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Menschen mit Mund-Nasen-Bedeckungen stehen vor dem Brandenburger Tor.

© Christoph Soeder/dpa

Senat beschließt strengere Corona-Regeln: Was jetzt auf Berlin zukommt

Der Teil-Lockdown zeigt in der Hauptstadt bisher nicht die erhoffte Wirkung. Was ändert sich im Nahverkehr? Und wie geht es an den Schulen weiter?

Nach der aktuellen Festlegung von Bund und Ländern zählt Berlin mit einer Inzidenz von rund 215 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche zu den Regionen mit einer besonders extremen Infektionslage. Die Zahl der täglich an Covid-19-Verstorbenen nimmt zu, über 300 Corona-Erkrankte müssen intensivmedizinisch betreut werden. Offensichtlich hat der bisherige Teil-Lockdown nicht die erhoffte Wirkung erzielt wie andernorts.

Woran liegt es, dass der Teil-Lockdown in Berlin noch nicht richtig wirkt?

Das lässt sich auch deshalb nicht klar beantworten, weil noch immer verlässliche Zahlen darüber fehlen, wo sich Menschen am häufigsten mit Sars-CoV-2 anstecken. Für bestenfalls fünf bis zehn Prozent der Fälle ist dem Robert-Koch-Institut die Infektionsquelle einigermaßen sicher bekannt.

Dabei wären diese Informationen nötig, um über die oberflächliche Antwort, Ballungsräume böten nun mal mehr Gelegenheiten für Kontakte als ländliche Regionen, hinauszukommen. Zumal diese scheinbar offenkundige Antwort nicht einmal stimmt: Auch in den vergleichsweise menschenleeren Regionen Brandenburgs, Thüringens und Sachsens stiegen die Zahlen – wenn auch nicht so deutlich wie in der Hauptstadt. Bei Infektionskrankheiten haben die Lebensbedingungen der Menschen einen großen Einfluss auf die Erkrankungshäufigkeit und -stärke.

Der medizinische Anthropologe Merrill Singer prägte dafür schon in den 1990ern statt „Pandemie“ den Begriff der „Syndemie“, um auf die Interaktion von biologischen und sozialen Faktoren bei der Ausbreitung von Krankheiten hinzuweisen.

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Demnach ist es wohl kein Zufall, dass die höchsten Inzidenzen in Berlin in Neukölln, Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg zu finden sind und während des Teil-Lockdowns sogar noch um 60 Prozent gestiegen sind. Friedrichshain-Kreuzberg liegt sogar bei fast 410 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern pro Tag im Wochenmittel.

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In diesen Bezirken leben prozentual mehr weniger vermögende Menschen auf weniger Raum. Diese Menschen haben seltener Jobs, die im Homeoffice zu erledigen sind, sie haben kein Auto und können volle Busse und Bahnen nicht meiden.

Das bedeutet aber nicht, dass dies der einzige Faktor ist, das zeigt sich etwa im eher gut situierten Steglitz-Zehlendorf, wo die Zahlen trotz Teil-Lockdown rapide steigen – schlechtes Management, etwa von Infektionsherden in Schulen, zu viele Maskenverweigerer oder prozentual mehr Pflegeeinrichtungen? Genau weiß man es nicht.

Eine Analyse des Beratungsinstituts Iges zeigt auch: Bedauerlicherweise halten sich immer noch zu viele Berliner nicht an Kontaktbeschränkungen und Schutzmaßnahmen. In den besonders betroffenen Bezirken müsste es strengere Regeln geben.

Das ist aber kaum umsetzbar in einer Großstadt mit zwölf Bezirken. Was würde es zum Beispiel nützen, dort den Einzelhandel wie im ersten Lockdown bis auf Supermärkte, Drogerien oder Apotheken zu schließen? Nichts, denn die Neuköllner oder Friedrichshain-Kreuzberger gehen dann in die Nachbarbezirke einkaufen.

Was unternimmt jetzt der Senat?

Rot-Rot-Grün hat die meisten Beschlüsse der Bund-Länder-Verhandlungen in die geltende Infektionsschutzverordnung eingearbeitet, aber beschlossen, die im Bund geplanten Lockerungen für Weihnachten nicht einzuführen.

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte nach der Senatssitzung am Donnerstag: „Wir müssen einen langen Atem haben. Uns darf nicht die Puste ausgehen.“ Und deshalb wird sich Berlin nicht an die Verabredungen halten die Kontaktbeschränkungen über Weihnachten bis Neujahr zu lockern.

Michael Müller (SPD), Berlins Regierender Bürgermeister, spricht am Donnerstag nach einer Sondersitzung des Berliner Senats.
Michael Müller (SPD), Berlins Regierender Bürgermeister, spricht am Donnerstag nach einer Sondersitzung des Berliner Senats.

© Christophe Gateau/dpa

In Berlin dürfen sich nur fünf statt der von Bund und Land beschlossenen zehn Personen unabhängig von der Zahl der Haushalte über die Weihnachtsfeiertage und zu Silvester treffen. Beschließen wird der Senat diese Regelung für den 23. bis 1. Januar erst Mitte Dezember.

Aber was bedeutet das konkret? Schon bei den bundesweiten Kontaktbeschränkungen auf fünf Personen aus zwei Haushalten bei einem Treffen, die bis 22. Dezember gelten, ist nicht weiter klargestellt, was Familien mit mehr Angehörigen tun dürfen.

So darf eine sechsköpfige Familie mit Kindern über 12 Jahren zum Beispiel niemanden mehr treffen. Kinder unter 12 werden nicht mitgezählt. Diese Regelung will Berlin von Weihnachten bis Neujahr quasi „mitnehmen“ mit der Ausnahme, dass die fünf Personen aus verschiedenen Haushalten stammen dürfen.

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Aus Regierungskreisen hieß es Donnerstagabend, dass eine Großfamilie mit mehr als fünf Personen natürlich gemeinsam Weihnachten feiern dürfe. Kinder bis zu 14 Jahre sollen nicht mitgezählt werden. Das bedeutet zum Beispiel: eine Wohngemeinschaft mit sieben Personen darf keine weiteren Gäste einladen.

Eine fünfköpfige Familie dürfte auch nicht die Großeltern dazuladen. Ein gemeinsames Abendessen eines Haushaltes sei kein Treffen, sobald aber jemand von außendazukommt, sei es eine Zusammenkunft. Viele der Bund-Länder-Beschlüsse hatte Berlin schon umgesetzt, wie bei der Maskenpflicht.

Haben Bund und Länder für den öffentlichen Raum eine erweiterte Maskenpflicht auch vor Einzelhandelsgeschäften und auf Parkplätzen beschlossen, gilt in Berlin bereits eine Maskenpflicht für ausgewählte Straßen und Plätze. Sie wird erweitert auf alle öffentlichen und belebten Straßen, wo Einzelhandel und Handwerksbetriebe anzutreffen sind. Eine klare Definition fehlt jedoch.

Im Senat ist man sich einig, dass der Teil-Lockdown nicht nur bis zum 22. Dezember wie beschlossen gilt, sondern bis in den Januar hinein, möglicherweise noch länger. Das betrifft auch Kultur- und Kunsteinrichtungen. Kultursenator Klaus Lederer (Linke) will mit Kulturbetrieben Gespräche darüber führen, welche Kulturbetriebe zuerst öffnen können.

Der Groß- und Einzelhandel bleibt auch in Berlin geöffnet. Die Regeln besagen, dass in Geschäften mit einer Verkaufsfläche bis zu 800 Quadratmetern höchstens eine Person pro zehn Quadratmeter, in größeren Geschäften eine Person pro 20 Quadratmeter Verkaufsfläche erlaubt sind. Dieses Regelwerk wird in Berlin auch nicht geändert.

In Berlin werden die Böllerverbotszonen wohl ausgeweitet, Beschlüsse gibt es noch nicht. Bisher gibt es Böllerverbotszonen auf dem Alexanderplatz, am Brandenburger Tor und in Abschnitten der Schöneberger Pallasstraße. Müller hatte auch angekündigt, dass es kein öffentliches Feuerwerk in Berlin geben wird.

Wie geht es weiter an den Schulen?

Die Maskenpflicht im Unterricht wird ausgeweitet. Künftig müssen in Bezirken mit Inzidenzen von über 200 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner pro Woche auch die Fünft- und Sechstklässler an Grundschulen Masken im Unterricht tragen. Das sagte Kultursenator Klaus Lederer.

Mund- und Nasenschutz soll auch in Schulklassen gelten.
Mund- und Nasenschutz soll auch in Schulklassen gelten.

© dpa

Außerdem können weiterführende Schulen freiwillig auf Hybridunterricht umsteigen, und zwar ab Klasse 8 und in den Jahrgangsstufen, die nicht abschlussrelevant sind. An Sekundarschulen bleiben dann noch die Klassenstufen 8 und 11, an Gymnasien die Klassen 8 und 9 übrig, in denen Hybridunterricht möglich ist. Beim Hybrid- oder Wechselunterricht werden Klassen geteilt und die halbierten Gruppen dann im Wechsel in der Schule und zu Hause unterrichtet.

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Lederer sagte, auch Schulen in Bezirken mit Inzidenzwerten unter 200 könnten auf Hybridunterricht umsteigen, wenn sie das möchten und darauf vorbereitet sind. Da die weiterführenden Schulen bezirksübergreifend von Schülerinnen und Schülern besucht werden, gelte hier der berlinweite Inzidenzwert, der über 200 liegt. Die Bildungsverwaltung teilte mit, Voraussetzung für den Hybridunterricht sei ein Beschluss der Schulkonferenz und ein tragfähiges Konzept. „Berlin ist hier gut vorbereitet“, sagte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). Die neuen Maßnahmen treten ab dem 7. Dezember in Kraft und gelten befristet bis zum 8. Januar. Schulen könnten freiwillig auch früher damit beginnen.

Schon jetzt wird an zehn Berliner Schulen im Hybridunterricht gelernt, sie wurden der Stufe „Rot“ im Berliner Stufenplan für die Schulen zugeordnet. An weiteren Schulen wurde und wird das Modell bereits tageweise erprobt. Das Albert-Einstein-Gymnasium in Britz setzt den Hybridunterricht seit Anfang der Woche um. Schulleiter Wolfgang Gerhardt sagte dem Tagesspiegel, dass sie bisher gute Erfahrungen damit gemacht hätten.

Sven Zimmerschied, stellvertretender Vorsitzender der Vereinigung der Berliner Sekundarschulleiter, sagte, er hoffe, dass die Schulleitungen eigenverantwortlicher als bisher entscheiden dürften, welches Modell für ihre Schule sinnvoll sei. Sie sollten beispielsweise entscheiden können, auch Abschlussklassen für eine begrenzte Zeit online zu unterrichten, wenn es eine Häufung von Fällen gebe.

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Wie werden Schnelltests an Risikogruppen und andere verteilt?

Die Senatsgesundheitsverwaltung teilte mit, dass eine „ausreichende Anzahl“ von Schnelltests für Lehrer beschafft wurde und das Prozedere gerade abgestimmt werde. Im Rahmen der Teststrategie sind ab dem 1. Dezember je Pflegebedürftigem 30 Schnelltests pro Monat vorgesehen. Die Senatsgesundheitsverwaltung ist dabei die Einrichtungen zu beliefern. Sie kauft die Tests, geht in die Vorfinanzierung, die Tests der Pflegeeinrichtungen werden den Krankenversicherungen in Rechnung gestellt. Bei Reiserückkehrern entfällt ab 1. Dezember die Kostenübernahme. Die Testung ist über Testpraxen weiterhin möglich.

Ändert sich etwas bei BVG und S-Bahn?

Nein, die neuen Abstandsregeln im Fernverkehr der Bahn gelten nicht im öffentlichen Nahverkehr Berlins. Mehr Fahrzeuge einzusetzen, um mehr Platz zu schaffen, wäre gar nicht möglich, erklärt Jannes Schwentu, Pressesprecher der BVG: „Selbst wenn wir wollten, könnten wir nicht mehr Fahrzeuge einsetzen, wir fahren immer auf 100 Prozent und haben keine zusätzlichen Fahrer in der Hinterhand.“ Mehr Abstand sei vor allem für lange Strecken im Fernverkehr erforderlich.

Den Einwand, dass die Distanzen auch innerhalb Berlins mitunter groß sind, entkräftet Schwentu. „Die meisten Gäste fahren drei bis fünf Stationen, bevor sie aus- oder umsteigen, alle paar Minuten gibt es einen Luft- und Personenwechsel.“ Das Wichtigste sei es momentan, eine Maske zu tragen, daran hielten sich inzwischen rund 97 Prozent der Fahrgäste.

Was bedeuten die verschärften Regeln für das Weihnachtsgeschäft?

Anders als die Kultur- und Gastrobetriebe dürfen die meisten Handelsbetriebe weiterhin Umsätze machen, wenn auch unter leicht verschärften Auflagen. Der Staat hätte wohl auch nicht die Ressourcen, dem Handel die Milliardenumsätze zu erstatten.

Die neuen Regeln bedeuten, dass Warteschlangen vor Geschäften programmiert sind, was bei schlechtem Wetter Kunden vergraulen dürfte. Zumal nun auch das Tragen von Masken auf Parkplätzen angeordnet worden ist. Wer diese Auflagen überprüfen und Verstöße sanktionieren soll, ist unklar. Offenbar vertraut die Politik hier auf das Verantwortungsbewusstsein der Kundinnen und Kunden.

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Einige Handelsbetriebe wie die Rahaus-Gruppe, die in Berlin fünf größere Einrichtungshäuser betreibt, haben sich bereits für eine Erlaubnis zum Verkauf an Sonntagen ausgesprochen. Dies könnte helfen, Warteschlangen kürzer zu halten. Möbel- und Autohändler sind bereits geübt im Umgang mit Sonntagsöffnungen. Sie durften bisher nur nicht verkaufen. Fachgeschäften für kleinere Produkte würden verkaufsoffene Sonntage wenig helfen. Ihnen fehlt das Personal. Bisher hatten sich auch die Gewerkschaft Verdi und die Linke gegen eine Ausweitung des Landenöffnungszeiten gewehrt.

Letzteres kann man bei Berlins Industrie- und Handelskammer (IHK) nicht nachvollziehen und sieht die neuen Auflagen mit Sorge. „Das werden schwierige Wochen für den Berliner Einzelhandel“, sagt Jörg Nolte, Geschäftsführer Wirtschaft & Politik bei der IH. Schon jetzt leide der stationäre Handel unter den Auswirkungen der Pandemie. Laut der aktuellen Corona-Umfrage der IHK rechnet jeder vierte Händler mit einem Umsatzrückgang von über 50 Prozent für 2020.

Was sagen Firmen zur Forderung der Politik, in Betriebsferien zu gehen?

Die Kanzlerin, Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen vollbringen sprachliche Kunststückchen, um die Bevölkerung ohne Verordnung in verlängerte Ferien zu schicken. Das wäre rechtlich kaum möglich ohne Entschädigungen in Milliardenhöhe. „Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber werden dringend gebeten zu prüfen, ob die Betriebsstätten entweder durch Betriebsferien oder großzügige Homeoffice-Lösungen vom 23. Dezember bis 1. Januar geschlossen werden können“, heißt es im Papier.

„Dieser Appell geht an der Lebenswirklichkeit der meisten Unternehmen vorbei“, sagt IHK-Geschäftsführer Nolte. Die Betriebe, die dies anbieten und umsetzen können, würden das in vielen Fällen sowieso tun. Für alle anderen sei der Vorschlag wegen Produktions-, Liefer- oder Auftragstermine nicht umzusetzen.

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