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Gestatten, Filmteam. Mark Rylance, Vanessa Redgrave, Regisseur Roland Emmerich, Joely Richardson, Rafe Spall, David Thewlis, Rhys Ifans am Set zu „Anonymous" am Set in Babelsberg. Foto: Davids/Darmer

© DAVIDS

Neuer Emmerich-Film: Shakespeare lebt in Babelsberg

Hollywood-Regisseur Roland Emmerich dreht ausnahmsweise mal kein Gemetzel. Am Donnerstag lud er erstmals zum Set seines Millionenfilms „Anonymous“.

Im Londoner Globe Theatre gaben sie an diesem Donnerstag „Macbeth“, Mord und Totschlag am Nachmittag und am Abend gleich noch einmal in dem 1996 am Südufer der Themse eröffneten Nachbau des legendären, auf ewig mit dem Namen Shakespeares verbundenen Theaters. Auch in Berlin durften die Freunde des englischen Bühnentitanen eine Zeitlang von solch einer Kopie des kreisrunden, in der Mitte offenen Gebäudes träumen: Die Shakespeare Company Berlin präsentierte 2001 diesen kühnen Plan, aber noch immer existieren davon nur Entwürfe.

Vorübergehend gibt es im Großraum Berlin nun aber doch ein Theater im alten Shakespeare-Stil, und wieder einmal musste Studio Babelsberg nachhelfen. Das New Yorker Guggenheim-Museum hatten die Handwerker des Studios 2008 für Tom Tykwers „The International“ in einem stillgelegten Potsdamer Lokschuppen zusammengeleimt, diesmal nun wurde auf dem Studiogelände das Globe Theatre nachgebaut. Es ist das Zentrum des Geschehens in „Anonymous“, dem neuen Film von Roland Emmerich – und war, organisiert vom Sony Filmverleih, für die Presse zur Besichtigung freigegebene Spielstätte einer fiktiven Aufführung von Shakespeares „Heinrich V.“ Darin geht es nicht weniger blutig zu als in dem Königsmörderdrama „Macbeth“, schließlich war Heinrich V. zur Durchsetzung vermeintlicher Thronansprüche in Frankreich eingefallen, was in der blutigen Schlacht von Azincourt am 25. Oktober 1415 mündete: Das zahlenmäßig überlegene französische Ritterheer wurde von den englischen Bogenschützen gnadenlos zusammengeschossen.

Gestatten, Hauptdarsteller. Rhys Ifans spielt den Earl of Oxford. Er soll den Namen Shakespeare als Pseudonym ausgedacht haben – sein Familienwappen zeigt einen Ritter, der einen Speer schüttelt („shakes a spear“).
Gestatten, Hauptdarsteller. Rhys Ifans spielt den Earl of Oxford. Er soll den Namen Shakespeare als Pseudonym ausgedacht haben – sein Familienwappen zeigt einen Ritter, der einen Speer schüttelt („shakes a spear“).

© dpa

Solche Gemetzel, die Regisseur Emmerich bekanntermaßen auch beherrscht, sind in „Anonymous“ allerdings nicht zu erwarten. Es geht um eine nicht kriegerisch-machtpolitische, sondern mehr literarische Frage, um die eine langwierige, kürzlich wieder akut gewordene Fehde der Literaturhistoriker kreist: Stammen William Shakespeares Werke, also 36 Dramen, zwei Epen und 154 Sonette, tatsächlich von William Shakespeare? Oder hat ein ganz anderer Autor sie verfasst, ein hochgestellter Mann aus dem Adel womöglich, dessen Stand ihm zwar erlaubte, hin und wieder fürs Hoftheater zu reimen, Elisabeth I. zum Pläsir, aber keinesfalls für eine dem gemeinen Volk zugedachte Bühne wie das Globe Theatre.

Vanessa Redgrave übernimmt die Rolle der Elisabeth I.

Der Verdacht ist ein Dauerthema unter Anglisten, rund 50 Verdächtige wurden nach und nach präsentiert, darunter sogar die jungfräuliche Königin selbst. Einer aber hat sich mittlerweile als Favorit herauskristallisiert. Erstmals kam der Shakespeare-Forscher J. Thomas Looney 1929 mit dieser Theorie, die unlängst von dem Philologen Kurt Kreiler in seinem Buch „Der Mann, der Shakespeare erfand“ noch einmal von allen Seiten beleuchtet wurde. Sein Fazit: Der wahre Dichter war nicht etwa der 1564 in Stratford-upon-Avon geborene Schauspieler und Theaterunternehmer William Shakespeare, sondern Edward de Vere, der 17. Earl of Oxford, der sich entweder Shakespeare als Pseudonym ausgedacht hatte – sein Familienwappen zeigt einen Ritter, der einen Speer schüttelt („shakes a spear“) –, oder den Theatermann gleichen Namens als Strohmann engagierte.

Jedenfalls würde das die enorme Bildungsfülle der Shakespeareschen Werke erklären, die man dem Earl zutraut, dem aus einer Analphabetenfamilien stammenden Theaterunternehmer aber nicht. „Shakespeares Werke wurden nicht von Shakespeare geschrieben, sondern von einem anderen Dichter gleichen Namens“ – das fand schon Mark Twain. Roland Emmerich greift nun also in die endlose, auch mit dem neuen Buch kaum abgeschlossene Debatte zwischen Stratfordianern und Oxfordianern mit den Mitteln des Kinos ein, nicht mit einer Großproduktion, wie er schon lange vor den Dreharbeiten in einem Interview betonte. Der Film werde „eher ein kleiner feiner Thriller“, allerdings „sicher kein Kammerspiel. Es wird jede Menge Spezialeffekte geben.“

Foto: pa/dpa
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In den letzten Tagen etwa wurden wilde, schlammumspritzte Kutschfahrten unter freiem Himmel aufgenommen, täglich sind mehr als 500 Komparsen aus Berlin und Umgebung im Einsatz. Die Hauptdarsteller kommen weitgehend aus Großbritannien und stellten am gestrigen Abend ihr Projekt mit Roland Emmerich im Film-Theater vor: Vorneweg als Elisabeth I. Vanessa Redgrave sowie als junge Elisabeth Joely Richardson, als Shakespeare Rafe Spall und als Earl of Oxford Rhys Ifans.

Für Emmerich ist „Anonymous“ kein Film über eine Philologendebatte. Es sei ein politischer Film, sagte der Regisseur und verwies wie sein Drehbuchautor John Orloff auf den totalitären Charakter der Elisabethanischen Herrschaft – für die beiden der Hintergrund der Dichterworte. Und es sei, sagte Emmerich, ein Film „über eine Gesellschaft, die uns so fremd ist, wie die von Aliens – wie ,Avatar’.“

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