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Patrik Baboumian steht im Mittelpunkt, wenn er in seinem Berliner Gym trainiert. Eisen stemmt er aber auch zu Hause in Nauen – im Grünen.

© Mike Wolff

Körperkult und Ernährung: Sport ist Religion und Baboumian ihr Prophet

Patrik Baboumian wiegt 140 Kilogramm, stemmt Bierfässer und hebt Autos an – ein Extremsportler. Noch radikaler aber ist Deutschlands stärkster Mann, wenn es ums Essen geht.

Der Waschmaschinen-Weitwurf geht gerade nicht. Patrik Baboumian, Kraftsportler mit besonderem Repertoire, hat sich am linken Arm verletzt. Bei so etwas Ähnlichem wie dem Waschmaschinen-Weitwurf, den er in dem Film „Kraftakt“ von André Rössler vorführt: 180 Kilo wog der „Logroll“, ein Baumstamm-Ersatz aus Stahl, den Baboumian in die Hochstrecke bringen wollte, als der linke Trizeps riss. Der Arm muss geschont werden. Baboumian, der Beweis dafür, dass man als Veganer enorme Kräfte entwickeln kann, trainiert einstweilen nur die Beine.

Den linken Arm in einer Schiene, packt Baboumian 15-Kilo-Eisenscheiben auf eine Hantelstange, fünf Stück auf jede Seite. Dann stellt er sich unter die Hantel, die jetzt mehr als 150 Kilo wiegt und in einer Art Käfig hängt. Baboumian macht Kniebeugen, vier, fünf, sechs Wiederholungen. „Aufwärmen“, sagt er. Der Käfig steht im „Berlin strength“-Gym auf dem RAW-Gelände in Berlin-Friedrichhain, wo sich Techno-Clubs und Konzerthallen aneinanderreihen. Einmal in der Woche trainiert Baboumian bei seinem Freund Joni Purmonen. Dem Finnen gehört das „Berlin strength“, auf dessen Frontseite ein muskulöser Gorilla eine Langhantel zum Kreuzheben gepackt hat, die Zunge hängt dem Affen aus dem Hals.

Berauscht am eigenen Körper

Baboumian verkörpert mit 37 Jahren einen Lebensstil, der etwas von einem Kult hat. Soziologen beobachten seit Jahren, dass die Optimierung des Körpers zur Religion geworden ist. Neuneinhalb Millionen Fitness-Studio-Gänger meldet ein Branchendienst – sie bilden die Masse der Gläubigen, die mehr oder minder fromm dem Körperkult huldigen. Der Sportsoziologe Robert Gugutzer schrieb 2007 vom Sport als einer „Diesseitsreligion“ um den „Körper als sinnstiftende Instanz“. Denn „der Sinn des Lebens liegt heutzutage für immer mehr Menschen im Streben nach einem schönen Leben, und dass der Körper hierbei eine zentrale Rolle spielt, ist naheliegend. Das Schöne tritt an die Stelle des Guten“.

Am „Berlin strength“ laufen Touristen vorbei und wundern sich über dieses Ensemble der Kraft-Kultur an einem Ort, der dem Feiern und Sich-Berauschen gewidmet ist. Während Baboumian drinnen seine schweißtreibende Aufwärmprozedur fortsetzt, machen draußen vor der Tür ein paar junge Männer Kniebeugen mit 100 Kilo auf der Hantel, Modellathleten, groß, bloße Brust, breitschultrig, gewichtsoptimiert. Der Bildhauer Arno Breker hätte seine Freude.

Den Extremismus hat er weit getrieben

Baboumian ist noch ein anderes Kaliber, weil er seine Kraft anders nutzt. Die jungen Männer mögen ihren Körpern als sinnstiftende Instanzen huldigen. Baboumian ist einen Schritt darüber hinausgegangen. Der Mann, 140 Kilogramm schwer bei 1,71 Meter, hat in den vergangenen Jahren ein paar Weltrekorde im Kraftsport aufgestellt, den im Bierfass-Stemmen mit 150 Kilogramm zum Beispiel. Doch im Internet zeigt er lieber Bilder von Tieren wie einer Weinbergschnecke, die über nassen Asphalt kriecht oder einen Igel, den er verletzt auf der Straße aufgesammelt hat, um ihn zu pflegen. Patrik Baboumian benutzt seine Kraft für den Tierschutz. Er ist ein Extremsportler, der den Extremismus weit getrieben hat.

Wenn Sport heute eine Religion ist, dann ist Baboumian nicht bloß einer ihrer Propheten, sondern ein Gelehrter. Er bringt zwei Trends zusammen, verbindet zwei Ethiken. Denn Baboumian ernährt sich seit fünf Jahren vegan: ohne tierische Produkte, ohne Fleisch, ohne Milch.

Die meisten Veganer gibt es in Schweden

Berlin liegt für die Fans dieser Ernährungsweise nah am Paradies. Hier werben sogar Imbisse mit veganen Angeboten und in den Supermärkten steht regalweise Veganes. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Nora Szech vom Karlsruher Institut für Technologie hat den Trend untersucht, dem Anfang 2015 in Deutschland 900.000 Menschen folgten. Eine Antriebskraft bestehe darin, dass „der Wunsch, sich nachhaltiger zu verhalten, stärker wird“. Das zeigt sich auch in der Mode und Kosmetik. Da legten „nachhaltige Produkte“ zu. Zu den Studien müsse man sagen, dass viele Menschen, die aus Gesundheitsgründen keine Tierprodukte essen, sich gar nicht als Veganer bezeichnen. Wenn man sich aber dazu bekennen wolle, sagt Szech, sei dies beim Essen leichter als bei etwas Komplexem wie dem Klimawandel.

Ansonsten ernähren sich Studien zufolge mehr Frauen als Männer vegetarisch oder vegan, und es sind eher die jüngeren. „Bei uns sind es Menschen aus allen Schichten, in Frankreich sind es eher Menschen mit einem höheren sozioökonomischen Status“, sagt Szech. „In anderen Kulturkreisen, in Indien etwa, sind es gerade ältere Menschen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren. Die Deutschen sind durchaus nicht vorne. In Schweden gibt es mehr Vegetarier und Veganer, während es in Spanien überhaupt keine Studien dazu gibt.“

Sport, die arbeitswelttaugliche Religion

Patrik Baboumian, von Geburt Armenier, aufgewachsen in Fulda, macht Kraftsport, seit er 15 ist. Mit Bodybuilding hat er angefangen. Aber irgendwann, erzählt er, hätten ihn die Diäten genervt. Stundenlanges Training auf dem Laufband, um Gewicht und Wasser zu verlieren. Manchmal sei er als Letzter aus dem Studio gegangen, einmal vor Erschöpfung vom Laufband gefallen. Er lacht ein brummendes, bärenhaftes Lachen. Zum „Strongman“-Training sei er über seine Faszination für das „Wrestling“ gekommen, sagt er im Film „Kraftakt“. Der Sport sei die „perfekte Kombination aus Show und Sport, zum einen, weil es sehr unterhaltsam ist, zum anderen, weil es, im Gegensatz zum Wrestling, echte Leistung ist, die gebracht wird“.

Kann man die Faszination von Kraftsport erklären? Baboumian spricht von „Urinstinkten“. Es gehe darum, in der Lage zu sein, enorme Lasten zu bewegen oder einen Angriff abzuwehren. Baboumian hat nicht immer bloß Eisen gepumpt. Er hat Psychologie, Sport und Soziologie studiert und ein Buch über Krafttraining verfasst. Der Mann denkt sich etwas, wenn er an die Eisen geht. Beim Training, das er meist auf seinem Anwesen in Nauen im Havelland betreibt, könne er „total entspannen“, er könne „im Jetzt sein“, egal, was sonst los sei, privat oder geschäftlich. Das Gefühl kennen viele, vor allem die Anhänger des Sports als moderner, zeitgemäßer, arbeitswelttauglicher Religion. Aber es gebe da noch etwas, sagt Baboumian: „Ich mache den Körper zum Sklaven des Geistes.“

"90 Prozent der Leute können sich nicht vorstellen, was da passiert"

Athleten wie Patrik Baboumian führen vor, was man aus sich herausholen kann. Die Strongman-Wettkämpfe wirken wie Übersetzungen des Begriffs „gigantische Kraft“ ins normale Leben. Die Sportler stemmen Gewichte über den Kopf, die aussehen wie Baumstämme. Sie heben 100 Kilogramm schwere Steine auf Podeste. Sie wuchten Traktor-Reifen von 400 Kilogramm in die Senkrechte, bis die Reifen umkippen, dann noch mal. Sie packen Taue, die an einem Lastwagen befestigt sind und ziehen, bis der Wagen rollt.

Das hat weder Anmut noch Eleganz und auch keine Erotik. Strongman-Wettkämpfe zeigen schwitzende schwere Männer mit bandagierten Ellenbogen und Knien und schmerzverzerrten Gesichtern: das ist eher etwas für das Spätprogramm bei „Eurosport“. Was man da mache, sagt Baboumian, verstünden Kinder noch am ehesten. Das Strongman-Training sei eine Randsportart. Denn massenkompatibel seien nur Sportarten, „wenn du einfach einsteigen kannst. Das kannst du beim Strongman nicht. 90 Prozent der Leute können sich nicht vorstellen, was da passiert.“

Der Mann im schwarzen T-Shirt mit der Aufschrift „Vegan badass“ ist ein Philosoph an den Hanteln. Er nimmt die Gewichte so ernst wie das Leben, auch wenn er gerne lacht. Da sitzt er vor dem „Berlin strength“ auf einem Traktorreifen und denkt darüber nach, wie man aus dem Kraftsport, einem Studium und einer Ernährungsweise ein Geschäftsmodell machen könnte. Seine Antwort: „Man macht es nicht, indem man die Intention hat, ein Geschäftsmodell daraus zu machen.“ Eine gute Entscheidung habe für ihn einfach gute Folgen gehabt. Wieder muss er grinsen über das, was er sagt, dieser schwer in sich ruhende Typ: „Ich klinge wie ein meditierender Fuzzi, der unterm Baum sitzt.“ Er habe nicht geahnt, „dass das dieses Interesse hervorrufen würde“.

Er hebt Autowracks an und freut sich

Das Interesse kommt von den Klischees. Eisenmänner beziehen ihre Proteine aus allem, was Eiweiß enthält, am besten aus Fleisch. Tim Wiese, der Fußball-Torwart war, dann Bodybuilder wurde, sein Gewicht von 90 auf 120 Kilo steigerte und bald als Wrestler antreten will, sagte mal, er verzehre pro Tag ein Kilo Fleisch – und man müsse dazu eher fressen als essen sagen, weil einem schlecht von den Mengen werden könne. Im Internet schwelt eine der netztypischen Debatten zwischen Veganern und Fleischessern wie dem US-Comedian und Ju-Jutsu-Sportler Joe Rogan, der sich als Jäger zur „Eat-what- you-hunt“-Richtung bekennt.

Baboumian wirkt vielleicht auch deshalb so sicher in seiner massiven Körperlichkeit, weil ihm jede Neigung zur machohaften Selbstdarstellung abgeht. Wenn er, wie im Film „Kraftakt“, auf einem Schrottplatz trainiert und Autowracks anhebt, sieht das nach Freude aus, nach Spielen mit der Stärke.

Er habe immer Tiere gemocht, erzählt er. Dass er mal einen Raben durchfütterte und, er lacht schon wieder, mal einen Tag damit verbrachte, Kaulquappen aus einer Pfütze zu retten. Aus einer „Gewissenskrise“ heraus habe er entschieden, kein Fleisch mehr zu essen. 2011, als er deutscher Strongman-Meister wurde, erkannte er die Wucht, mit der er das Klischee widerlegt hatte, Kraftsportler müssten Fleischfresser sein – und beschloss, noch konsequenter zu werden und keine Tierprodukte mehr zu essen. „Meine Frau hat mich für verrückt erklärt“, sagt er. Er sah, dass er „ganz viele Leute“ beeinflussen könne, dass er in einer bestimmten Szene per Titel zum Multiplikator geworden war und sagte sich: „Dann will ich es richtig machen.“ Für ihn war es eine Frage der Konsequenz geworden, Lebensmittel zu vermeiden, für die Tiere leiden. „Würde ich das Huhn schlachten?“, fragte er sich. Die Antwort „nein“ und vor sich eine Hühnerkeule auf dem Teller wäre „einfach unehrlich“.

Wer im Studio einen Rekord aufstellen will, braucht zwei Zeugen

Patrik Baboumian war kürzlich auf einem Veganer-Festival in Asheville, North Carolina, um für die Kombination aus sportlicher Höchstleistung und pflanzlicher Ernährung zu werben. Die Bewegung hat etwas, das an die Zeit der Lebensreformer erinnert. Wirtschaftswissenschaftlerin Szech weist darauf hin, dass es schon vor 2000 Jahren griechische Philosophen gab, die das Essen von Tieren ablehnten. Lange wurde Fleisch mit Wohlstand gleichgesetzt. Daran habe die Medizin gerüttelt, sagt Szech. Und in der Politik bewege sich viel, weil auch Bauern nicht mehr so hinter der Tierproduktion stünden.

Patrik Baboumian packt im „Berlin strength“-Gym noch zwei Scheiben auf die Hantel. Das Training in dieser Werkstatt für Kraft hat für ihn eher eine soziale Funktion: ein bisschen Plaudern mit Gym-Besitzer Purmonen, der wie er an Strongman-Wettkämpfen teilnimmt und der wie er Veganer ist. Dazu ein bisschen gucken, was die anderen so machen. Gerade kommen zwei Briten herein, eine Frau und ein Mann. Ein bisschen pummelig wirken beide, sie wollen ein Tagesticket zum Trainieren.

Später werden beide beim Bankdrücken mit vielen großen Scheiben auf der Hantelstange einige Betrachter zum Staunen bringen. Wie in den alten Kraftsportler-Studios findet sich auch im „Berlin strength“ eine Tafel, auf der die Studio- Rekorde verzeichnet werden. Ein Hinweis mahnt, dass man zwei Zeugen brauche, wenn der Rekordversuch anerkannt werden soll. Ein Mann hat seine Bulldogge dabei. Sie schlabbert Wasser.

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