
© Vincent Villwock / Grüne Fraktion Berlin
Rechte Anschlagsserie in Berlin-Neukölln: Untersuchungsausschuss geht juristisch gegen Landgericht vor
Ab September wird das Verfahren gegen zwei Hauptverdächtige neu aufgerollt. Daher blockiert das Gericht die Freigabe zentraler Akten für den Ausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus.
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Der Untersuchungsausschuss zur rechten Anschlagsserie in Neukölln will Rechtsmittel gegen das Berliner Landgericht einlegen. Dieser Entschluss sei einstimmig von den Fraktionen gefällt worden, sagte der Ausschussvorsitzende Vasili Franco (Grüne) bei einer Pressekonferenz am Freitag. Zugleich kritisierte er das Bundesministerium für Inneres (BMI) scharf und warf diesem eine „mindestens grob fahrlässige Missachtung der Arbeit eines Landesparlaments“ vor.
Die Staatsschutzkammer des Landgerichtes rollt ab September den Prozess gegen die Neonazis Sebastian T. und Tilo P. neu auf und verweigert vorerst die Herausgabe der Akten. T. und P wurden vor mehr als einem Jahr vom Amtsgericht Tiergarten aus Mangel an Beweisen vom Vorwurf der Brandstiftung gegen Autos politischer Gegner freigesprochen. Sie gelten als Hauptverdächtige in der rechten Anschlagsserie in Berlin-Neukölln, die im Fokus der Arbeit des Untersuchungsausschusses steht.
„Ohne den Zugang zu diesen Akten wird der Untersuchungsausschuss seinen parlamentarischen Auftrag nicht erfüllen können“, sagte Franco und warf dem Gericht eine fehlende Gesprächsbereitschaft vor. Der Ausschuss habe ein verfassungsrechtlich verbrieftes Klärungsinteresse – das gleichwertig zu der Arbeit der Strafjustiz sei.
Auch im Prozess gegen den Lübcke-Mörder bekam der Ausschuss keine Akten
Es gibt einen vergleichbaren Fall. Anfang 2021 hatte das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt/Main den Rechtsextremisten Stephan Ernst wegen Mordes am damaligen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) zu lebenslanger Haft verurteilt. Während des Prozesses hatte der Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags zum Lübcke-Mord beim OLG die Herausgabe der Akten beantragt.
Das lehnte das Gericht zunächst ab, der Ausschuss akzeptierte das: Die Akten könnten erst nach Ende der Hauptverhandlung herausgegeben werden. Das war dann Ende 2020 der Fall, das Urteil stand noch aus, die Beweisaufnahme war beendet. Deshalb könne davon ausgegangenen werden, dass die Gefahr für den ungestörten Fortgang der Hauptverhandlung nun deutlich reduziert sei, entschied das OLG.
Das Bundesinnenministerium stelle sich tot
In Richtung des BMIs kritisierte Franco, dass dieses seit Mai 2023 – als der Ausschuss nach der Wiederholungswahl neu eingesetzt wurde – nicht auf mehrfache Anschreiben reagiert habe. „Das BMI stellt sich tot“, sagte Franco und bezeichnete das als „absolut inakzeptabel“. Der Ausschuss hatte beim Innenministerium Akten des Verfassungsschutzes zu rechten Organisationen und Einzelpersonen angefordert.
Der Linken-Abgeordnete Niklas Schrader verwies auf einen ähnlichen Rechtsstreit zwischen dem Untersuchungsausschuss zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz. Dort habe das Gericht klar festgestellt, welche Aufgaben und Pflichten das BMI gegenüber den Landesbehörden habe. Auch in diesem Fall behalte sich der Ausschuss rechtliche Schritte vor, betonte Franco.
Ohne den Zugang zu diesen Akten wird der Untersuchungsausschuss seinen parlamentarischen Auftrag nicht erfüllen können.
Vasili Franco, Vorsitzender des Ausschusses zur rechten Anschlagsserie in Neukölln
Welche Rechtsmittel der Ausschuss am Ende einlegt, ist laut Franco noch nicht genau klar. Vermutlich werde sich der Verfassungsgerichtshof mit der Frage beschäftigen. Unklar ist, ob eine mögliche Entscheidung rechtzeitig zu Stande kommt: Der Ausschuss sei zwingend an die aktuelle Legislaturperiode gebunden und müsse 2025 die Beweisaufnahme beenden, um noch Zeit für den Abschlussbericht zu haben, sagte Franco.
Die Abgeordneten Stephan Standfuß (CDU) und André Schulze (Grüne) verwiesen allerdings darauf, dass es auch wichtig für künftige Ausschüsse sei, die Frage nach der Aktenfreigabe juristisch zu klären.
Der Untersuchungsausschuss soll mögliche Ermittlungspannen und Misstände rund um die rechte Anschlagsserie in Neukölln untersuchen. Die Behörden rechnen der Serie mindestens 72 rechte Straftaten, darunter 23 Brandanschläge, zu. Aktuell widmen sich die Abgeordneten dem ungeklärten Mord an Burak Bektaş im April 2012 sowie dem Mord an Luke Holland, der 2015 vor einer Neuköllner Kneipe erschossen wurde. Im zweiten Fall wurde 2016 Rolf Z. wegen Mordes verurteilt.
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