufung. Schon nach Müllers Entlassung musste Lange gestehen, dass sie natürlich gewusst habe, dass der Verfassungsschutz an der Hochstufung arbeite. Sie habe aber nicht gewusst, dass Müller bereits am 14. April Fakten geschaffen habe, sagte sie immer wieder.

„Die hier bereits fachlich vorgetragene Entscheidung“

Dabei informierte Müller am 2. Mai, nachdem die AfD vom Bundesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch hochgestuft wurde, das Büro der Ministein erneut – per E-Mail. Demnach hätte die Hochstufung im Bund keine direkten Auswirkungen auf die Entscheidung auf Landesebene. Er empfahl aber, „dass wir die Gelegenheit nutzen und uns vor einer sicheren Anfragewelle klar positionieren“.

Schließlich enthält die E-Mail auch die entscheidenden Worte, die Langes Aussagen widerlegen und zeigen, dass Müller die Ministerin schon zuvor informiert hatte. Er erinnerte an „die hier bereits fachlich vorgetragene Entscheidung“ zur Hochstufung der AfD Brandenburg. Diese „sollte nun unverzüglich verkündet werden“. Die Abteilung sei damit bereits fertig. Für die Verkündung der Hochstufung füge er eine Formulierungshilfe bei.

Für Lange zählte das alles nicht. Bei ihrem Rücktritt zeigte sie sich unbeirrt. In einer vierseitigen Erklärung ging es vor allem um Fehler von anderen. Zudem vermischte sie, wie so oft, rechtliche und politische Fragen. Dass die AfD nach gesetzlichen Vorgaben von einem dahin weitgehend unabhängigen, vom Parlament kontrollierten Verfassungsschutz eingestuft wurde, erwähnte sie nicht.

Sie zog sogar das Neonazi-Terrortrio NSU und das damalige Versagen der Nachrichtendienste heran, um ihren politischen Eingriff als nötige Kontrolle zu rechtfertigen. Und sie beklagte, dass im Umgang mit der Partei auf „die Instrumente Parteiverbot, Repression, Überwachung und Ausgrenzung“ gesetzt werde.

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