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Sparpaket des Berliner Senats im Sozialbereich: „Diese Kürzungspläne sind für uns eine ganz konkrete Bedrohung“
Am Mittwochnachmittag wird vor dem Roten Rathaus gegen Kürzungen in der Wohnungsnotfallhilfe protestiert. Zur Protestaktion sollen die Teilnehmer Schlafsäcke und Decken mitbringen.
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Die Pläne der schwarz-roten Regierungskoalition für Streichungen in Milliardenhöhe im Haushaltsjahr 2025 haben gemischte Reaktionen, vor allem aber viel Kritik ausgelöst. Die Landesarmutskonferenz hat für Mittwochnachmittag zu einer Protestaktion vor dem Roten Rathaus aufgerufen. Ihre zentrale Forderung: „Schlafplätze und Beratung dürfen kein Glücksspiel sein!“
„Das Gefühl ist, dass uns der Boden unter den Füßen weggezogen wird“, sagte Friederike Wagner von der Fachgruppe Migration der Landesarmutskonferenz zum Auftakt. „Es zeigt, dass wir laut sein müssen – auch für die Menschen, mit denen wir arbeiten. Die so in Not sind, dass sie auf der Straße schlafen.“
Gekommen war zum Beispiel Kathrin Schultz von „Queer Home“. Als Antidiskriminierungsprojekt ist „Queer Home“ nicht von den Kürzungen betroffen – anders die Wohnhilfe, mit der sie eng zusammenarbeiten. „Das Geld reicht ja jetzt schon nicht. Was passiert, wenn das Geld noch knapper wird?“
Vor kurzem habe eine Klientin Suizid begangen, sagt Schultz. Warum Menschen Suizid begehen, hätte vielfältige Gründe. Aber von Mehrbettzimmer zu Mehrbettzimmer geschubst zu werden, habe eine Rolle gespielt. „Wir sollten für mehr Geld demonstrieren, nicht gegen Kürzungen“, sagt sie.
Besonders schmerzhaft seien Kürzungen für die Beratungen der ISP, dem integrierten Sozialprogramm. „Gerade in Berlin ist das System so komplex, jeder Bezirk macht sein eigenes Ding. Man braucht Fachkräfte, die das verstehen. Wenn das wegfällt, wissen die Menschen gar nicht, wo sie hingehen sollen“, sagt Schultz. „Der Senat geht seiner rechtlichen Verpflichtung nicht nach – es gibt heute Menschen, die keinen Schlafplatz haben. Ich glaube dass viele, die nicht täglich damit konfrontiert sind, nicht wissen, wie marode das System wirklich ist.“
Wo hätte stattdessen gespart werden? „Man sollte die Frage anders stellen“, antwortet Schultz. „Wo kommt das Geld her? Was ist mit der Besteuerung derer, die sehr viel Geld haben? Es ist doch in allen Bereichen knapp: im sozialen Bereich, im Jugendbereich, im Kulturbereich. Ich wünsche mir ein besseres Zusammenspiel der involvierten Dienste und Ämter, die arbeiten nicht gut genug zusammen.“
Protest in Schlafsäcken und auf leeren Stühlen
Zur Protestaktion sollen die Teilnehmer Schlafsäcke und Decken mitbringen. „Wir werden uns symbolisch in Schlafsäcken niederlegen, um die Folgen von Kürzungen in der Wohnungsnotfallhilfe sichtbar zu machen“, kündigen die Organisatoren an. „Leere Stühle werden für gestrichene Beratungsplätze stehen und eine ,Schlafplatz- und Beratungsplatzlotterie’ zeigt, wie unsicher und willkürlich die Hilfsangebote werden könnten.“
So kam es dann auch: Leere Klappstühle wurden vor dem Roten Rathaus aufgestellt. „Dieses Mittagessen wurde gekürzt“ war auf Zetteln darauf zu lesen, „Diese medizinische Sprechstunde würde gekürzt“. Und es gab ein Glücksrad. „Spiel um dein Leben“, steht darauf.

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„Als Projekte der Wohnungsnotfallhilfe befürchten wir, dass auch unsere Hilfsangebote für wohnungslose Menschen davon betroffen sein könnten“, heißt es in der Erklärung. „Diese Unterstützung ist jedoch unverzichtbar, um Menschen in Not zu schützen – vor allem im Winter, wo Schlafplätze und Beratungen überlebenswichtig sind.“
Bisher gebe es keine verlässlichen Informationen darüber, welche Projekte von den Kürzungen betroffen sein könnten, die im Januar in Kraft treten sollen. „Kürzungen bei der Wohnungsnotfallhilfe würden dazu führen, dass mehr Menschen auf der Straße leben müssten“. Verwiesen wird auch auf die geplante Kundgebung am 21. November um 9.30 Uhr vor dem Abgeordnetenhaus Berlin.
Kritik auch von der Diakonie
„Sollte das Kürzungspaket in dieser Form umgesetzt werden, stehen seit Jahren etablierte soziale und gesundheitliche und auch Jugend-Projekte vor dem Aus“, teilte die Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege mit. Die freien Träger würden mit Tarifsteigerungen allein gelassen. „Zehn Prozent Kostensteigerung ohne Refinanzierung bedeutet schlussendlich zehn Prozent weniger soziale und gesundheitliche Angebote“, heißt es in der Erklärung.
„Diese Kürzungspläne sind für unsere sozialen Einrichtungen, Projekte und Initiativen auch in den Bereichen Gesundheit, Jugend und Bildung und damit für die gesamte soziale und gesundheitliche Infrastruktur Berlins eine ganz konkrete Bedrohung“, sagte Diakonie-Vorständin Andrea Asch.
In der freien Jugendarbeit und bei Zuschüssen an soziale Einrichtungen würden Millionen an Euro gekürzt, Förderungen für Schwangerenkonfliktberatungsstellen fielen ebenso weg wie für Familien- und Berufsbildungsmaßnahmen. Investitionen in Krankenhäuser würden gestrichen. Projekte wie die Drugchecking-Stationen, die Ambulanz am Zoo und die Krankenwohnungen für Wohnungslose würden trotz erheblich gestiegenem Bedarf Zuschüsse verlieren.
Die Linke-Fraktionsvorsitzenden Anne Helm und Tobias Schulze warnten, die Kürzungsvorschläge vertieften die soziale Spaltung in Berlin. „Diese Koalition kürzt sich inmitten einer Rezession noch tiefer in die Krise“, bemängelten sie.
Auch der SPD-Abgeordnete Lars Düsterhöft sprach bei der Demo. „Es ist wichtig, dass ihr hier seid, dass es ein starkes Zeichen aus der Community gibt. Aber ich sehe keine Kürzungen - ich sehe marginale Fragezeichen. Beim ISP werden zwei Millionen gekürzt, aber in den vergangenen Jahren wurde mehr Geld gestrichen“, sagte er. Es werde auch geschaut, ob dort nicht nochmal nachjustiert werden könne. Denn: „Wir haben keinen einzigen Cent gestrichen. Klingt bescheuert, ist aber so. Wir haben Haushaltssperrungen.“ Heißt: Man dürfe nichts ausgeben, außer es gebe eine Idee, wo das Geld herkomme. „Ja, dieser Haushalt ist hart. Im sozialen Bereich wurde das Sozialticket erhöht. Aber die Alternative wäre eben gewesen, im ISP zu kürzen. Ich helfe lieber den hilfsbedürftigen durch Angebote, als ihnen das günstige fahren durch die Stadt zu ermöglichen.“
Aus dem Publikum regte sich Widerspruch: „Warum verschenkt ihr Geld an große Konzerne, die ihr Geld in Steueroasen bringen? Hier könnte es jedem gut gehen, wenn dieses Geld nicht weg fließen würde“, fragt jemand. „Diese Fragen können Sie an Bundespolitiker stellen oder an die Regierung, die gerade auch wegen dieser Probleme auseinandergebrochen ist“, antwortet Düsterhof.
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Ein prominentes Opfer des Sparprogramms ist auch das erst im Juli eingeführte 29-Euro-Ticket. Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey beschrieb diesen Beschluss bei der Vorstellung des Sparpakets als schwierige Entscheidung. CDU und SPD hätten aber abwägen müssen zwischen diesem Ticket sowie dem kostenlosen Schülerticket für über 300.000 Kinder, kostenlosem Schulessen und Kita-Betreuung. „Am Ende haben wir uns für die Familien, für die Kinder entschieden“, erklärte Giffey. Zum „klaren Bekenntnis zur sozialen Stadt“ gehöre auch, dass das Sozialticket für den ÖPNV weitergeführt werde. Es soll künftig jedoch 19 statt 9 Euro monatlich kosten.
Saleh sieht keinen sozialen Kahlschlag
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Raed Saleh sagte, CDU und SPD hätten sich verständigt, dass es trotz der Sparzwänge keinen sozialen Kahlschlag geben dürfe. Das sei gelungen. „Wir haben verabredet, dass die Stadt bezahlbar bleibt.“
An der Gebührenfreiheit von der Kita bis zur Hochschule werde nicht gerüttelt. Angebote wie kostenloses Schulessen für Schülerinnen und Schüler bleiben demnach. Saleh wies darauf hin, dass auf Bundesebene die Ampelkoalition gerade am Haushalt gescheitert sei. Die Einigung mit der CDU auf die Einsparungen stimmten ihn optimistisch, dass die schwarz-rote Koalition funktioniere. Ähnlich äußerte sich auch Wegner zum Zustand der Koalition.
Die Grünen kritisierten die Sparbeschlüsse. „Schwarz-Rot macht Politik gegen die Menschen“, erklärten die Fraktionsvorsitzenden Bettina Jarasch und Werner Graf. „Mit der Verdopplung des Sozialtickets werden die Ärmsten am härtesten getroffen.“ (mit dpa)
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