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Antje Kapek ist als Vorsitzende der Grünen-Fraktion zurückgetreten.

© imago/Emmanuele Contini

Rücktritt von Berlins Grünen-Fraktions-Chefin Kapek: Die psychische Gesundheit in der Pandemie ins Licht gesetzt

Berlins Grüne-Fraktionsvorsitzende Antje Kapek ist von ihren Ämtern zurückgetreten. Die Größe des Abgangs liegt in ihren persönlichen Worten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christian Latz

Nur einen Monat nach ihrer Wiederwahl zur Fraktionsvorsitzenden der Grünen ist Antje Kapek am Dienstag von ihrem Amt zurückgetreten. Für die Partei ist es nach dem Abgang von Wirtschaftssenatorin Ramona Pop ein weiterer herber politischer Verlust.

Kapek war seit 2012 Co-Vorsitzende der Fraktion, galt als durchsetzungsstark, selten um einen bissigen Kommentar gegen den politischen Gegner verlegen – auch wenn sie damit manchmal über das Ziel hinausschoss. Sie kämpfte für ihre Ziele, insbesondere in der Verkehrspolitik und Stadtentwicklung. Zugleich wusste sie meist, wann sich ein politisches Gefecht lohnt und wann ein Streit besser im Stillen beigelegt wird.

Einigen bei den Grünen galt die Parteilinke dabei oft aber auch als zu streitlustig. Nicht zuletzt ihre Kreuzberger Schnauze galten für viele als Ausschlusskriterium, um Regierende Bürgermeisterin zu werden. Ein Ziel, dass ihr zwischenzeitlich nachgesagt wurde.

Der neue starke Mann auf dem linken Flügel – und ein möglicher Nachfolger - ist nun Ex-Parteichef Werner Graf. Er muss noch unter Beweis stellen, dass er Kapeks Präsenz ersetzen kann.

Noch mehr als die Plötzlichkeit ihres Abgangs überraschen aber die persönlichen Worte, mit denen die 45-Jährige ihren Rückzug begründet: „Der Wahlkampf, die Koalitionsverhandlungen und die politischen wie privaten Auswirkungen der Corona-Pandemie haben bei mir mentale und physische Spuren hinterlassen. Diese kann ich nicht mehr weiter ignorieren.“

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Politik ist ein hartes Geschäft. Häufig wird im Ärger über politische Entscheidungen vergessen, welcher Druck auch auf Spitzenpolitiker:innen seit Pandemiebeginn lastet. Selten wird über die psychische Gesundheit derer geredet, die seit zwei Jahren im Rekordtempo Entscheidungen treffen. Kapek könnte mit ihrem Statement einen Anfang für einen ehrlicheren Umgang damit machen.

Wer wird unter diesen Bedingungen heute noch Politiker?

Sicherlich genießen Politiker:innen auch in der Pandemie Privilegien. Ihr Geld wurde weiter ohne Einschränkungen gezahlt, Angst vor Jobverlust gab es kaum. Nichtsdestotrotz lohnt eine Debatte über die psychische Belastung und die Ansprüche an Spitzenpolitiker:innen.

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Wer kann von überarbeiteten oder ausgelaugten Menschen noch die bestmöglichen Entscheidungen erwarten? Wie viel Sinn ergeben Nachtsitzungen bis in den frühen Morgen? Letztlich steht dahinter die Frage: Kann ein politisches Geschäft, das vielen nur für eine bestimmte Dauer erträglich scheint, gute politische Entscheidungen zu Tage fördern? Und: Wer wird dann heutzutage noch Politiker:in?

Die psycho-sozialen Folgen der Pandemie drohen unterzugehen

Ohnehin lohnt in dieser Zeit jede Debatte über psychische Gesundheit. Während der Corona-Pandemie ist die Zahl der Anfragen für eine psychotherapeutische Behandlung in Deutschland um 40 Prozent gestiegen. Die einen belastet der Stress, zeitgleich zur Arbeit die Kinder betreuen zu müssen und dabei gemeinsam zu viel Zeit auf zu engem Raum zu verbringen.

Andere haben die Lockdown-Phasen und das Wegbrechen vieler Freizeitaktivitäten vereinsamen lassen. Es sind Mehrfachbelastungen, die gerade Familien in die Erschöpfung führen.

Bis heute drohen diese psycho-sozialen Folgen der Pandemie neben Berichten über Infektionszahlen und Öffnungsdebatten unterzugehen. Dass eine Spitzenpolitikerin wie Antje Kapek dies mit ihrem persönlichen Bekenntnis öffentlich zum Thema macht, ist umso bedeutender.

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