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Bei der Polizei Berlin sind bereits Dutzende Verdachtsfälle zu rechtsextremen Tendenzen untersucht worden.

© Paul Zinken/dpa

Polizist aus Ermittlungsgruppe Rechtsextremismus: Stefan K. soll Geflüchteten verprügelt haben – aus rassistischem Motiv

Ein Beamter ermittelte gegen Neonazis in Neukölln. Nun steht er selbst vor Gericht. Hat er etwas mit den rechtsextremen Anschlägen zu tun? Eine Spurensuche.

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Am Ende geht es um die Frage, was der Beamte Stefan K. mit der rechtsextremistischen Anschlagsserie in Neukölln selbst zu tun hat. Es wäre für die Berliner Polizei und die Opfer der schlimmste anzunehmende Fall. Ein Gau ist es für Innensenator Andreas Geisel (SPD) schon jetzt, wie er dem Tagesspiegel sagte. Noch gibt es keine Hinweise darauf, dass K. mit Neonazis kooperiert hat, zumal alle Verfahren zu den Neukölln-Anschlägen von der Soko „Fokus“ seit mehr als einem Jahr überprüft werden.

K. war in der Neuköllner Ermittlungsgruppe Rechtsextremismus (EG Rex) tätig. Seit Januar muss er sich vor Gericht wegen einer mutmaßlich rassistischen Gewalttat verantworten. Erstmals hatte die „taz“ über die Anklage im Januar berichtet. Nun machte das Antifa-Portal „Recherche 030“ publik, dass K. bis 2016 Beamter in der EG Rex war, die im selben Jahr aufgelöst wurde.

Es war jene Einheit, die die Neonazis in Neukölln im Blick behalten sollte und Kontakt zu den örtlichen Initiativen gegen Rechts und zu Opfern hielt. Seit 2008 soll K. bei der Ermittlungsgruppe gewesen sein, im Mai 2010 hospitierte er beim LKA, bei der Einheit für Aufklärung und operative Dienste. Seit dem 5. April 2017 steht K. in Verdacht, zumindest rassistisch zu sein.

Es war gegen 21 Uhr am S-Bahnhof Karlshorst nach einem Spiel des 1. FC Union, damals in der zweiten Bundesliga. Die Eisernen hatten 0:1 gegen Erzgebirge Aue verloren. Zwei Tage später verschickte die Polizei dazu eine Mitteilung. Der Staatsschutz, zuständig für politisch motivierte Straftaten, ermittelt. Von einer verbalen Auseinandersetzung ist die Rede.

Ein damals 26 Jahre alter Afghane soll von zwei Fußballfans, 21 und 24 Jahre alt, fremdenfeindlich beleidigt, geschlagen und getreten worden sein. „Als sich der Attackierte mit einer Bierflasche verteidigt haben soll, soll sich ein nicht im Dienst befindlicher 36-jähriger Polizeibeamter an der Auseinandersetzung beteiligt haben“, heißt es. Das Opfer wurde an Kopf- und Schulter verletzt. K. soll den eintreffenden Einsatzkräften gesagt haben, dass kein Problem vorliege, es seien keine deutschen Interessen berührt.

Stefan K. soll selbst zugeschlagen haben

Die Polizei ermittelte auch wegen des fremdenfeindlichen Hintergrunds. Zunächst ging es nicht voran, das Verfahren wurde eingestellt, das Opfer hielt sich zwischenzeitlich in Großbritannien auf. In der dann doch erhobenen Anklage der Staatsanwaltschaft gegen den Polizisten und die beiden Angreifer fand sich zu den rassistischen Motiven nichts.

Die Staatsanwaltschaft klagte die drei Männer wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung an. Zeugen sprachen im Prozess über die rassistischen Äußerungen. Darunter war laut Prozessbeobachtern eine Zeugin, die den Beamten zunächst als freundlich wahrgenommen habe. Er soll dann in das Geschehen eingegriffen haben, aber nicht um zu helfen, wie sie annahm. Er soll selbst zugeschlagen haben.

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Die Anklage kommt von jener Staatsschutzabteilung der Staatsanwaltschaft, deren Chef gerade abgesetzt wurde – wegen des unbewiesenen Anscheins der Befangenheit. Generalstaatsanwältin Margarete Koppers hat die Ermittlungen an sich gezogen. Um die Ermittlungen zu schützen. Und weil die Behörden in den mehr als 70 Verfahren, darunter Brandstiftungen an Autos von Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, seit Jahren nicht vorankommen, die Opfer das Vertrauen in den Rechtsstaat verlieren.

Mit der Anschlagsserie in Neukölln soll sich laut Innensenator Andreas Geisel (SPD) künftig eine externe Kommission befassen. Sie soll aus zwei oder drei Mitgliedern bestehen, die große bundesweite Erfahrung im Kampf gegen Rechtsextremismus haben. Die Kommission soll voraussichtlich Mitte September mit der Arbeit beginnen, wenn die Soko „Fokus" ihren Abschlussbericht vorgelegt hat.

Ohne Urteil abgeschoben

Nicht erst seit dem Fall von Stefan K. bemängeln Opferanwälte, dass die Staatsanwaltschaft rassistische Motive bei Gewalttaten ausblendet, obwohl die strafverschärfend wirken. Diese Konsequenz zog der Gesetzgeber aus der NSU-Mordserie. Die Gerichte müssen auch „rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende“ Motive würdigen.

Für den Afghanen hatte die Gewalttat weitreichende Folgen. Er war im Bundesfreiwilligendienst, arbeitete in einem Kindergarten, wollte Fotograf werden. Der 5. April änderte alles. Am selben Tag wurde sein Asylantrag abgelehnt, er rutschte ab ins Drogenmilieu, ist psychisch labil, traumatisiert, beging Straftaten.

Der Prozess wurde wegen der Corona-Pandemie ausgesetzt. Das Gericht sucht einen größeren Verhandlungssaal, um die Schutzregeln einhalten zu können. Und obwohl noch kein Urteil erging, wurde das Opfer im März mit einem Sammelflug abgeschoben – abgesegnet von Andreas Geisel.

Laut Flüchtlingshilfe hatte ein Gutachter dem Afghanen bescheinigt, bei den ihm vorgeworfenen Taten schuldunfähig gewesen zu sein. Auch die Staatsanwaltschaft war involviert. Im Januar teilte sie der Ausländerbehörde mit, dass der Abschiebung im März nichts entgegenstehe, bis dahin sei der Prozess beendet. Dann kam die Corona-Pandemie.

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Die Ausländerbehörde fragte offenbar nicht noch einmal nach. Stattdessen legte sie dem Innensenator die Zustimmungsanfrage für die Abschiebung vor – ohne Hinweis auf den Prozess, in dem der Afghane als Nebenkläger auftritt. „Dem Innensenator war bei seiner Einzelfallentscheidung nicht bekannt, dass der Mann 2017 Opfer einer möglichen rassistisch motivierten Straftat geworden ist“, sagt Geisels Sprecher. „Die Generalstaatsanwaltschaft hat im Januar 2020 seiner Abschiebung zugestimmt.“

Für eine Abschiebung hätten alle Voraussetzungen – „Straftäter, aufenthaltsrechtlicher Gefährder und hartnäckiger Identitätsverweigerer“ - vorgelegen. Ebenso die Prognose, „dass von ihm eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter ausgeht“.

In Berlin gibt es seit Juni 2017 eine Bleiberechtsregelung: Opfer von rassistischen Attacken sollen nicht abgeschoben werden. Der Afghane wurde zwei Monate vor Inkrafttreten der Vorgabe angegriffen, er wäre ein Fall für die Härtefallkommission. Jetzt gibt es Bemühungen der Flüchtlingshilfe, ihn wegen des Prozesses zurückzuholen.

K. ist weiterhin in Neukölln tätig

Stefan K. ist weiter Beamter. Die Polizeiführung hat das Disziplinarverfahren an sich gezogen. Ein Sprecher erklärte, dass „die Polizei Berlin den Verlauf des Strafverfahrens eng begleitet sowie den Ausgang verfolgt“. K. ist auch weiterhin in Süd-Neukölln in einer normalen Dienstgruppe tätig.

Mirjam Blumenthal, Bezirksverordnete und SPD-Fraktionschefin, kennt den Beamten noch gut. Ihr Auto war im Januar 2017 mutmaßlich von Neonazis in Brand gesetzt worden. Der Beamte „hat unsere Aktivitäten eng begleitet. Er und seine Kollegen waren sehr nah an uns dran, für uns ein Ansprechpartner und ein Brückenglied zu den Sicherheitsbehörden“, sagt Blumenthal. Sollten Teile der vertraulich ausgetauschten Informationen gegen die Opfer genutzt worden sein, „ist das schwer zu ertragen“.

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