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Matthias Bräutigam, Gründer des Vereins „Sprachpaten in Kitas“.

© Frank Bachner

Sprachpaten in Berliner Kitas: Integrationsprojekt hofft auf Tagesspiegel-Leserspenden

Bei der 32. Tagesspiegel-Weihnachtsaktion „Menschen helfen!“ 2023/24 sammelt der Spendenverein für 52 soziale Initiativen. In unserer Spendenserie bis zum neuen Jahr stellen wir einige Projekte stellvertretend vor. Heute: Sprachpaten in Kitas.

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Irgendwann sind sie dann beim Koch der Kita gelandet, quasi der Höhepunkt des Unterrichts in diesem Moment. Bilder hatten sie schon betrachtet, die Tomate, den Apfel, die Banane, die Gurke. Und Matthias Bräutigam hatte jedes Mal erzählt, was man da gerade sieht. Aber nun sagte er zum Koch: „Gib mir bitte mal eine Tomate.“

Und so lernte der kleine Junge an seiner Hand, wie eine Tomate in der Realität aussieht, wie sie sich anfühlt. Es war nicht bloß eine zusätzliche Erfahrung für ein Kind. Matthias Bräutigam leistete Arbeit quasi am Nullpunkt. Der dreijährige Kurde hatte selbst in seiner Muttersprache kaum Worte gehört, Deutsch sprach er sowieso nicht, seine Eltern kommunizierten kaum mit ihm. Er wurde regelrecht an Sprache auf einfachstem Niveau herangeführt. Ein Fall also für den Sprachpaten Bräutigam.

90 Sprachpaten in 40 Kitas

Der Rentner hat den Verein „Sprachpaten in Kitas“ gegründet, insgesamt rund 90 Sprachpaten kümmern sich in 40 Kitas um jene Kinder, die in ihren Familien sehr wenig kommunikative und soziale Zuwendung bekommen. Kinder, die kaum in der Lage sind, Wünsche zu äußern, die so verunsichert sind, dass sie kaum mit anderen in Kontakt treten.

Sprachwissenschaftler, das hat Bräutigam gelernt, raten dringend, dass Kinder in ganz frühen Jahren schon sprechen lernen und altersgerecht mit ihrer Umwelt in Kontakt treten. Ansonsten drohen nachhaltige Entwicklungsprobleme.

Kinder ab drei Jahren, die in impulsarmer, familiärer Umgebung aufwachsen, die sind die Zielgruppe des Vereins. Und damit die Paten möglichst gute Arbeit leisten, bittet er um Mittel aus der Tagesspiegel-Spendenaktion. Damit sollen sogenannte Werkzeugkoffer für die Ehrenamtler, alle keine ausgebildeten Erzieher, gekauft werden. In den Koffern ist Fachliteratur, aber auch Spielmaterial für den Einsatz in den Kitas.

Alles, was die Eltern mit ihren Kindern machen sollten und nicht tun, das holen wir nach.

Matthias Bräutigam, Gründer des Vereins „Sprachpaten in Kitas“.

Ein Sprachpate, sagt Bräutigam, „malt mit den Kindern, er bastelt und spielt mit ihnen, er redet ganz viel.“ Und das alles läuft unter dem entscheidenden Punkt: Zuwendung. „Die ist der entscheidende Punkt“, sagt der Sprachpate.

Ein Kind spürt, dass sich jemand mit ihm beschäftigt. So wie der kleine kurdische Junge. Für Bräutigam war es „der bisher schwierigste Fall“. Empathie hat der Junge zu Hause kaum erfahren. „Alles, was die Eltern mit ihren Kindern machen sollten und nicht tun, das holen wir nach“, sagt Bräutigam.

Der Erfolg ist enorm. „Die Kinder blühen auf“, sagt Bräutigam, „sie unterhalten sich mit dem Paten, sie reden mit anderen Kindern.“ Sie erleben eine ganz neue emotionale Welt. Schon nach relativ kurzer Zeit wissen viele sogar, was man von ihnen möchte. „Den Satz: ,Kannst du mir bitte einen Bleistift geben’, den verstehen sie“, sagt Bräutigam. Ein Satz natürlich auf Deutsch.

Die Kinder sollen ja für die Schule vorbereitet werden, das geht nur, wenn sie altersgerecht Deutsch können. Deshalb leiten die Kitas den Sprachpaten auch häufig Kinder zu, die ein Jahr vor dem Übertritt in die Schule stehen. „Aber da sind auch Kinder dabei, die noch nicht für die Schule geeignet sind“, sagt Bräutigam. „Aber zaubern können wir nicht.“

Auch der kurdische Junge kommt bald in die Schule. Bräutigam hat ihn vor zwei Jahren übernommen. Illusionen macht er sich aber nicht. „Trotz der Unterstützung wird er es dort schwer haben“, sagt der 75-Jährige. Aber er als Pate hat zumindest eine Basis gelegt.

Neue Sprachpaten gesucht

Der Einsatz der Ehrenamtler ist extrem wichtig. Je mehr Kinder deren Zuwendung erhalten, umso mehr können sich sozial normal entwickeln und erfahren eine angemessene emotionale Entwicklung. Deshalb sucht Bräutigam händeringend neue Sprachpaten. „Vor allem in Mitte suchen wir dringend Ehrenamtler“, sagt er.

Der zeitliche Aufwand ist überschaubar. Ein Sprachpate geht ein- oder zweimal in der Woche in eine Kita, in der Regel drei Stunden. Und jeder Pate bekommt von der jeweiligen Kita oder drei Kinder zugewiesen. In der Regel hat jedes Kind zwei Paten, die sich abwechseln. „Und immer richtet sich der Pate nach den Wünschen der Kinder“, sagt Bräutigam.

Auf dem Tisch vor ihm liegt ein Zettel, auf dem quasi der Leitspruch des Vereins geschrieben steht: „Wenn Großeltern mit Enkeln spielen, wachsen den Engeln Flügel“. Die größten Flügel sind bei Bräutigams Engagement einem chinesischen Jungen gewachsen. „Es war das bisher beste Kind, das ich hatte“, sagt Bräutigam. Das Kind sprach kein Wort Deutsch, als es seinen Paten kennenlernte. Aber ein halbes Jahr später verkündete es in klarem Deutsch: „Ich habe eine Zuckerwattemaschine geschenkt bekommen.“

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