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Schüler während einer Prüfung, von oben aufgenommen (Symbolbild)

© dpa/Sebastian Kahnert

Probeunterricht in Berlin: Aufgaben wurden vorher nie mit Schülern getestet

Weil nur 2,6 Prozent sie bestanden, steht die neue Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium in der Kritik. Die Schulverwaltung bestätigt nun: Eine Pilotierung fand nicht statt.

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Die Aufgaben im neuen Berliner „Probeunterricht“, an denen gut 97 Prozent der angetretenen Sechstklässler gescheitert sind, wurden vorher nie von einer vergleichbaren Testgruppe bearbeitet. Das erfuhr der Tagesspiegel von der Bildungsverwaltung. In einer sogenannten Pilotierung werden üblicherweise neue Testaufgaben einer großen Anzahl von Schülern vorgelegt, die in ihrer Zusammensetzung denen gleicht, die später die tatsächliche Prüfung absolvieren sollen. Das Verfahren dient dazu, den Schwierigkeitsgrad zu überprüfen und mögliche Verständnisprobleme in der Aufgabenstellung herauszufiltern.

Einen solchen Testdurchlauf gab es nicht für die neuen Aufnahmeprüfungen zum Gymnasium für Schüler, die in der Grundschule keinen Notenschnitt von 2,2 erreicht hatten. Ein Sprecher von CDU-Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch, die diese Reform umgesetzt hat, sagte dem Tagesspiegel, die Aufgaben seien „von einer Expertenkommission sorgfältig und umfassend entwickelt“ worden. Diese bestehe „aus zwölf Fachleuten, darunter Lehrkräfte der Primar- und Sekundarstufe (also erfahrene Lehrkräfte aus Grundschule und Gymnasium) sowie Fachkräften aus Sonderpädagogik, Schulpsychologie und der Koordination von Bildungsangeboten für geflüchtete Kinder“.

Der Prozess sei von verschiedenen Schul- und Fachaufsichten der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie begleitet worden. „Die Aufgaben orientieren sich an den Anforderungen des Rahmenlehrplans für die Jahrgangsstufe 6 und basieren auf Erfahrungen aus Brandenburg, wo der Probeunterricht bereits seit längerer Zeit durchgeführt wird“, teilte der Sprecher mit.

Brandenburg geht auf Nummer sicher

Tatsächlich hat Brandenburg vor rund 20 Jahren mit dem Probeunterricht begonnen, um den Zugang zum Gymnasium zu beschränken. Trotz dieser langen Erfahrung verzichtet das Nachbarland aber nicht darauf, die Aufgaben vorher an einer Vergleichsgruppe zu erproben.

Alle Deutschaufgaben werden an einer Grundschule in Brandenburg pilotiert.

Eine Sprecherin des Potsdamer Bildungsministeriums

Das Potsdamer Bildungsministerium teilte auf Nachfrage mit, dass im Fach Deutsch „alle Aufgaben an einer Grundschule in Brandenburg pilotiert werden“. Für Mathematik würden „einzelne Aufgaben im Unterricht“ vorher erprobt. Weiter hieß es, dass die Aufgaben durch das Libra (Landesinstitut Brandenburg für Schule und Lehrkräftebildung) erstellt werden, das auch die Pilotierung veranlasse – und zwar jährlich.

Dass Berlin sich hier nicht an Brandenburg orientiert hat, kritisiert auch der Koalitionspartner: „Die SPD wollte pilotieren“, sagte deren Bildungsexpertin, die Abgeordnete Maja Lasić, dem Tagesspiegel. Ihr SPD-Kollege Marcel Hopp sagt, Lasić und er hätten in monatlichen Jour fixes mit der Bildungsverwaltung „sehr frühzeitig“ und mehrfach nach der Feinplanung und der Aufgabenstellung im Probeunterricht gefragt, aber dazu lange nur sehr allgemeine Antworten erhalten.

Hopps Eindruck: „Die Detailplanung hat erst ganz kurz davor stattgefunden, für eine Pilotierung war wohl schlicht keine Zeit mehr.“ Und das, obwohl die neuen Zugangsregelungen zum Gymnasium eine einschneidende strukturelle Umstellung bedeuteten: „Obwohl er zum ersten Mal stattgefunden hat, war der Probeunterricht selbst die erste Probe. Das sehen wir kritisch“, sagt Hopp.

Auswertung soll erst nach dem Sommer kommen

Wie berichtet hatte Hopp, selbst von Beruf Lehrer, bereits im Bildungsausschuss vergangene Woche berichtet, dass er für die Lösung des Deutsch-Sprachteils viel länger gebraucht habe, als es üblich sei. Die Bildungsverwaltung will den ersten Durchlauf des Probeunterrichts nun in einem „strukturierten Verfahren“ auswerten. „Wenn fach- und aufgabenbezogen klar ist, wie viel Prozent der teilnehmenden Schüler welche Aufgabe geschafft haben, könnte man vielleicht strukturelle Probleme in der Aufgabenstellung erkennen“, sagt der SPD-Fachmann Hopp. Für ihn irritierend: Die Ergebnisse der Evaluation seien den Abgeordneten erst für nach dem Sommer angekündigt worden.

Schnelle Transparenz wünscht sich auch der Landeselternausschuss (LEA). „Dass die Aufgaben vorher nicht pilotiert worden sind, passt für mich ins Bild“, sagt die stellvertretende Vorsitzende Katja Ahrens. Der Probeunterricht sei ein exkludierender Weg, nicht auf Chancen angelegt, sondern darauf, Schranken einzuziehen: „Darauf haben wir im Vorfeld auch hingewiesen.“

Das höchste Elterngremium fordert außerdem eine weitere Überprüfung: Wie viele Kinder mit Gymnasialempfehlung hätten 75 Prozent der Probeunterrichtsaufgaben geschafft? „Diesem ,Realitätscheck’ ist das Testverfahren nicht unterzogen worden“, kritisierte der LEA bereits vergangene Woche. „Dies ist besonders relevant, da bereits früher viele Schüler*innen mit Gymnasialempfehlung am Probejahr gescheitert sind.“

Was den Probeunterricht betrifft, zeigt der Blick nach Brandenburg aber auch: Die vorherige Erprobung führt nicht unbedingt dazu, dass die Bestehensquote wesentlich besser als in Berlin ausfällt. Vielmehr zeigt der Verlauf seit dem Schuljahr 2015/16, dass die Quote immer nur zwischen sechs und elf Prozent schwankte.

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