
© Tagesspiegel/Lydia Hesse
„Sammelbecken vermeintlich ,linker‘ Sekten“: Friedrichshain-Kreuzbergs Sozialstadtrat Oliver Nöll verlässt Berliner Linkspartei
20 Jahre lang war Oliver Nöll Mitglied der Linken. Jetzt tritt er aus – mit sofortiger Wirkung. Und kritisiert die Partei scharf, unter anderem beim Umgang mit Antisemitismus in den eigenen Reihen.
Stand:
Es ist ein weiterer prominenter Abgang bei den Berliner Linken: Oliver Nöll, stellvertretender Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg und dort als Stadtrat zuständig für die Bereiche Arbeit, Bürgerdienste und Soziales, ist am Mittwoch mit sofortiger Wirkung aus der Partei ausgetreten. Das teilte Nöll auf seiner Facebook-Seite mit.
In einem vierseitigen Schreiben begründet er den Schritt – und kritisiert die Partei und deren Führung scharf. Die Linke wandele sich „von einer demokratischen Partei mit Gestaltungsanspruch und einem Konzept für die Bezirke und die Stadt zu einem Sammelbecken vermeintlich ‚linker‘ Sekten“, schreibt Nöll. Ihm begegne zunehmend „eine sich verfestigende Ablehnung der parlamentarischen Demokratie und ihrer Institutionen“.
„Die Linke Berlin hat sich in meiner Wahrnehmung zunehmend davon verabschiedet, die Stadt gestalten zu wollen und mit konkreten Vorschlägen an der Verbesserung der Lebensbedingungen zu arbeiten. Vielmehr wandelt sie sich zu einem polittheoretischen Diskussionszirkel“, schreibt Nöll.
Als Grund nennt Nöll den Umgang mit dem Thema Antisemitismus
Einer alleinerziehenden Mutter könne nicht „mit utopischen Heilsversprechen in ferner Zukunft geholfen werden, sondern durch konkrete Politik im Hier und Heute“. Er könne und wolle „nicht mehr mit denjenigen zusammenarbeiten, die Straßenkämpfe, Umsturz und Etablierung eines ‚Staatssozialismus‘ propagieren“.
Als Grund für den Austritt führt Nöll, wie bereits andere Spitzenpolitiker des Landesverbandes vor ihm, insbesondere den Umgang mit dem Thema Antisemitismus an. So gab es beim Landesparteitag vor zweieinhalb Wochen einen heftigen Streit über einen Antrag, der sich kritisch auch mit linkem Antisemitismus auseinandersetzte.
Ich kann es auch nicht mehr rechtfertigen, wenn verneint wird, dass Terrororganisationen wie die Hamas für einen ‚eliminatorischen Antisemitismus‘ stehen, obwohl diese weltweit zu Gewalt gegen Jüdinnen und Juden aufrufen.
Oliver Nöll, stellvertretender Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg
Als es keine Einigung gab, verließ eine Reihe von Delegierten die Veranstaltung, darunter auch mehrere prominente Linke wie Ex-Kultursenator Klaus Lederer und Ex-Sozialsenatorin Elke Breitenbach, die den Antrag eingebracht hatten. Sie und weitere traten später ebenfalls aus der Partei aus.
Nöll schreibt in seiner Austrittsbegründung nun, dass die lautstarke Kritik von Teilen der Partei an Israel die Grenze zu Antisemitismus überschreiten würde. Es gebe „einen nicht unerheblichen Teil“ von Parteimitgliedern, „deren verfestigt antizionistische Haltung, deren Eintreten für die palästinensische Bevölkerung oder irgendwelche kruden ‚antiimperialistischen‘ Überzeugungen zu einer Überschreitung der für mich akzeptablen Grenze zu antisemitischen Gesinnungen“ führe.
Er könne kein Mitglied einer Partei sein, die es toleriert, wenn Parteifahnen auf Demonstrationen wehen, auf denen verbotene Parolen wie ‚From the river to the sea‘ skandiert würden und in der Mitglieder den Terrorangriff der Hamas auf Israel vor einem Jahr als „Befreiungsbewegung“ beschrieben. „Ich kann es auch nicht mehr rechtfertigen, wenn verneint wird, dass Terrororganisationen wie die Hamas für einen ‚eliminatorischen Antisemitismus‘ stehen, obwohl diese weltweit zu Gewalt gegen Jüdinnen und Juden aufrufen.“
Stadtrat kritisiert Parteiführung
Insbesondere kritisiert er die Führung der Partei. „Statt sich einzugestehen, dass antisemitische Auffassungen mehrheitsfähig sein könnten und dem offensiv entgegenzutreten, ist die Führung der Partei in Bund, Land und Bezirken bemüht, mittels Formelkompromissen diese Konflikte zu überdecken“, so Nöll. Und weiter: „Wir – ich und die anderen Mitglieder, die ausgetreten sind oder in den kommenden Wochen austreten werden – müssen uns den Vorwurf gefallen lassen, hier viel zu lange zu tolerant gewesen zu sein.“
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
Nöll kritisiert zudem, dass die Linke „nach wie vor kein realpolitisch tragfähiges außenpolitisches Konzept“ habe. Unter anderem werde dies deutlich „an der unklaren Haltung zum verbrecherischen Angriffskrieg auf die Ukraine“ und dem „Verhältnis zu Putin und seinem Russland“. Nöll kritisiert aber auch unrealistische Maximalforderungen wie die Forderung nach einer Auflösung der Nato.
Die Entscheidung, die Partei zu verlassen, falle ihm sehr schwer, schreibt Nöll. Er wolle die Türe nicht gänzlich schließen. „Vielleicht entsteht in naher Zukunft wieder ein linkes Projekt, in das es sich lohnt, sich einzubringen“, so Nöll.
Nöll war 20 Jahre lang Mitglied der Partei, zeitweise war er Mitglied im Landesvorstand der Berliner Linken. Seit 2011 sitzt er in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg, war dort fünf Jahre lang Fraktionsvorsitzender der Linken. Seit Dezember 2021 ist er stellvertretender Bürgermeister und Stadtrat.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: