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Friedhof in Magenta. Im brandenburgischen Michendorf lagert die Telekom rund 3000 ausrangierte Telefonzellen. Liebhaber können diese auch privat für 450 Euro erwerben.

© imago images / Karina Hessland

Robuste Relikte: Die Zukunft der Telefonzelle

Sie sind teuer, werden kaum genutzt und oft beschädigt. Trotzdem gibt es noch immer mehr als 1000 Telefonhäuschen in Berlin.

Schlank, aus Edelstahl und zwei Meter hoch – am Berliner Hauptbahnhof stehen im Erdgeschoss neben den Rolltreppen vier Relikte aus naher Vergangenheit. Es sind öffentliche Telefonsäulen, die im typischen Magenta der Telekom leuchten. Hier stehen sie schon länger und bleiben auch. Woanders werden sie abgebaut, an einigen Orten errichtet das Mobilfunkunternehmen neue. Doch wer verwendet im Zeitalter des Smartphones noch diese öffentlichen Telefone?

Beobachtet man die Telefonsäulen im Trubel der täglich rund 300 000 Durchreisenden, passiert genau das, was man erwartet – nichts. Die kniehohe Ablage, ursprünglich für das Gepäck gedacht, dient für die Reisenden heute eher als Halterung für ihren Coffee to go. Es telefoniert kaum jemand.

Kostengünstig ist das öffentliche Telefon im Vergleich zum Handy nicht. Für einen Inlandsanruf müssen Telefonierende mindestens 1,20 Euro einwerfen, jede weitere Minute kostet zehn Cent.

Die Bedeutung der Telefonzelle habe mit dem Siegeszug des Handys abgenommen, sagt der Pressesprecher der Deutschen Telekom Georg von Wagner. Derzeit stehen laut der Bundesnetzagentur bundesweit rund 16 350 Telefonzellen, die von Telekom betrieben werden. Zum Vergleich: Im Jahr 1992 gab noch 120 000 Telefonhäuschen.

Es werden immernoch neue Telefonhäuschen aufgestellt

In Berlin stehen laut einer Zählung der Wirtschaftsverwaltung des Berliner Senats aus dem Jahr 2016 noch 1232 Zellen. Allerdings sinkt ihre Zahl auch in der Hauptstadt rapide. Denn nicht genutzte Telefonzellen kosten Geld. So muss die Telekom für den Unterhalt von Strom, Standortmiete und Wartung aufkommen. Sobald eine Telefonzelle einen Umsatz von weniger als 50 Euro im Monat erwirtschafte, spreche die Telekom mit den betroffenen Kommunen über einen möglichen Abbau, erklärt von Wagner.

Zusätzliche Kosten entstehen durch Vandalismus an Telefonzellen. Pro Jahr entsteht laut Angaben der Telekom eine Schadenshöhe von über einer Million Euro. Besonders an Silvester werden die Anlagen durch Böller oft so stark beschädigt, dass sie durch neue ersetzt werden müssen.

Kleine Disko. Auf dem RAW-Gelände wird in einer Telefonzelle getanzt.
Kleine Disko. Auf dem RAW-Gelände wird in einer Telefonzelle getanzt.

© Mike Wolff

Trotz des Rückgangs der Telefonzellen und ihrer Nutzer werden weiterhin Telefonhäuschen an neuen Standorten angebracht. Bedarf bestehe etwa noch an zentralen Standorten in Großstädten, sagt von Wagner. In Berlin nutzen Touristen die öffentlichen Telefone am Potsdamer Platz, Brandenburger Tor oder am Hauptbahnhof. Wo letztmals eine Telefonzelle aufgestellt wurde, konnte von Wagner aber nicht sagen. Klar sei nur, dass in den vergangenen Wochen keine neuen Zellen aufgestellt worden seien, sagt er.

Warum die Telekom im Jahr 2020 überhaupt noch Zellen aufstellt? Es ist gesetzlich geregelt. Laut der Bundesnetzagentur soll es eine „flächendeckende Bereitstellung von öffentlichen Münz- und Kartentelefonen“ geben, die von der Telekom erbracht werden muss. Dabei handele es sich um ein Mindestangebot für die Öffentlichkeit, sagt eine Sprecherin der Bundesnetzagentur. Wie groß dieses Mindestangebot ist, teilte die Bundesnetzagentur auf Anfrage des Tagesspiegel nicht mit.

In der Nähe von Potsdam stehen derzeit 3000 abgebaute Telefonzellen

Letztlich droht den meisten Telefonzellen dasselbe Schicksal. Alle Exemplare in Deutschland werden nach Michendorf nahe Potsdam transportiert und dort gelagert. Auf dem abgelegenen Gelände stehen derzeit rund 3000 ausrangierte Telefonzellen. Durch einen Stahlgitterzaun gesichert stehen die grau-magentafarbenen Telefonhäuser säuberlich aneinandergereiht, dicht an dicht.

Einige Telefonhäuschen auf dem Gelände werden komplett verschrottet, während andere als Ersatzteillager für aktive öffentliche Telefone dienen. Auch Privatpersonen können die Telefonzellen für 450 Euro pro Exemplar kaufen.

Die alten Telefonhäuschen dienen teilweise als Bücherbox oder Dusche

Käufer konnten sich zunächst zwischen dem grau-magentafarbenen und dem gelben Modell entscheiden, wobei die gelben eindeutig beliebter sind, sagt von Wagner. Die letzte gelbe Zelle wurde allerdings bereits im April 2019 abgebaut.

Nostalgiker verleihen den Telefonzellen nun ein zweites Leben. Die Möglichkeiten scheinen dabei unerschöpflich – sei es als kleinste Disko der Welt, Bücherbox oder Dusche. Selbst die Berliner Polizei übernahm vor über zehn Jahren ein paar der Häuschen – als Regenschutz für Wachpolizisten. Lange standen die Zellen zum Beispiel vor Botschaften, bis Geld für etwas größere richtige Häuschen da war.

Lisa Kim Nguyen

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