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Der Vorsitzende des Brandenburger NSU-Untersuchungsausschusses, der Holger Rupprecht (SPD).

© Ralf Hirschberger/dpa

Update

NSU-Untersuchungsausschuss in Brandenburg: "Rechtsextremistische Gefahr unterschätzt“

Der NSU-Untersuchungsausschuss in Brandenburg legt seinen Abschlussbericht vor. Die SPD beharrt darauf, ein Versagen des Verfassungsschutzes sei nicht erwiesen.

Der Untersuchungsausschuss des Brandenburger Landtags zum rechtsextremen Terrornetzwerk „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) konnte sich im Gegensatz zu den Ausschüssen im Bund und in anderen Ländern nicht auf eine gemeinsame Bewertung zum Versagen des Landesverfassungsschutzes und anderer Behörden einigen.

Doch in dem 3283 Seiten dicken Bericht nach drei Jahren Ausschussarbeit fehlen die vom Parlament im April 2016 beauftragten Empfehlungen. Der Ausschuss sollte Schlussfolgerungen ziehen für die künftige Abwehr von Rechtsextremismus, für die parlamentarische Kontrolle von Polizei und Verfassungsschutz und für besseren Opferschutz.

Davon findet sich im gemeinsamen Bericht des Untersuchungsausschusses jedoch nichts. Der Ausschuss hat nur die Erkenntnisse zusammengetragen – diese aber nicht in einem Votum bewertet. Alle Fraktionen bedauerten das fehlende gemeinsame Votum, als Grund wurde Zeitdruck genannt. Zugleich wurde zugegeben, dass der Bericht damit eine geringere Bindungswirkung entfaltet. Stattdessen gibt es sieben Sondervoten: Von der rot-roten Koalition, SPD und Linke einzeln, von CDU, Grünen, von beiden gemeinsam und von der AfD.

"Gefahr aus heutiger Sicht unterschätzt"

Am zurückhaltendsten urteilt die Fraktion der Regierungspartei SPD. Doch selbst die Sozialdemokraten räumen stellenweise ein Versagen ein: „Die Gefahr eines rechtsextremistisch motivierten Terrorismus wurde (…) aus heutiger Sicht (…) unterschätzt“ heißt es im rot-roten, 67 Seiten starken Sondervotum. Ansonsten beharrt die SPD weitestgehend darauf, ein Versagen des Verfassungsschutzes sei nicht erwiesen.

Überlagert worden war der Ausschuss vom Streit der rot-roten Koalition um die Novelle des Verfassungsschutzgesetzes. Noch kurz vor der Landtagswahl hat die SPD eine Aufstockung des Verfassungsschutz von 93 auf 130 Stellen durchgesetzt, aber auch neue Vorgaben: Die Anwerbung von V-Männern soll stärker reglementiert werden, die V-Männer dürfen nicht wegen schwerer Straftaten verurteilt sein und die parlamentarische Kontrolle soll ausgeweitet werden. Die Linke hat das mitgetragen, um einen Bruch vor der Wahl zu vermeiden.

Linke lehnt weitere Befugnisse für den Verfassungsschutz ab

In ihrem Votum allerdings geht sie zur offenen Konfrontation über: „Der Verfassungsschutz als staatliche Behörde konnte seinen Wert als ,unverzichtbarer‘ Bestandteil einer demokratischen Sicherheitsarchitektur nicht unter Beweis stellen.“ Daher lehnt die Linke weitere Befugnisse für den Verfassungsschutz ab und fordert sogar langfristig die Ersetzung der Behörde – durch eine Dokumentationsstelle für neonazistische, rassistische und antisemitische Vorfälle.

Linke-Obmann Volkmar Schöneburg sagte, auch die nun aufgrund der Reform geltenden Regeln hätten den Brandenburger V-Mann-Skandal nicht verhindern können. „Quellenschutz steht der Strafverfolgung diametral entgegen.“

Am stärksten zeigt sich der Unterschied zwischen der SPD und den anderen Fraktionen im Fall des V-Mannes Carsten Szczepanski, Deckname „Piatto“. Der war 1995 wegen Mordversuchs an einem Nigerianer zu acht Jahren Haft verurteilt worden, hatte sich aber schon zuvor dem Verfassungsschutz als Spitzel angedient und damit weitgehende Erleichterungen erfahren.

"Piatto" als Agent Provokateur?

Anfang der 1990er-Jahre hatte er Bombenanschläge vorbereitet und einen Ku-Klux-Klan-Ableger in Brandenburg ins Leben gerufen. Aus Sicht der Linken könnte „Piatto“ sogar vom BKA eine Vertraulichkeitszusage erhalten haben.

Vor allem aber war er als V-Mann im Umfeld der NSU-Unterstützer eingesetzt und hatte 1998 einige der wenigen Hinweise auf das untergetauchte NSU-Trio gegeben. Nach Meinung von Linken und Grünen hätte die Mordserie des NSU möglicherweise verhindert werden können, wenn Brandenburgs Verfassungsschutz nicht so rigide mit seinen Informationen gegenüber anderen Landesbehörden umgegangen wäre. Zumindest sei die Ergreifung des Trios erschwert worden.

Rechtswidrig habe der Verfassungsschutz den Quellenschutz für wichtiger befunden als die Strafverfolgung. Auch die CDU befand, hätte sich der Verfassungsschutz anders verhalten, hätte das die Chancen erhöht, das Trio zu fassen. Lediglich die SPD befand, Brandenburgs Behörden hätten nichts gewusst von der NSU-Mordserie.

Dabei hatten Auswerter des Verfassungsschutzes nach Piattos Hinweisen schon früh gewarnt, es könne sich um eine Nazi-Terrorzelle handeln. Die Grünen sehen eine Mitschuld Brandenburgs an den Verbrechen des NSU.

Nicht nur bei Piatto, sondern bei weiteren Spitzeln des Brandenburger Verfassungsschutzes fällt das Urteil von Linke, CDU und Grünen in unterschiedlicher Intensität deutlich aus: Der Verfassungsschutz habe den Verdacht gegen Neonazis teils kleingeredet, Neonazis teils unterstützt – etwa bei der Produktion von rechten Musik-CDs. Auch seien über V-Männer bevorstehende Razzien an die rechtsextreme Szene verraten worden.

Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft täuschten Gerichte

In unterschiedlichen Nuancen stellen auch Linke, Grüne und CDU fest: Es habe erhebliche Rechtsbrüche durch den Verfassungsschutz gegeben, die Justiz sei behindert und es sei sogar Strafvereitelung in Absprache mit Staatsanwaltschaften bis hoch ins Justizministerium begangen worden, damit V-Männer für ihre Taten nicht belangt werden.

Teils hätten Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft Hand in Hand gearbeitet, um die Gerichte zu täuschen und damit V-Männer zu schützen. Linke-Obmann Schöneburg warf einem früheren V-Mann-Führer von „Piatto“ vor, an der Herstellung eines rechten Szenenmagazins beteiligt gewesen zu sein. Der V-Mann-Führer war Gordian Meyer-Plath, er ist heute Chef des Verfassungsschutzes in Sachsen.

Selbst die CDU fordert schärfere Kontrollen für das V-Mann-Wesen. Der Einsatz sei zwar unverzichtbar, aber nur als letztes Mittel. Der Verfassungsschutz habe keine Exekutivrechte.

Fall der "Nationalen Bewegung" bleibt ungeklärt

Nicht aufklären konnte der Ausschuss den Fall der „Nationalen Bewegung“ die 2000 und 2001 eine Anschlagserie verübt hatte. Dass der Verfassungsschutz mit der Gruppe zu tun gehabt haben könnte, ist weiter nicht auszuschließen.

Die Grünen, die das längste Sondervotum vorgelegt haben, fordern zudem, dass der Auftrag des Untersuchungsausschusses durch Wissenschaftler weiterverfolgt wird und sie dazu Einsicht in ungeschwärzte Akten nehmen können. Überhaupt der Umgang mit Akten. Auch das Verhalten des Innenministeriums spielte eine Rolle.

CDU, Linke und Grüne kritisierten eine Blockadehaltung – nicht nur im Ausschuss. Auch im NSU-Prozess vor dem Landgericht habe das Ministerium durch Sperrvermerke für Akten und eine verweigerte Ausnahmegenehmigung für Carsten Szczepanski den Quellenschutz über das Interesse der Strafverfolgung gestellt. Der Kommentar der SPD dazu: Das Ministerium sei lediglich übervorsichtig gewesen.

Ganz eigene Schlussfolgerungen zieht die AfD: Linksextremismus und islamistisches Terrorismus müssten in der Arbeit des Verfassungsschutzes mehr Gewicht bekommen.

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