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Neuköllns Integrationsbeauftragte verteidigt Hikel: „Teile der SPD wollen nicht, dass islamistische Strukturen bekämpft werden“
Güner Balci nimmt Martin Hikel für seine Ankündigung in Schutz, nicht erneut als Neuköllner Bezirksbürgermeister anzutreten. Scharfe Kritik übt sie an den Parteilinken rund um Fraktionschef Raed Saleh.
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Nach der Ankündigung des Neuköllner Bezirksbürgermeisters Martin Hikel (SPD), nicht mehr für das Amt kandidieren zu wollen, hat die Integrationsbeauftragte des Bezirks, Güner Balci, scharfe Kritik an der Berliner SPD geübt – und den Co-Landesparteichef Hikel verteidigt.
„Martin Hikel ist einer der mutigsten Menschen, die ich kenne. Gemeinsam mit säkularen Muslimen im Bezirk kämpft er seit Jahren gegen Islamismus“, sagte Balci dem Tagesspiegel. Damit habe sich Hikel viele Feinde gemacht. Die extremistische Muslimbruderschaft und ihre Verbündeten versuchten, Hikel zu diffamieren. Denn kaum jemand habe „Hamas-Netzwerken und ihren Unterstützern angstfrei und entschlossen den Kampf angesagt“, sagte Balci.
„Teile der SPD wollen nicht, dass islamistische Strukturen bekämpft werden. Die islamistische Bedrohungslage wird verharmlost“, sagte Balci. In der Partei agierten die Hikel-Kritiker schlimmer als seine ärgsten politischen Feinde. „Und sie machen das intensiv und im Schulterschluss mit Teilen der Landes-SPD“, sagte Balci.
Balci nimmt dabei auch den SPD-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Raed Saleh, ins Visier, der den Kampf gegen antimuslimischen Rassismus in die Berliner Verfassung schreiben will. „Aber man hört von ihm kein kritisches Wort zur Muslimbruderschaft oder zur Clankriminalität“, sagte Balci. „Wer als ehemaliges Arbeiterkind aus einem sozial schwachen Milieu nicht erkannt hat, dass wir auch ein wachsendes Islamismusproblem haben, bei dem die Muslimbruderschaft eine zentrale Rolle einnimmt, ist vielleicht Teil des Problems.“
Er hat sich nicht auf öffentlichkeitswirksame Fototermine mit Islamisten oder türkischen Nationalisten eingelassen, so wie seine Gegner aus der eigenen Partei.
Güner Balci, Integrationsbeauftragte in Neukölln, über Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD)
Hikel sei vor den Wünschen aus seiner Partei nicht in die Knie gegangen. „Er hat sich nicht auf öffentlichkeitswirksame Fototermine mit Islamisten oder türkischen Nationalisten eingelassen, so wie seine Gegner aus der eigenen Partei“, sagte Balci.
Der Bezirksbürgermeister sei in den vergangenen zehn Jahren von einem kleinen linken Flügel, der doch sehr hartnäckig ist, bekämpft worden, sagte sie dem „Spiegel“. Zuletzt habe das noch zugenommen. Aus der Landespolitik sei massiv Druck ausgeübt worden. „Diese Leute haben systematisch versucht, Hikel kleinzukriegen. Das war eine simple, aber wirksame Strategie.“
Bei einer Wahlversammlung der SPD in Neukölln hatte Hikel am Sonnabend überraschend angekündigt, bei der Wahl im nächsten Jahr nicht mehr anzutreten. Hikel reichten knapp 69 Prozent der Stimmen der Kreisdelegierten nicht, um 2026 in den Wahlkampf um den Posten des Bezirksbürgermeisters zu ziehen. Er hatte Geschlossenheit gefordert, die wurde im verweigert.
Parteiinterne Kritik, dass Hikel die Formulierung „antimuslimischer Rassismus“ bewusst vermeide, wies Balci zurück. „Das ist ein Kampfbegriff“, sagte die Integrationsbeauftragte. Vor etwa zwei Jahrzehnten sei zunächst der Begriff Islamophobie von interessierten Kreisen eingeführt worden, das Mullah-Regime in Teheran und der türkische Präsident Erdoğan hätten ihn benutzt. „Wer heute von antimuslimischem Rassismus spricht, will den grassierenden Antisemitismus relativieren und den Islamismus. Das geht so weit, dass manche behaupten, es gebe keinen Islamismus“, sagte Balci.

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Hikel habe sich aber beispielsweise für Meldestellen eingesetzt, die Fälle von Muslimfeindlichkeit wie Beschimpfungen muslimischer Frauen mit Kopftuch dokumentieren. „Im Moment haben wir Meldestellen, die teilweise bei Islamisten und Aktivisten angesiedelt sind, von denen einige vom Verfassungsschutz mindestens als muslimbrudernah eingestuft wurden“, sagte Balci. „Diese Islamisten und Aktivisten haben auch Teile der Politik und auch der SPD und der Verwaltung unterwandert“, sagte die Integrationsbeauftragte.
Dabei fand Hikel mit seiner klaren Linie gegen Clans, Hamas-Anhänger und Islamisten in seinem Bezirk selbst Anklang bei Arabern – wie bei Hudhaifa Al-Mashhadani. Er ist Generalsekretär des Deutsch-Arabischen Rates in Berlin und Rektor der Deutsch-Arabische Schule Ibn Khaldun in Neukölln.
Auch er sieht sich Angriffen ausgesetzt, wird bedroht. Der Grund: Der Leiter der säkularen Schule setzt sich für den Austausch mit Israel ein. In diesem Jahr hatte die Schule neuen Zulauf von Mädchen, weil ihnen in ihrer bisherigen Moscheegemeinde ein Kopftuchzwang auferlegt wurde.
Martin Hikels Rückzug wäre ein erheblicher Verlust.
Hudhaifa Al-Mashhadani, Generalsekretär des Deutsch-Arabischen Rates in Berlin und Rektor der Deutsch-Arabische Schule Ibn Khaldun in Neukölln
In der Neuköllner SPD werde versucht, Hikel politisch zu isolieren, sagte Hudhaifa Al-Mashhadani. In der Neuköllner SPD gebe es „gewisse parteiinterne Gruppen“, die „Sympathien für Positionen zeigen, die Hamas-nahe oder radikal-islamische Ideologien nicht klar genug ablehnen“. Ebenso besorgniserregend sei die ideologische Nähe mancher Akteure zu radikal-linken Bewegungen.
Hikel dagegen stehe für eine klare Haltung gegen jede Form von Extremismus. Sein Rückzug wäre ein erheblicher Verlust. Es dürfe nicht zugelassen werden, „dass Neukölln zu einem zweiten Kandahar wird, nur um kriminellen Clans, Anhängern der Muslimbruderschaft oder radikal-linken Gruppierungen entgegenzukommen“. Die südafghanische Stadt Kandahar ist eine Hochburg der islamistischen Terrorherrscher der Taliban.
Die Kritik an der Parteilinken von Balci und Al-Mashhadani richtet sich gegen den Kreis um den Bundestagsabgeordneten Hakan Demir und damit gegen den Strippenzieher Raed Saleh, den mächtigen Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, wie einige in der Partei meinen. Saleh paktiert inzwischen offen mit den Parteilinken, um seinen Einfluss zu sichern. Gemeinsam mit den Parteilinken, allen voran Demir, hatte Saleh schon vor einem Jahr einen Deal eingefädelt, der den früheren Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) die erneute Kandidatur für den Bundestag kostete.
Raed Saleh ist die Nemesis der SPD Berlin.
SPD-Funktionär
Es seien seine Methoden, mit denen Hakan Demir und seine Leute nun gegen Hikel vorgingen. „Raed Saleh ist die Nemesis der SPD Berlin“, sagte ein Funktionär dem Tagesspiegel. „Hikel sollte für die Parteilinken die Wahl gewinnen, aber sie wollten ihm zeigen, dass sie ihn fortan an die kurze Leine nehmen wollen.“ Das ging schief.
Hikels klarer Kurs gegen kriminelle Angehörige arabisch-stämmiger Großfamilien, die Verbundeinsätze mit Ordnungsamt, Polizei und anderen Behörden gegen Clankriminalität – das war den Parteilinken zu viel. Sie meinen, Betroffene würden vorverurteilt und rassistischen Angriffen ausgesetzt. Dabei steht Neukölln deutschlandweit immer wieder in Schlagzeilen, etwa wegen gewalttätiger Pro-Hamas-Demonstrationen. Und der Bezirk gilt als Hochburg der Clankriminalität.
Hikel machte die Ansage, er brauche Geschlossenheit für seinen Kurs, aus gutem Grund. Denn zuvor bekam seine Amtsvorgängerin Franziska Giffey (SPD) den neuen Wind in der Neuköllner SPD zu spüren. Ausgerechnet Giffey, einst Kreisvorsitzende und Bezirksbürgermeisterin in Neukölln, dann Bundesfamilienministerin, schließlich Regierende Bürgermeisterin und nun Wirtschaftssenatorin.
In einem Gespräch vor der Delegiertenversammlung wurde ihr, dem bekanntesten Gesicht der SPD Berlin, gesagt, dass sie maximal auf Platz fünf der SPD-Bezirksliste für die Abgeordnetenhauswahl komme. Aber auch das sei nicht sicher, es könnte Gegenkandidaten geben. Giffey verzichtete dann. Jetzt tritt sie nur direkt für ihren Wahlkreis 6 (Rudow, südliches Blumenviertel, südliche Gropiusstadt) an – ohne Absicherung durch die Liste.
Dann ist da noch Co-Kreisparteichef Joachim Rahmann. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestagsbüro von Demir. Auch Rahmann hat sich eine Chance für den Einzug ins Abgeordnetenhaus gesichert. Dabei soll er sich auch über die erprobten Spielregeln der Neuköllner SPD hinweggesetzt haben.
Auf der Bezirksliste wurde er auf Platz vier gewählt, auf Platz fünf kam Anne Roever, Demirs Co-Chefin im Ortsverein im Neuköllner Norden. Vor allem aber setzte Rahmann gegen den Willen zweier Ortsverbände durch, dass er auch Direktkandidat im Neuköllner Wahlkreis 5 in Britz und Buckow wurde.
Der Plan, Hikel mit einem Denkzettel an die kurze Leine zu nehmen, ging noch weiter. Auch um das Wahlprogramm für Neukölln sollte es am Sonnabend noch gehen. Dazu gab es einen Änderungsantrag aus dem Demir-Lager.
Unter der Überschrift „Integration und Antidiskriminierung“ steht ein Satz im Entwurf des Wahlprogramms. Nämlich: „Wir treten jeder Form von Rassismus und Menschenfeindlichkeit entschieden entgegen.“ Der Änderungsantrag sah eine Ergänzung vor: „Besonders antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus nehmen wir dabei in den Blick.”
Demirs Ortsverbands-Vize und Mitarbeiter nannte das intern eine Stellvertreterdiskussion, um ihn einzuhegen. Denn die Parteilinken wussten, dass das für Hikel ein Problem ist. Weil er ständig dagegen ankämpfte, dass Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus gleichgesetzt werden.
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