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Wer weiß denn noch, wie ein Flugzeug aus dem Kalten Krieg aussah. Volkmar Steinert, 76, Pilot hat 14.000 Flugstunden absolviert. Heute restauriert er mit ehemaligen Kollegen eine Maschine aus seiner Jugend.

© Kitty Kleist-Heinrich

Restaurierung eines Flugzeugs: Die letzte Landung der IL-14

Auf dem Tempelhofer Feld hat sich eine Gruppe ehemaliger Piloten und Ingenieure eine große Aufgabe vorgenommen. Zu groß für die Zeit, die ihnen bleibt?

An seinem letzten Dienstag räumt Manfred Sommer aus. Er hat angekündigt, dass er nicht mehr kommen könne, seine Gesundheit lasse es nicht zu. Die Luft. Atmen fällt ihm schwer. Eine Infektion würde ihm den Rest geben. Seine Lippen sind schmal.

Also hat der frühere Bordingenieur seine Kollegen zu den Plätzen geführt, die sein Revier gewesen sind all die Jahre, die sie das hier nun schon dienstags tun in einer früheren Kfz-Werkstatt auf dem Tempelhofer Feld. Hat ihnen alles gezeigt mit raumgreifenden Gesten, Werkzeuge und die von ihm vorbereiteten Bauteile, und Details erklärt mit Worten, die sie nicht vergessen mögen. Dann holt er ein Metallschild aus der Tasche. „Das wichtigste Teil“, sagt er und gibt es Hagen Goerz.

Der nimmt das Aluminiumschild, nicht größer als eine Kreditkarte, dreht es im Licht.

„Ich habe es damals abgebaut und seither aufbewahrt“, sagt Sommer, „da ich nicht weiß, ob ich noch mal wiederkomme, überlasse ich es dir.“

Geburtsurkunde. Typenschild der Iljuschin 14 P, die 1958 von den Flugzeugwerken Dresden gebaut und bis 1965 von der NVA als Transportmaschine eingesetzt wurde.
Geburtsurkunde. Typenschild der Iljuschin 14 P, die 1958 von den Flugzeugwerken Dresden gebaut und bis 1965 von der NVA als Transportmaschine eingesetzt wurde.

© Kai Müller

Der Andere nickt verständnisvoll. Es ist das Typenschild der Iljuschin 14 P. Eingraviert finden sich Baureihe, Seriennummer und Hersteller – die Geburtsdaten des Flugzeugs, an dem sie hier einmal wöchentlich arbeiten. Ansonsten aber geht Goerz über die Geste hinweg, die leicht zu viel Gewicht bekommen könnte. Einer geht. Einige vor ihm sind schon gegangen und nie wiedergekommen.

Geschichte wird nicht geschrieben. Sie wird gemacht, und dann ist sie vorbei.

Manchmal allerdings bekommt man eine Chance. Und das Dutzend älterer Herrschaften hat sie ergriffen, möbelt ein Relikt aus dem Kalten Krieg und den Anfängen der ostdeutschen Luftfahrtindustrie wieder auf. Unbemerkt von den Tausenden, die das Tempelhofer Feld an schönen Tagen nutzen, aber mitten unter ihnen in einem unscheinbaren Ensemble aus Containern, Wellblechhalle und Flachbau.

Indem sie das Flugzeug, eines der letzten seiner Art, nicht sterben lassen, hält es auch sie am Leben.

Sie korrigieren hier etwas. Aber ihre Kräfte schwinden

Hagen Goerz sitzt an einer langen Tafel zusammengeschobener Tische, tiefe, dunkle Augen, Schnauzer, kahler Schädel. Der 78-Jährige isst eine Bockwurst und Kartoffelsalat. Es ist das übliche Mittagsmenu der Gruppe, die aus einem Dutzend älterer Herren und einer Frau besteht. Fast alle haben Luftfahrterfahrung – als Piloten, Ingenieure, Mechaniker, Mitarbeiter der Flugsicherung. Mittags essen sie, was mit den simplen Mitteln einer Werkstatt aufgewärmt werden kann. Gelegentlich kommen Würstchen auf den Grill.

Wenn man Goerz nach seiner Aufgabe fragt, sagt er, dass er organisiere. Meistens trifft man ihn an einem Computer im Eingangsbereich, Blick auf das benachbarte Baseballfeld, wo ein Rasenmäher brummend seine Kreise zieht. Goerz hält Kontakt zur Außenwelt. Sie könnte die „Die Freunde der IL-14“ ansonsten leicht vergessen mit ihrem Eigensinn und Stolz.

Liegen gelassen. Jahrelang warteten die Teile der Iljuschin 15 in einem Tempelhofer Hangar, dass sich jemand ihrer annehmen würde. Das Technikmuseum hatte sie von der Treuhand für 1,- DM erworben.
Liegen gelassen. Jahrelang warteten die Teile der Iljuschin 15 in einem Tempelhofer Hangar, dass sich jemand ihrer annehmen würde. Das Technikmuseum hatte sie von der Treuhand für 1,- DM erworben.

© Czepluch

Die IL-14 ist ein Flugzeug, das nie wieder fliegen wird. Trotzdem bauen sie es wieder auf.

Es ist ein großes Flugzeug, das schlecht behandelt wurde. Zerschnitten und geplündert und jahrelang unbeachtet in einer Ecke liegengelassen.

Ein bisschen wie sie selbst. Dass man so schäbig mit der IL-14 umging und dass ihre Retter es auch nicht leichter haben, wundert sie nicht. „Denn erstens“, sagt einer aus der Runde, „ist es ein russisches Flugzeug“. Zweitens: „in der DDR gebaut“. Und drittens: „Wenn es eine Kriegsmaschine wäre, sähe die Sache anders aus.“

Bei der Bergung vom Haken gefallen und zerborsten

Dass historische Flugzeuge aufwendig restauriert werden, kommt häufiger vor. Es gibt Werkstätten, die für ihre wohlhabende Kundschaft legendäre Jäger des Zweiten Weltkriegs wiederherrichten und sie bei Flugshows über die Köpfe der Zuschauer hinwegdonnern lassen. Erst kürzlich ist der Unternehmer Volker Schülke („Lila Bäcker“) in einer Maschine aus seiner historischen Sammlung auf Usedom verunglückt. In Paderborn hat sich der Verein Quax zum Ziel gesetzt, museumsreife Doppeldecker, Jäger und Jets in die Luft zu bringen.

Schon für diese Ein- und Zweisitzer ist der technische Aufwand enorm. Wie viel mehr nötig ist, um eine Passagiermaschine zu erhalten, hat die Lufthansa erfahren müssen, als sie eine Lockheed Super Star, Klassiker des transatlantischen Linienflugs, wieder instandsetzen wollte. Die Kosten summierten sich auf 150 Millionen Euro, bevor die Fluggesellschaft das Projekt aufgab.

„Mir fehlte etwas.“ Der Luftfahrtingenieur Klaus Czepluch, 83, war bei einer Spezialabteilung der DDR-Fluglinie Interflug beschäftigt – bis ihn die Wende überflüssig machte. Nun restauriert er das Flugzeug, mit dem alles angefangen hat. Auch für ihn.
„Mir fehlte etwas.“ Der Luftfahrtingenieur Klaus Czepluch, 83, war bei einer Spezialabteilung der DDR-Fluglinie Interflug beschäftigt – bis ihn die Wende überflüssig machte. Nun restauriert er das Flugzeug, mit dem alles angefangen hat. Auch für ihn.

© Kitty Kleist-Heinrich

Wenn man kein Geld hat, braucht man Geduld. Die Iljuschin-14 ist eine von drei Passagiermaschinen, deren Restaurierung vom Berliner Technikmuseum in Auftrag gegeben wurde. Nach Jahrzehnten könnten sie in diesem Jahr fertig und in Berlin gezeigt werden. Die beiden anderen sind eine viermotorige Focke Wulf 200 „Condor“, Baujahr 1940, die im Krieg in einem norwegischen Fjord notwasserte, bei der Bergung 1999 zerborsten war und von Freiwilligen in den Bremer Airbus-Werken wiederhergestellt wurde; sowie eine Junkers F 13, Baujahr 1930, das erste Ganzmetallflugzeug des zivilen Luftverkehrs, das nach einem Absturz in Kanada von Leichtmetallfachleuten in Ungarn aufpoliert worden ist.

In Berlin hat das Technikmuseum die Sache 2006 in die Hände von Leuten wie Klaus Czepluch gelegt, einem weißhaarigen Herrn mit leicht gebeugtem Gang, kariertem Wollhemd und einem Lappen am Hosenbund, der an einem Dienstag im August durch die hohe, dunkle Wellblechhalle stiefelt, in der der Rumpf der IL-14 aufgebahrt liegt. Czepluch sucht nach einem Heizungsrohr. Mit seinen 83 Jahren ist er einer der Ältesten des ehrenamtlichen Restauratorenteams, und sieht immer ein bisschen traurig aus. Dass er das Rohr nirgends findet in dem wohlsortierten Durcheinander aus Flugzeugteilen, macht ihn nicht gerade glücklicher.

„Das Rohr muss etwa drei Meter lang sein“, murmelt er. „Als man die Maschine einst für den Transport nach Berlin zerlegte, wurden die Rohre ziemlich rabiat durchtrennt. Einige habe ich schon gefunden. Aber wie die zusammenpassen, weiß ich nicht. Es fehlen ja eine ganze Reihe.“

„Wir haben mal einen Plan gemacht“, sagt jemand.

„Schön für den Plan.“

Jemand läuft, den Plan zu holen.

„Darauf haben wir eingezeichnet, wie die Stücke zusammenpassen.“

„Es fehlen ja welche.“

„Was wir haben, ist im Plan grün markiert.“

Czepluch traut sich immer weniger zu. Aber alle anderen hören auf ihn. Wenn sie eine Aufgabe erledigt haben, wenden sie sich oft für eine neue an ihn.

Jetzt beugen sie sich über die technische Zeichnung. Czepluch kratzt sich zufrieden am Kopf. Er ist einen Schritt weiter. Wenn die Warmluftzufuhr mit ihren verwinkelten Rohrleitungen auch später für niemanden sichtbar im Inneren der Maschine verborgen sein wird, so ist es ihm doch nicht egal, ob sie original ist oder nicht.

Innereien. Das Flugzeug war 1992 sich selbst überlassen worden, was die Vandalen anzog. Die Restauratoren arbeiten seit 14 Jahren daran, das Zerstörungswerk von zwei Wochen zu reparieren.
Innereien. Das Flugzeug war 1992 sich selbst überlassen worden, was die Vandalen anzog. Die Restauratoren arbeiten seit 14 Jahren daran, das Zerstörungswerk von zwei Wochen zu reparieren.

© Czepluch

In der DDR entwickelte sich nach dem Krieg ein ehrgeiziges Luftfahrtprogramm. Die IL-14 P war die erste Lizenzproduktion, die ab 1955 in den Flugzeugwerken Dresden vom Band lief. In ihren Ausmaßen glich sie der älteren DC-3, dem „Rosinenbomber“, und auch mit ihr verbanden sich große Hoffnungen. Hofften die aus russischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrten Flugzeugbauer doch auf einen Exporterschlager. Mit den Sowjets wurde ein Liefervertrag über 80 Exemplare dieses Typs geschlossen, bis 1964 wurden sie auch nach Ägypten exportiert. Aber die Triebwerke aus russischer Fertigung waren für den internationalen Markt zu klein. Als das Nachfolgemodell abstürzte, wurde das Werk mit anderen Aufgaben betraut.

Zerschlagen und geplündert.

Das Tempelhofer Exemplar aus dem Jahr 1958 sollte der NVA als Transportflugzeug dienen. Kurz vor der Ausmusterung 1965 wurde sie zur fliegenden Kamera umgerüstet. Man schnitt zwei Sichtfenster in den Boden und installierte Fotoapparate, mit denen Luftaufnahmen gemacht werden konnten. Dass es deswegen ein „Spionageflugzeug“ gewesen sein soll, wie es in einem Fernsehbeitrag heißt, amüsiert den Ingenieur Czepluch. Die Maschine habe das Territorium der DDR nie verlassen, sagt er. Es wurde bis 1983 vor allem dafür genutzt, Tagebau-Gebiete zu überfliegen, um Erdbewegungen zu dokumentieren. Eine militärische Option waren Kontrollflüge über Raketenstellungen und andere geheime Objekte hinweg, um deren Tarnung zu prüfen. Ansonsten wurden Landkarten hergestellt, was Aufgabe erst der Armee war und dann infolge der militärischen Abrüstung von der Interflug übernommen wurde, der Staatslinie.

Linienführung. Eine zivile Version der IL-14 auf dem Erfurter Flughafen. Bis heute sind einige wenige Oldtimer dieses Typs im Einsatz.
Linienführung. Eine zivile Version der IL-14 auf dem Erfurter Flughafen. Bis heute sind einige wenige Oldtimer dieses Typs im Einsatz.

© akg-images / ddrbildarchiv.de /

Schließlich wurde die Maschine auf dem Stasi-Flugplatz Eilenburg in Sachsen abgestellt. Als die Bewachung des MfS-Objekts 1992 nicht mehr garantiert war, kamen die Vandalen und demolierten den Flieger innerhalb von zwei Wochen. Sie rissen Geräte und Instrumente aus dem Cockpit, Steuerhörner und Sonnenblenden, schlitzten die Verkleidungen und Polster auf, zerschlugen im Kabinenraum sämtliche Fensterscheiben.

Nur eine originale Beschriftungstafel sowie ein Instrument aus dem Cockpit sollte sich später wieder anfinden. Der Rest wurde mühsam neu beschafft. Im Internet gibt es einen Markt für Flugrequisiten, wenn man weiß, wen man ansprechen muss. Etliches aber haben sie auch originalgetreu nachgebaut, die Kabinenfenster etwa oder die kugelförmigen Knöpfe auf den Triebwerkshebeln, die sie aus Billardkugeln drehten. Als Veteranen der Mangelwirtschaft können sie sowas, auch wenn sie es nicht können. Was Improvisation anbelangt, war die DDR „eine gute Schule“, wie Czepluch schmunzelnd meint.

In der Gruppe gibt es unterschiedliche Vorstellungen davon, wie weit die Rekonstruktion gehen dürfe. „Lieber auf ein Teil verzichten, das in der IL-14 nie verbaut war, als eines verwenden, das nur so aussieht“, lautet Czepluchs Devise. Alles andere würde die Nachwelt in die Irre führen. „In hundert Jahren kann man ja nicht wissen, dass wir neues Material verwendet haben.“

"Das war schon was."

Dass man sich überhaupt in hundert Jahren an ein Stück seines Lebens erinnern könnte, hat Czepluch lange nicht für möglich gehalten, ein stiller Mann, dem die Stimme versagt, wenn er zu viel reden muss. Einer, der sich hochgearbeitet hat, wie er sagt, vom Kfz-Schlosser und Segelflieger zum Flugzeugingenieur und Abteilungsleiter, der Maschinen gewartet und für Sondereinsätze umgebaut hat und, weil er auch ein passionierter Taucher war, seinen ersten Lungenautomaten aus Bestandteilen der IL-14 konstruierte.

Ihre Bibel ist ein alter Ersatzteilkatalog, denn manchmal trügt die Erinnerung.
Ihre Bibel ist ein alter Ersatzteilkatalog, denn manchmal trügt die Erinnerung.

© Kai Müller

Auf die Frage, warum er sich in hohem Alter ausgerechnet diesem Projekt verschieben hat, gibt er eine kurze und eine komplizierte Antwort. Die IL-14 sei der erste Typ, an dem er ab 1959 gearbeitet habe. „Das verbindet“, sagt er. „Die andere Sache ist, dass ich nach der Wende mit 55 Jahren ausgemustert wurde. Sag ich mal. Wir wurden von einer westdeutschen Firma gekauft, die von den 300 Mitarbeitern nur 30 übernommen hat.“

Man legte ihm eine Vorruhestandsregelung nahe. Er fand danach nichts Passendes mehr.

Zwar wurden einige seiner Tage fortan von internationalen Tauchwettkämpfen ausgefüllt. Er arbeitete Regelwerke aus, war Chefrichter. „Das war auch schon was“, sagt er, „aber mir hat etwas gefehlt, deshalb habe ich zugegriffen, als das Angebot der Restaurierung kam.“

Da war nur ein Haufen olivgrüner Schrott in einer Ecke eines Tempelhofer Hangars, der aussah, wie sich sein Leben anfühlte. Zerschnitten, unsortiert, missachtet. Wenn er und seine früheren Interflug-Kollegen das in den Griff bekämen, was würde das über sie aussagen?

Die schon fertigen Bauteile der Maschine werden mit Folien gegen den Spatzendreck geschützt.
Die schon fertigen Bauteile der Maschine werden mit Folien gegen den Spatzendreck geschützt.

© Kai Müller

14 Jahre später beträgt der Wert ihrer Arbeitsstunden 14 Millionen Euro. Und der blanke, silbern schimmernde Aluminiumrumpf wartet aufgebockt in der provisorischen Wetterhalle darauf, dass ihm Flügel und Leitwerk, Motoren, Fahrwerke und weitere Großbauteile anmontiert werden, die um die Silberhülle herum auf Schaumstoffpolstern lagern. Doch für eine solche „Hochzeit“, wie sie es nennen, fehlt hier der Platz. Hinzu kommt, dass Schwalben sich in der Halle eingenistet haben und sich ihre Hinterlassenschaften zentimeterdick auf den Schutzplanen verteilen, mit denen die Flugzeugliebhaber ihre kostbaren Stücke jedes Mal akribisch abdecken müssen.

Czepluch fragt sich: „Wie das nun hier weitergehen soll, wenn wir paar Leute nicht mehr sind?“

Anfangs waren sie fünf, die die IL-14 aus eigener Erfahrung kannten und sie mehr oder weniger aus der Erinnerung wieder zusammensetzten. Einigermaßen fit seien heute noch drei von ihnen. Nicht daran zu denken, eines der Fahrwerke anzuheben und durch die Halle zu rollen, wie er das früher zu tun pflegte. Sie müssten dringend Verstärkung bekommen von „kräftigen Leuten“, sagt Czepluch.

"Wir arbeiten schaumgebremst", sagt er.

Er, der von sich sagt, dass er eine Sache, die er begonnen habe, gerne auch zu Ende bringe, beobachtet an sich ein merkwürdiges Phänomen: sein Elan schwinde. Aus den acht Stunden, die sie früher dienstags an der IL-14 geschuftet haben, sind vier geworden. Neulich bediente er sich sogar einer Ausrede, um am Dienstag nicht in die Werkstatt zu müssen. „Hätte ich früher nicht gemacht. Jetzt nutzt man jede Gelegenheit, eher zu gehen oder gar nicht erst zu kommen.“

Sie korrigieren hier ein Urteil über sich. Aber mit nachlassenden Kräften.

Unter der Maschine hängt eine Beobachtungskanzel.
Unter der Maschine hängt eine Beobachtungskanzel.

© Czepluch

Volkmar Steinert merkt man das kaum an. Der 76-jährige Sachse ist ein kleiner Mann mit krummen Beinen, der sich vor der Lackierhalle auf ein Flugzeugteil schwingt und seine Spritzpistole säubert. Drinnen trocknen zwei schwarze Kästen, die er eben angesprüht hat. Bevor der frühere Interflug-Pilot sich der IL-14-Truppe anschloss, konnte er nicht lackieren. Aber darum gehe es ja, sagt er lächelnd: dass man was dazulernt.

Wenn man ihm zuhört, wie er seine Geschichte erzählt, die reich ist an Anekdoten und Brüchen, dann scheint es immer ums Weiterkommen gegangen zu sein. Er wuchs ohne Vater auf, nachdem der im vorletzten Kriegsjahr gefallen war, scheute kein Risiko. Mit 16 kam er über das Fallschirmspringen zur Fliegerei. Warum immer hinten raushüpfen, wenn man auch vorne sitzen bleiben konnte. So wurde er Jagdflieger bei der NVA. Als man ihm nach 15 Jahren riet, seinen Abschied zu nehmen, um Pilot bei der Interflug zu werden, fiel ihm der Abschied von der Flieger-Elite zunächst schwer. Denn er fühlte sich jung und wollte sich beweisen. Und dass er mal in den Abgasstrahl einer vorausfliegenden Mig und ins Trudeln geraten war und abgestürzt wäre, wenn er die Maschine nicht wieder in den Griff bekommen hätte, sagte auch viel über ihn aus, fand er.

Das Privileg, nach Tokio zu fliegen

Im Nachhinein konnte er durch den Wechsel zur zivilen Luftfahrt viel länger Pilot sein, als er das in der NVA je gedurft hätte. 50 Jahre saß er im Cockpit verschiedener Passagiermaschinen. Am Ende hatte er 14 000 Flugstunden gesammelt, was 225 Erdumrundungen entspricht.

Er fühlte sich privilegiert. Als Interflug-Pilot durfte er auch ins „nicht-sozialistische Wirtschaftsgebiet“ reisen, nach Australien, Japan. Angola und Mosambik standen auf dem Flugplan. Doch mit der Wende ging für Steinert einiges zu Bruch. Nicht nur, dass er Job und Reputation einbüßte. Auch seine Ehe hielt nicht mehr. Auf der Langstrecke eingesetzt zu werden, bedeutete vor allem, sich von der Familie zu entfernen. So sieht Steinert es heute. „Montags nach Hanoi zu fliegen, mittwochs zurückzukehren, um donnerstags nach Havanna aufzubrechen, lässt für die Familie keinen Platz. Und dann will man auch noch, dass es zu Hause so läuft, wie man will.“ Er weiß schon, warum es zur Scheidung kam.

Bausatz. Bei ihrer Restauration wandeln die „Freunde der IL 14“ auf dem schmalen Grat zwischen Original und Nachbau. Hier eines der versiegelten Abgasrohre.
Bausatz. Bei ihrer Restauration wandeln die „Freunde der IL 14“ auf dem schmalen Grat zwischen Original und Nachbau. Hier eines der versiegelten Abgasrohre.

© Kitty Kleist-Heinrich

Warum das aber mit der Interflug zu Ende ging, ist ihm noch immer ein wenig schleierhaft. Zwar konnten sie ihn auch bei westlichen Fluggesellschaften gebrauchen, nachdem diese sich im Nachlass der osteuropäischen Konkurrenz mit Maschinen bedient hatten und Piloten brauchten, die Ostfabrikate zu fliegen wussten, aber es war nicht dasselbe. Früher waren sei einander auch über den Job hinaus verbunden.

Da diese Verbindung zu früheren Interflug-Kollegen erhalten blieb, landete Steinert in der Lackierhalle. „Einen solchen Zusammenhalt“, sagt er über die Gruppe, „bringt eine untergegangene Gesellschaft hervor.“

Nicht dass er oder Czepluch der DDR nachtrauern würden. Letzterer hat nicht vergessen, wie man ihm seinen Traumberuf des Bordingenieurs verwehrte, was einen Arbeitsplatz in der Luft bedeutet hätte. Er wäre geeignet gewesen. Ihm fehlten „sieben Gramm“, wie er sagt. Das Gewicht des Parteiabzeichens. Als zwei Kommilitonen mit ihrer Bewerbung auch das ausgefüllte Formular für den Parteieintritt abgaben, wurden sie angenommen, ihm jedoch empfahl man weitere Qualifikationen.

Aus dem Osten, mit dem Osten

„Ich habe mir meine Stasi-Akten nie angesehen. Man wusste, was los war. Einmal sollte ich unterschreiben, dass ich jegliche Kontakte zur Familie im Westen abbrechen würde. Da weigerte ich mich. Die werden gewusst haben, dass es nur wenig Kontakt gab. Das hing mir dann am Bein. Ärgerlich war nur, dass ich mich durchgekämpft habe, und nach der Wende behaupteten viele, dass man in die Partei habe eintreten müssen, was nicht stimmte. Das war Korruption: in die Partei eintreten, um ohne eigene Leistung vorwärts zu kommen.“

Er blieb am Boden.

Vielfliegerin. Als ihre akademische Laufbahn Mitte der 70er abrupt endete, verschrieb sich Ingrid Andriessen (re.) dem Himmel. Auch mit 68 steigt sie noch auf.
Vielfliegerin. Als ihre akademische Laufbahn Mitte der 70er abrupt endete, verschrieb sich Ingrid Andriessen (re.) dem Himmel. Auch mit 68 steigt sie noch auf.

© Kitty Kleist-Heinrich

Ingrid Andriessen zieht es unwiderstehlich hinauf, in die Lüfte. Obwohl man das gerade jetzt nicht erkennen kann, da die 68-Jährige in Latzhose vor einer Art gebogenem Ofenrohr kniet, um seine Dämmung mit Tape zu umwickeln. Es ist eines der Auspuffrohre, die die Abgase vom Triebwerk über den Flügel leiten. Andriessen ist nicht nur die einzige Frau in der IL-14-Truppe, sie ist außerdem noch aus dem Westen.

„Mich hatte man überall rausgeschmissen“, sagt die gebürtige Berlinerin, die in Bayern aufwuchs und über den Freundeskreis des Technikmuseums zum Iljuschin-Projekt stieß. „Das verbindet mich mit den Männern und ihrer abgebrochenen Interflug-Vergangenheit.“

Sie kam dazu, als Helfer für das Bespannen des Leitwerks gesucht wurden. Die Aufnahmeprüfung in der Gruppe habe darin bestanden, sagt sie kichernd, das Wort „Konsum“ richtig auszusprechen, auf Ost-Weise, Betonung auf der ersten Silbe.

Sie hatte keine Zeit zum Fliegen, kein Geld und nicht den Nerv

Andriessen, kurze Haare, große Augen, lacht auffallend häufig. Wie jemand, der anderen Menschen Zeit geben will, sich an sie zu gewöhnen. In diesem Fall an eine Frau, die ihr Leben mehrfach beherzt umgekrempelt hat, um fliegen zu können. Von einem Flugfeld im südlichen Brandenburg steigt sie heute noch auf so oft sie kann, in den riesigen Horizont, sieht unter sich die konturlosen Weiten von Wäldern und Gewässern, die ineinander übergehen. Ein Luftraum zum Verirren. Wie gut, sagt Andriessen, gelernt zu haben, wie man nach Karten navigiert.

30 Jahre hatte die frühere Fluglehrerin nicht am Steuer eines Flugzeugs gesessen, weil ihr als vierfacher Mutter so ziemlich alles dafür fehlte, die Zeit, das Geld, der Nerv. Ihr Mann war als Hubschrauberpilot oft wochenlang unterwegs. Schließlich, die Kinder waren aus dem Haus, gab sie ihrer lange unterdrückten Flugleidenschaft in dem autobiografischen Roman „Die Nachtflugpilotin“ Ausdruck, der 2018 erschien und im Wesentlichen auf eigenen Erlebnissen basiert, um in einem nächsten Schritt selbst mit dem Fliegen wieder anzufangen.

Für jedes Gewerk einen Fachmann. Hier werden Teile des Flügels neu bezogen und später mit Spannlack beschichtet.
Für jedes Gewerk einen Fachmann. Hier werden Teile des Flügels neu bezogen und später mit Spannlack beschichtet.

© Czepluch.

„Aber finden Sie mal einen Fluglehrer, der eine frühere Fluglehrerin bei ihrem Wiedereinstieg begleitet“, sagt sie. Einige winkten ab. Und für Andriessen war es nicht einfach, sich als Anfängerin auszugeben.

Aber bei der Iljuschin-14 geht das allen so. Sie haben ein Leben voller Umbrüche hinter sich und kehren mit diesem Flugzeug an den Anfang einer Leidenschaft zurück. Um noch einmal das Beste draus zu machen.

Ein Makel, dass die Maschine nie fliegen wird?

„Ich schaue mir in einem Museum alte Bilder an, weil so etwas heute nicht mehr gemalt wird“, sagt Klaus Czepluch. Auch die IL-14 ist ein Bild. Da geht es nicht ums Fliegen, sondern ums Geflogensein. Dann setzt er sich an seinen Laptop, der aufgeklappt neben einer Werkbank steht, und klickt Bilderdateien an, die den Zustand der Maschine über die Jahre festhalten. Vom demolierten Anfang bis zur Pracht der Wiederherstellung.

„Ich will den Krach der Motoren gar nicht hören“, sagt er. „Meine Ohren haben genug gelitten. Pfeift ständig. Aber wie viele Menschen haben eine Vorstellung, dass es mal einen Anfang gab und wenigstens ein Flugzeug davon existiert?“

Flugzeuge gehören in den Hangar

Schon eigenartig, dass hunderttausende an Stunden des Tüftelns, Ablaugens, Polierens, Drehens und Neubeschaffens nötig waren, um das Zerstörungswerk von zwei Wochen zu korrigieren.

Nächsten Dienstag ist er wieder da. Er hat beinahe alle Heizungsrohre beisammen. Und die Betreibergesellschaft des Flughafengebäudes hat sich entschlossen, auch der Iljuschin wieder einen Platz im Hangar zu geben, aus dem sie von Klaus Wowereits Modemesse-Ambitionen vertrieben worden war. Im November sollen Rumpf, Tragflächenmittelstück und Triebwerke umziehen und montiert werden. Im April nächsten Jahres könnte der Rest folgen. Da muss sich Klaus Czepluch schon beinahe beeilen.

Obwohl ihm nicht wohl bei dem Gedanken ist.

Ein Flugzeug gehört in den Hangar. In Tempelhof gibt es genug davon, und sie sind jetzt sogar wieder leer. Dass Czepluch trotzdem Bedenken hat, liegt daran, dass die Projektgesellschaft für den Unterhalt des weltberühmten Baus mehr Geld verdienen muss, als ihr das die Besucher von ein paar alten Flugzeugen in Aussicht stellen. Geld bringt dagegen die Vermietung der Hangars an Festivals, Messen, temporäre Nutzer. Nicht, dass diese Kunden keine Flugzeuge mögen würden. Im Gegenteil. Sie sind eine wundervolle Kulisse.

Kulissen müssen sich schieben lassen. Der Gedanke lässt Klaus Czepluch leise stöhnen. Rollen ist ja fast wie fliegen. Und für einen Moment sieht er gleich noch mal ein bisschen unglücklicher aus.

Höhenfeststellung. Hagen Goerz (re. im schwarzen T-Shirt) übernimmt die Rolle des Geschäftsführers der Ehrenamtstruppe und hält Kontakt zur Außenwelt.
Höhenfeststellung. Hagen Goerz (re. im schwarzen T-Shirt) übernimmt die Rolle des Geschäftsführers der Ehrenamtstruppe und hält Kontakt zur Außenwelt.

© Kitty Kleist-Heinrich

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