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Rückzugsort. Nicht in allen Neuköllner Kneipen sind die Getränkepreise derart moderat. Trotzdem ziehen alte Eckkneipen zunehmend junges Publikum an.

© Imago/Schöning

Kneipenkultur in Berlin: Raus aus der Ecke!

„Das ist hier so scheiße, dass es schon wieder geil ist!“ – Hipster setzen sich ironisch in abgeranzte Eckkneipen. Und erheben sich damit über die Stammgäste. Das findet unser Autor gar nicht geil.

Das Bier lässt auf sich warten. Der Bardame läuft eine Schweißperle über die Stirn, ein letztes Mal fischt sie mit zittrigen Fingern die Zigarette aus dem Aschenbecher. Jetzt ist auch noch die Kippe nass, na schönen Dank auch. Das menschliche Treseninventar bleibt ungerührt. Eine Traube deutlich jüngerer Leute ist ungeduldiger. Wo bleibt denn mein Bier?, fragt einer. Kurze Stille, eisig. Die Nachfrage ein guter Grund auszuflippen, findet die Bardame und kotzt los: „Verdammte Scheiße!“ Und Abgang. Die Bar damenlos, die angezapften Biere verwaist. Mein Kumpel, der heute seinen Geburtstag in der Weddinger Kneipe „Beim Dicken“ feiert, schaut mich grinsend an: „Schon ganz geil, ne?“

Nö, gar nicht geil. Finde ich zumindest. In meinem Freundeskreis der meist zugezogenen, studierten Bildungsbürgerkinder Ende 20, Anfang 30 hat sich eine Unsitte breitgemacht, die ich von Tag zu Tag mehr verachte. Sie fallen in die noch unberührten Berliner Eckkneipen ein, meist im Rudel und meist laut. Sehr laut.

Das mit dem Bier dauert noch. Zeit, sich ein wenig umzusehen. An zwei Automaten sitzen Raucher, still bei sich und den Früchten, die sich immerzu drehen. Banane, Kirsche, Banane. Wieder nichts. Noch ’ne Kippe, noch ’nen Heiermann in den Automaten. Das Treseninventar schaut missmutig auf die junge Partygesellschaft. Der neben mir, der den Kampf gegen den Alkohol schon vor ein paar Stunden verloren hat, steht auf, versucht es zumindest, fällt wieder auf den Barhocker, dann noch einmal, die Hand jetzt an der Säule, die die Bar mit der Decke verbindet. Durchatmen, hochhieven, Abgang. Dort, wo er saß, ist die Säule abgegriffen wie die rechte Brust der Julia-Statue. Er hat sich hier viele Male hochgezogen, womöglich jede Nacht. Wie lang noch, ist die Frage. Die Jungen warten auf ihr Bier und lachen.

Die Wirtin sagt: "Da kommen sie, die Eindringlinge." Sie meint das nicht witzig

Andere Kneipe, gleiches Problem. In Neukölln gibt es wahrlich genug Kneipen, aber wir können uns auf keine einigen. Eine aus der Gruppe hat eine Superidee, spricht von Weltklasse-Kneipe, quasi ihr zweites Wohnzimmer, und „schön assi“. Kurz darauf stehen wir in der Sonnenallee vor einem Laden, der „Simone’s“ heißt. Die Initiatorin reißt die Tür auf, die Bardame hinter der Theke, jahrzehntelang gepflegte Lederhaut, sagt zur Begrüßung: „Oh Gott, da kommen sie wieder, die Eindringlinge.“ Sie meint das nicht witzig. Als unsere Biere kommen, 0,4 Liter für 1,20 Euro, sagt eine aus der Gruppe: „Das ist hier so scheiße, dass es schon wieder geil ist.“

Ist es nicht. Es ist einfach. Und die Leute, die hier eigentlich hingehen, finden es nicht scheiße. Die finden es gut. Man muss das nicht ironisieren. Genau das tun sie aber, die Berliner Hipster, die in Eckkneipen gehen, weil sie den Trashfaktor suchen. Sie erheben sich über das eigentliche Stammpersonal. Auf der Suche nach Spaß dringen sie in die letzten ungentrifizierten Räume der Stadt ein.

Der Typ mit der speckigen Lederjacke, der Erwin oder Jürgen heißt, hat bisher alles mit bemerkenswertem Gleichmut hingenommen. Die Initiatorin unseres Überfallkommandos rückt derweil den Tisch zur Seite, brüllt „Lasst uns dancen!“ und hakt sich bei Erwin oder Jürgen ein. Später wird sie sagen, wie viel Spaß das gemacht hat und wie gut das sicher Typen wie Erwin oder Jürgen tut, dass sie, und mit ihr das blühende Leben, in dieser abgeranzten Kneipe vorbeigeschaut haben.

Völlige Verkennung der Situation.

Zugegeben, auch ich gehe ab und an gerne in eine dieser Eckkneipen. Ich mag das Melancholische, das solchen Orten innewohnt. Dass sich Musik und Gespräche im Dunst verlieren, auch dass mitunter gar nicht gesprochen wird. Es erinnert mich an die Heimat, an meine Jugend. Ich finde es gut, dass es solche Orte gibt, mit Typen wie Erwin oder Jürgen, die in Ruhe ihr Bier trinken können. Männer in Kneipen sind Männer in Kneipen. Das reicht ihnen, mehr brauchen sie nicht. Schon gar nicht eine Horde ironisierender Spaßsucher, die zappelnd in die „Simone’s“ und „Zum Dicken“ dieser Stadt eindringen. Also, liebe Hipster: Raus aus den Eckkneipen!

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