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Dietrich Brüggemann, Filmregisseur, Drehbuchautor und Musiker beim Kiezspaziergang in Berlin Kreuzberg.

© Mike Wolff

Stadtspaziergang mit Filmregisseur: „Komm, Schatz, zum Aufenthaltsmodul A2“

Seit langem lebt Dietrich Brüggemann im Bergmannkiez. Beim Blick auf die Begegnungszone wünscht er sich, von rot-grüner Pädagogik verschont zu bleiben.

Eine Verabredung mit dem Regisseur und Musiker Dietrich Brüggemann, im Café Cuccuma in der Zossener Straße in Kreuzberg. Mitten im Bergmannkiez. Ein paar Meter sind es nur bis zur Bergmannstraße und zum Marheinekeplatz. Cafés und kleine Shops, Platten- und Second-Hand-Laden gibt es rundherum. „Ich möchte bei diesem Spaziergang mal an die Orte in meinem Kiez gehen, an denen ich sonst nicht lande“, sagt Brüggemann zur Begrüßung.

An diese selbstgestellte Vorgabe wird er sich in der Folge nicht ganz halten, aber vorerst gilt der Plan. „Zig Mal bin ich mit dem Fahrrad schon an diesem Café vorbeigefahren, aber noch nie war ich hier drin.“ Jetzt ist er es. Ein paar Gäste trinken einen Kaffee und sitzen hinter ihren Laptops. Brüggemann scheint nicht beeindruckt. Er will gleich weiter, in Richtung Bergmannstraße. Leger kommt er daher, trägt Klamotten in gedeckten Farbe und ein Käppi auf dem Kopf. Als Filmregisseur arbeitet er in einer Glamourbranche, danach sieht er nicht aus. Mit seiner Indieband Theodor Shitstorm, in der er Keyboard spielt und singt, hat er erst vor kurzem eine Platte veröffentlicht. Zu einem Musiker passt sein Look schon eher.

Am Sonntag läuft Brüggemanns zweiter Tatort

Der 42-jährige wirkt erst einmal ein wenig mürrisch, fast abweisend. Er ist kein Dauerlächler und Charmeur, sondern direkt und unverstellt. Vor 13 Jahren drehte er unter dem Titel „Neun Szenen“ seinen ersten Spielfilm. Später folgten Werke wie „Renn, wenn Du kannst“ und „3 Zimmer/Küche/Bad“, die von der Kritik für ihren Witz und ihre Originalität gelobt wurden. Humorvoll und etwas sperrig gleichzeitig waren diese Filme. Den Ruf eines eigenwilligen Regisseurs haben sie Brüggemann eingebracht, „ein enfant terrible werde ich auch gerne genannt“, sagt er.

Am heutigen Sonntagabend zeigt die ARD seinen zweiten „Tatort“: „Murot und das Murmeltier“. Ulrich Tukur als Wiesbadener Kommissar Felix Murot wird in dieser Hommage an den Filmklassiker „Und täglich grüßt das Murmeltier“ einen einzigen Tag immer wieder neu erleben, gefangen in einer nicht enden wollenden Zeitschleife. Brüggemanns „Tatort“ ist eher Komödie und Experimentalfilm als ein Krimi. Er verstehe seinen „Tatort“ selbst als „Frontalattacke auf die Krimi-Dauerberieselung im deutschen Fernsehen“, sagt er.

Mit den meisten Folgen des „Tatort“ könne er nichts anfangen: „Man muss zwanzig anschauen, um mal einen guten zu sehen. Da stimmt für mich das Verhältnis von Aufwand und Ertrag nicht.“ Ob er da nicht ein wenig hart urteile, jetzt, wo er selbst wieder einen gedreht hat? „Man kennt mich bereits als jemanden, der kein Blatt vor den Mund nimmt“, antwortet er.

Brüggemann wohnt seit 13 Jahren im Bergmannkiez

Er hat sich jetzt warm geredet und entwickelt sich immer mehr zu einem amüsanten Gesprächspartner, bleibt aber auch stets ein wenig reserviert. Gleich neben dem Café Cuccuma befindet sich der Comicladen „Grober Unfug“. „Auch so ein Ort, bei dem ich jedes Mal denke, da müsste ich mal rein, und dann lass ich es doch.“ Jetzt wäre eigentlich der richtige Zeitpunkt, um sich endlich mal nach Comics umzusehen. Er lässt es aber bleiben. Er habe sowieso schon viel zu viel zum Lesen daheim. Nebenan ist ein Laden mit Vintage-Hi-Fi.

„Wird auch überschätzt“, fällt ihm dazu ein. Einen dieser guten alten Verstärker, die angeblich ein ganzes Leben lang funktionieren würden, habe er sich einmal zugelegt: „Der ging dann aber auch schon nach fünf oder sechs Jahren kaputt.“ Seit 13 Jahren wohnt er hier im Kiez. Ein paar Mal ist er umgezogen, aber immer in dieser Gegend. Die Bergmannstraße, in die er nun einbiegt, ist er schon zig Mal rauf und runter gegangen. Ob diese sich in den letzten Jahren arg verändert habe? Ja, sicherlich, schicker sei es geworden und viele der vielleicht etwas ungepflegteren Läden seien in den vergangenen Jahren verschwunden. Trotzdem fühle er sich immer noch wohl hier.

„Hier war bis vor kurzem noch eine Filiale von Video-World“

Da erblickt er einen Laden, den er bislang noch gar nicht wahrgenommen hat. „Hier war bis vor kurzem noch eine Filiale von Video-World“, sagt er, vor dem noch relativ neuen Oxfam-Shop stehend. In den will er jetzt mal rein. Gebrauchte Klamotten, DVDs, Haushaltswaren, so etwas gibt es hier – Spenden für einen guten Zweck. Alles wird geschmackvoll präsentiert, damit erst gar kein Ramsch-Verdacht aufkommt. „Ah, scheint so eine Art Edel-Humana zu sein“, sagt Brüggemann.

Irgendwann hält er „Das große Buch der Riesen“ in der Hand und blättert interessiert darin herum. Bei all dem Krimskrams in dem Laden gilt sein einziges Interesse sowieso den Büchern. Er greift sich einen Sammelband von Wilhelm Busch: „Der geht natürlich immer“, sagt Brüggemann.

Ein paar Meter hinter dem Oxfam-Shop wird auf einem öffentlichen Aushang das Konzept der sogenannten Begegnungszone erläutert. Das ist die Bergmannstraße nämlich derzeit im Rahmen eines Pilotprojekts: eine Begegnungszone. Diverse Sitzgelegenheiten wurden in Parkbuchten entlang der Straße aufgestellt. Brüggemann liest die Projektbeschreibung vor, mit der auf einem Schild über die Begegnungszone informiert wird. Es klingt nach Beamtendeutsch. „Komm, Schatz, wir setzen uns mal kurz auf das Aufenthaltsmodul A2 in der Begegnungszone“, spottet er.

"Ich war 13 Jahre lang in der Schule und das reicht."
"Ich war 13 Jahre lang in der Schule und das reicht."

© Mike Wolff

"Ich habe einfach ein Problem damit, wenn mir jetzt auch noch die Stadt Berlin pädagogisch kommt."

Und zu der Bebilderung auf dem Aushang meint er: „Wären die wirklich realistisch gestaltet, würden da ein paar Alkis auf den Bänken sitzen.“ Das ganze Projekt findet er lächerlich, eine typisch rot-grüne Schnapsidee sei das. „Ich war 13 Jahre lang in der Schule und das reicht. Ich habe einfach ein Problem damit, wenn mir jetzt auch noch die Stadt Berlin pädagogisch kommt.“ Er biegt ab in die Nostitz-, dann in die Riemannstraße. Einen Kaffee im Molinari & Ko möchte er jetzt trinken, einem unter Filmleuten beliebten Italiener.

Seine Regisseur-Kollegen Andres Veiel und Christian Petzold habe er hier schon zufällig getroffen. Aber dann überlegt er es sich noch einmal und beschließt: ab in die Marheineke Markthalle, „da gibt es so gute Croissants“. Er geht vorbei an der Buchhandlung für englischsprachige Bücher „Another Country“. Er zeigt in den Laden und deutet auf das beeindruckende Bücherchaos. In alle Richtungen biegen sich die Bücherstapel. „Ich freue mich über jeden dieser eigenwilligen Läden, die es hier noch gibt“, sagt er.

Nebenbei spielt Brüggemann noch in der Band Theodor Shitstorm

Die Markthalle findet er eigentlich nicht so spannend, er nennt sie „wahnsinnig künstlich“ und findet: „Der Charme wurde hier wegrenoviert.“ Aber hier befindet sich eben „Le Bretagne“, seine Lieblings-Croissanterie. Über seine Musik hat er noch gar nicht geredet. Er spielt schon lange Klavier und bereits seit seiner Schulzeit komponiert er auch. Ein Musikstück in seinem „Tatort“ stammt von ihm, eingespielt wurde es vom Symphonieorchester des Hessischen Rundfunks. Und dann wäre da eben noch seine Band Theodor Shitstorm. Die laufe zwar eher nebenher, sei ihm aber sehr wichtig.

Dann muss er auch schon los. Raus auf die Bergmannstraße und bestimmt vorbei an Aufenthaltsmodul A2.

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