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Pro-Israel-Demo am Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor: Nach Irans Angriff auf Israel protestierten im April 2024 Hunderte von Menschen.

© Imago/stefan zeitz

Tag der Solidarität am 10. Juli: Berliner Juden hoffen auf Zeichen der Unterstützung

Seit dem Hamas-Überfall auf Israel erleben Berliner Juden Ausbrüche eines gesteigerten Hasses, der viele existenziell verunsichert. Können Gesten der Solidarität zeigen, dass die große Mehrheit an ihrer Seite steht?

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Verstörender Jubel über unfassbare Verbrechen, Hassbotschaften an Häuserwänden und direkte Drohungen mit Tod und Vernichtung: So können Berliner Juden die Hauptstadt bereits erleben, wenn sie vor die Tür treten. Seit dem 7. Oktober und dem Hamas-Überfall auf Israel vermeiden deshalb viele von ihnen alles, was sie sichtbar und identifizierbar machen könnte. Und sie fragen sich: Wofür steht eigentlich das Land, in dem wir leben, was denkt die Mehrheit der Berliner?

Mitten in dieser starken Verunsicherung lanciert der jüdische Politologe, Kommunikationspsychologe und Autor Leo Sucharewicz seine Idee: Ein Tag der Solidarität in Deutschland. „Einmal im Jahr sagt man in Deutschland Schalom“, so intoniert der in Lodz Geborene und in München Aufgewachsene mögliche Gesten der Unterstützung am 10. Juli.

Die Webseite seines Vereins für Demokratie und Information (DEIN e.V.) listet eine Reihe aus weiteren Vorschlägen: Einen Davidstern tragen, Israel-Fahnen aus dem Fenster hängen oder Freunde zu einem israelischen Dinner einladen. Das Datum soll an die erste Theateraufführung nach dem Krieg in Dresden erinnern, bei der am 10. Juli 1945 Lessings Versöhnungsstück der Weltreligionen, „Nathan der Weise“ gezeigt wurde.

Schlägt den Solidaritäts-Tag vor: Leo Sucharewicz, Autor, Politologe und Kommunikationspsychologe.

© privat

Damit laufe er offene Türen ein, sagt der Initiator. Sucharewicz sieht aus der Mitte der Gesellschaft einen bislang verborgenen Aufbruch gegen den grassierenden Fanatismus wachsen, möglicherweise gestärkt durch die jüngsten Messerattacken mit islamistischem Hintergrund: „Der Widerwille dagegen ist unterschätzt“, sagt er, „aber er artikuliert sich noch nicht.“

Man müsse ihm eine Plattform geben, und das habe sein Verein zufällig entdeckt. „Wir haben Tausende von E-Mails“, Botschaften der Ermutigung. „Das ist die Mehrheit, die so langsam wirklich aufhört zu schweigen.“

Im politischen Berlin sieht Sucharewicz dagegen wenig Unterstützung, vor allem keinen praktischen Widerstand gegen wachsenden Antisemitismus. Man könne irrtümlicherweise den Eindruck gewinnen, Deutschland sei im Griff einer kuriosen „Phalanx aus Palästinensern, Linksextremisten und Islamisten“. Befangen in einer Art Überkompensation des Holocausts, habe sich eine beispiellose Liberalität breit gemacht, bis zur Selbstaufgabe. Zum Ausgleich und Dialog Erzogene sähen sich nun konfrontiert mit einer opferbereiten Gewalt. Zurückhaltung, auch von jüdischer Seite, sei da falsch und gefährlich.

Der Politologe sieht ein Fenster vor sich, das sich zu schließen scheint. Es sei der letzte Zeitpunkt, um zu zeigen, dass Antisemiten und Israelhassern nicht die Straßen gehören. In Berlin plant sein Verein zudem eine Demonstration zum 7. Oktober.

Wie blicken Berliner Juden auf die Stadt, auf ihre Situation insgesamt? Der Tagesspiegel hat mit drei Erwachsenen mittleren Alters gesprochen. Zwei von ihnen sind als Kinder von Holocaustüberlebenden in Berlin geboren und aufgewachsen, eine verließ in jungen Jahren mit ihren Eltern die Sowjetunion für ein neues Leben in Berlin. Hier sollen sie nur Sara, Mosche und Jennifer heißen, und das macht deutlich: Alle sorgen sich um ihre Sicherheit, wollen auch keine Fotos von sich in der Zeitung sehen.

Jennifer: Gefühl der Sicherheit ist gekippt

„So schlimm war es nie“, sagt Jennifer über Antisemitismus in ihrem Leben. Sie wurde in den 1960er-Jahren in Berlin geboren, als Kind einer tief in der Stadt verwurzelten Familie. Sie gehörten zu jenen, die den Holocaust durch Flucht überlebt hatten und nach Kriegsende in die alte Heimat zurückgekehrt waren. Ein Neuanfang in Wilmersdorf, mit der Last der Vergangenheit im Hinterkopf. „20 Prozent der Deutschen denken antisemitisch“, diese Zahl hatte die Jugendliche in Studien gelesen. Damit konnte sie umgehen: „Wenn da fünf Leute stehen, von denen mich einer hasst, sind noch vier nette Menschen da.“

Dieser Eindruck hielt lange an, doch Berlin veränderte sich, auch durch die Zuwanderung aus muslimischen Ländern. Jennifers Sicherheitsgefühl kippte in den Folgen des 7. Oktobers. Die kleinen Plakate mit Bildern der Hamas-Geiseln wurden auch am Ku’damm heruntergerissen, selbst Bilder von Babys beschmiert. Wenn sie ihr Auto in die Werkstatt bringt, achtet sie genau darauf, dass nichts zurückbleibt, was sie als Jüdin identifizierbar macht.

In der Familie überlegen sie nun, in welches Land Kinder und Enkel gehen könnten, welche Sprache sie noch lernen sollten. Dabei kann Jennifer es nicht glauben, dass jene Berliner, mit denen sie aufgewachsen ist, lieber mit einem gewaltbereiten Mob zusammenleben wollen, als mit Menschen, die ihre eigenen Werte teilen. Bewegungen wie „Queers for Palestine“ machen sie fassungslos. Würde man Lesben und Schwule in Gaza nicht als erste ermorden, vor Juden und Christen?

Mosche: Rückendeckung einer breiten Masse fehlt

„Ich bin froh, dass meine Mutter nicht mehr lebt“, sagt Mosche, denn das Berlin von heute wäre für sie schwer zu ertragen. Zeit ihres Lebens sei die Holocaust-Überlebende für Versöhnung eingetreten, obwohl sie alles verloren habe. „So richtig kann ich es nicht glauben, dass das Land, in dem ich groß geworden bin, dieses Gesicht zeigt.“ Auf der einen Seite sieht Mosche hasserfüllte Demonstrationen und ein Unverständnis Israel gegenüber, das sich gegen eine Aggression zur Wehr setzt. Auf der anderen Seite fehlt ihm die Rückendeckung einer breiten Masse, obwohl sich die Bundesregierung ernsthaft Mühe gebe. „Es gibt kein echtes, kein aufrichtiges Aufstehen“, sagt er, sogar nach der Shoah.

Mosche fühlt sich „ein bisschen heimatlos“. In seinem Freundeskreis spricht man viel übers Auswandern, doch wohin? „Ich bin hier geboren, meine Mentalität und Grundwerte sind deutsch.“ Er könne nicht einfach nach Israel auswandern. An große Solidaritätsbekundungen glaubt Mosche im Moment nicht. Die habe es auch in den vergangenen Monaten nicht gegeben. Vielleicht bliebe nach Corona und den wirtschaftlichen Problemen als nächste schwere Bürde im Leben die Erkenntnis zurück, machtlos gegen den aufkommenden Antisemitismus zu sein.

Warum, so fragt Mosche, sind es immer wieder Juden, die Aktionen zu Toleranz und Verständnis anstoßen? Warum kommt dieser Ruck nicht aus der Mehrheitsgesellschaft? „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht von einer Welle weggespült werden.“

Sara: Die Masken sind gefallen

„Plötzlich entstanden innerhalb der deutschen Gesellschaft, die man so gut zu kennen glaubte, antiisraelische Strömungen.“ Das sagt Sara, die als Kind aus der Sowjetunion nach Berlin kam, über die Situation seit dem 7. Oktober. Zwar habe sie auch Unterstützung erfahren, jedoch mehrere Freundschaften aufgeben müssen. „Die Masken sind gefallen“, sagt sie, und es gab schmerzhafte Überraschungen. Sara nimmt genau wahr, dass ein kleinerer Teil der linken Szene einen aggressiven Antisemitismus verbreitet, auch an den Universitäten.

In der Schule ihres Kindes solidarisiere sich die gesamte Klasse mit palästinensischen Kindern, die sich um Familie in Gaza sorgen und wegen der „Kolonialisten“ weinten. Besonders irritiert sie, dass Pins mit der palästinensischen Fahne getragen werden. Was wäre nur los, wenn man als Jude ein israelisches Abzeichen in Berlin öffentlich tragen würde?

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