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Die Demonstration im vergangenen Jahr.

© Imago/Müller-Stauffenberg

Revolutionäre 1. Mai-Demo in Berlin: Die Toleranz gegenüber Antisemiten ist unerträglich

Am 1. Mai wird es wieder zu judenfeindlicher Hetze kommen. Die Veranstalter der Demo werden dies nicht unterbinden. Eine Schande mit Tradition. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Sebastian Leber

Wenn Sonntagabend die „Revolutionäre 1.-Mai-Demo“ durch Berlin zieht, wird auch wieder diese Parole gerufen: „From the River to the Sea, Palestine Will Be Free“. Vom Jordan bis zum Mittelmeer wird Palästina frei sein? Das bedeutet nichts anderes als: Der Staat Israel soll abgeschafft werden. Und alle dort lebenden Juden sollen, dazu gibt es unterschiedliche Wunschvorstellungen, vertrieben oder getötet werden oder sich unterwerfen.

Niemand, der diese Parole jemals gerufen hat, konnte plausibel erklären, was sie anderes bedeuten könnte.

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Es gibt in der Linken, auch in der radikalen Linken, viele Menschen, die jede Form von Antisemitismus ablehnen und bekämpfen. Die meisten derer, die am Sonntag mitlaufen, tun dies vermutlich ebenfalls. Dass sie es trotzdem nicht schaffen, Antisemiten fernzuhalten, ist eine Schande.

Bei den Protesten im vorigen Jahr wurde nicht bloß „From the River to the Sea...“ skandiert, sondern auch „Intifada bis zum Sieg“. Es wurden Symbole der BDS-Bewegung gezeigt. Die Veranstalter wissen, dass es dieses Jahr genauso kommen wird. Sie haben sich bewusst dazu entschieden, dies nicht zu thematisieren und nicht zu verhindern.

Häufig wird Antisemitismus geduldet, weil er als "antiimperialistisch" verklärt wird

Ein Grund, warum Antisemiten geduldet werden, ist sicherlich, dass sie es bei Bedarf verstehen, ihren Judenhass halbwegs zu verschleiern und ihre Auslöschungsfantasien etwa als „antiimperialistisch“ zu verklären. Oder sie behaupten, Nationalstaaten müssten doch sowieso überwunden werden auf dem Weg zur klassenlosen Gesellschaft. Aber von den 193 Staaten, die derzeit existieren, wird am Sonntag in Berlin namentlich nur von einem einzigen die Abschaffung gefordert werden. Und natürlich ist das antisemitisch.

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Es macht fassungslos, wie viele Linke den Judenhass in der eigenen Szene weiterhin leugnen. Ihre Verteidigungsreden sind absurd. Eine bekannte Berliner Aktivistin argumentierte etwa, der Satz „Ich hasse Juden“ sei nicht so schlimm, wenn derjenige, der ihn ausspricht, im Grunde differenzierte Israelkritik äußern wolle und bloß nicht die richtigen Worte finde.

[Lesen Sie auch: „Mir ist wichtig, dass es zu keiner Eskalation kommt“: Bürgermeister Hikel über den 1. Mai in Neukölln (T+)]

Den bislang letzten ernsthaften Versuch, Antisemiten von dieser Demonstration fernzuhalten, gab es vor sechs Jahren. Bei einem Vorbereitungstreffen wurden damals Anträge eingebracht, um die einschlägigen Gruppen BDS und „F.O.R. Palestine“ aus dem Bündnis zu schmeißen. Die Anträge wurden mit großer Mehrheit abgelehnt. Aus dem Kreis der Abstimmenden hieß es, die Berliner Demonstration sei „kein Ort, um den Nahost-Konflikt zu lösen“. Die Unterlegenen verließen frustriert das Bündnis.

"Mit Menschenfeinden marschiert man nicht"

Sehr wahrscheinlich werden die antisemitischen Parolen am Sonntag nur von einer kleinen Minderheit der Demonstranten gerufen. Aber sie werden von allen geduldet. 

In den vergangenen zwei Pandemie-Jahren regte man sich zurecht über Menschen auf, die nach eigener Aussage bloß gegen staatliche Corona-Maßnahmen demonstrieren wollten, dann aber kein Problem damit hatten, gemeinsam mit Rechtsextremen und Reichsbürgern durch die Straßen zu ziehen. Derselbe Anspruch muss auch hier gelten: Mit Menschenfeinden marschiert man nicht. Menschenfeinde schließt man aus.

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