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Projekte für das Miteinander: Ein Berliner Sozialunternehmen bringt Geflüchtete und Kieze zusammen
Wie kann man Rassismus und Vorurteile abbauen? Auf der „Neustart“-Konferenz stellte der Flüchtlingsheimbetreiber Tamaja seine Lösung für sozialen Frieden vor.
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„Ich dachte, die wollen alle nicht arbeiten“ ist so ein Satz, der bei Ina Pfingst hängen geblieben ist. Gesagt habe ihn eine ältere Dame, die aus ihren Vorurteilen gegenüber Flüchtlingen keinen Hehl gemacht habe. „Sie hat dann aber gelernt, dass vor ihr ein geflüchteter Mann sitzt, der ein Studium abgeschlossen hat“, berichtet Pfingst. Sie ist Sprecherin von Tamaja, einem Betreiber von Gemeinschaftsunterkünften in Berlin, der Räume der Begegnung und des Austauschs zwischen Alteingesessenen und Geflüchteten schafft.
Auf der „Neustart“-Konferenz – einer gemeinsamen Initiative von Berliner Morgenpost, „Tagesspiegel“, Radioeins und Euref-Campus – stellte das Sozialunternehmen seine Lösung für gesellschaftlichen Zusammenhalt vor.
Insgesamt betreibt Tamaja im Auftrag des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) fünf Gemeinschaftsunterkünfte sowie das Ankunftszentrum des Landes Berlin in der ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik. Mit rund 150 Mitarbeitenden kümmert sich das 2013 gegründete Unternehmen unter anderem um die Beherbergung und Betreuung von Schutzsuchenden und will ihnen Teilhabe und Selbstbestimmung ermöglichen.
Viele Schutzsuchende sind isoliert
In Berlin leben aktuell knapp 37.000 Menschen in LAF-Unterkünften. Rund 30 Unternehmen sind für den Betrieb der Häuser zuständig, wie das LAF auf Anfrage mitteilt – ein Viertel der Unterkünfte wird durch einen landeseigenen Betrieb betreut. Durch Umzäunung, Sprachbarrieren und die abgelegene Lage der Unterkunft sind viele Schutzsuchende isoliert. Zahlreiche Initiativen kümmern sich darum, Geflüchteten Teilhabe zu ermöglichen.
„Menschen brauchen mehr als einen Schlafplatz“, erklärt Tamaja-Sprecherin Pfingst. Zwischen 2015 und 2017 entstand das Projekt „HANGAR1“ auf dem Gelände des früheren Flughafens Tempelhof. Die Halle wurde zu einem Sport- und Freizeitort, einem Ort der Begegnung. Nicht nur Geflüchtete, die in den ersten Jahren des Projekts in den Hangars nebenan lebten, waren willkommen. „Jeder durfte rein“, erklärt Pfingst. „Das Angebot wurde gut angenommen.“ Viele seien aus der Umgebung in den Hangar gekommen, um etwa gemeinsam Fußball zu spielen oder um an einem Rap-Workshop teilzunehmen.
Das Projekt wurde 2024 beendet, doch die Idee blieb. „Wir wollen Menschen in den Kiezen zusammenbringen“, so Pfingst. Aus diesem Grund organisierte Tamaja Anfang Oktober ein sogenanntes „Little Social Festival“ in der Gemeinschaftsunterkunft Wittenberger Straße in Marzahn-Hellersdorf – ein Generationen-Treff, bei dem Jung und Alt, Alt- und Neuberliner zusammenkamen. Rund zehn Seniorinnen von außerhalb und 40 Unterkunftsbewohnerinnen und -bewohner seien vor Ort gewesen.
„Gemeinschaft kann nur entstehen, wenn die Zäune überwunden werden“
Das Konzept: Miteinander reden, sich kennenlernen, zusammen etwas gestalten und darüber Gemeinsamkeiten finden. Für die Organisation habe man auf bestehende Ressourcen wie Räumlichkeiten in den Unterkünften und Netzwerke zurückgreifen können. Allerdings seien die „Little Social Festivals“ nicht auf die Gemeinschaftsunterkünfte begrenzt, sondern könnten überall stattfinden.
„Die Veranstaltung hat unsere Erwartungen übertroffen“, sagt Sprecherin Pfingst. Nicht nur die eingangs beschriebene Rentnerin habe ihre Vorurteile abbauen können. Eine andere Besucherin gestand, Angst vor Begegnungen mit den Menschen aus der Unterkunft gehabt zu haben. Durch das Treffen habe sie eine neue Perspektive erhalten. „Gemeinschaft kann nur entstehen, wenn die Zäune überwunden werden“, so Pfingst. Ein weiteres Resultat des Treffens: „Unterkunftsbewohner wollen nun regelmäßig mit einer Rentnerin spazieren gehen“, berichtet die Unternehmenssprecherin. Eine Nachbarin wolle zudem künftig Strickkurse in der Unterkunft anbieten.
Ziel eines jeden „Little Social Festivals“ sei es, dass dabei von Tamaja unabhängige Strukturen im Kiez entstehen, die auch in Zukunft Austausch und Begegnung ermöglichen. Der Generationen-Treff sei nur ein Pilotprojekt gewesen. Anfang kommenden Jahres sei ein weiteres Projekt in einer Gemeinschaftsunterkunft in Neukölln in Planung.
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