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Rettungssanitäter Timo Sievert hatte Probleme nach der Impfung.

© iFoto: privat

Nach Impfung mit Astrazeneca: Rettungssanitäter ruft zum Impfen auf – trotz starker Nebenwirkung

Timo Sievert hatte nach der Corona-Impfung massive Probleme. Doch von Verschwörungsideologen wie Attila Hildmann ließ er sich nicht vereinnahmen.

Er wird Deutschlands „lautester Feuerwehrmann“ genannt, als „Der Sievi“ hat er sich bei Youtube eine Fangemeinde aufgebaut. Dort wettert er gegen Autofahrer, die für Rettungswagen mit Blaulicht die Straße nicht frei machen oder gegen miese Ausstattung von Feuerwehren. Nebenbei kommentiert er auch noch die Spiele des Fußball-Zweitligisten HSV. „Kriech‘ ich ich so’n Blutdruck, dooo“, sagt er dann im breiten Norddeutsch.

Weil er nach einer Corona-Impfung mit dem Mittel Astrazeneca körperliche Probleme hatte, versuchten ihn Verschwörungsideologen für sich einzuspannen. Auch der rechtsextremistische Vegankoch Attila Hildmann machte aus Berlin mobil.

Doch Hildmanns Versuch, den Retter als Beispiel für die Opfer der Impfdiktatur zu stilisieren, ging nach hinten los. Sievert sagt: „Ich würde mich wieder impfen lassen.“ Dafür bekam er unzählige Hasskommentare und Drohungen von rechts, Hildmann rief sogar zum „Daumen runter Blitzkrieg“ auf. Gemeint ist, dass Hildmanns Anhänger Sieverts Seite negativ bewerten sollen.  

Timo Sievert ist 39 Jahre, als Notfallsanitäter in Hamburg ist er systemrelevant und bekam deshalb vor zwei Wochen die Impfung. Morgens um 10.30 Uhr kam Sievert mit einem Kollegen nach einem 24.Stunden-Dienst in den Hamburger Messehallen an. Nach dem Pieks bekam er auch den Termin für die zweite Impfung.

Rechte Körperhälfte nach Impfung gelähmt

Am Abend bekam er Fieber, dazu Schmerzen in der Wirbelsäule und in den Muskeln. Am nächsten Morgen fiel er buchstäblich aus dem Bett. Beim Aufstehen stürzte er zu Boden. „Ich habe gemerkt, dass die rechte Körperhälfte gelähmt war, als hätte ich einen Schlaganfall erlitten“, erzählt Sievert.

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Auch Sieverts Frau hat eine medizinische Ausbildung, einen Schlaganfall konnten sie schnell ausschließen. Der Blutdruck war aber enorm hoch. „Ich hätte den Rettungsdienst holen sollen“, sagte Sievert heute. „Ich bin 17 Jahre im Rettungsdienst, ich bin zu oft nachts um 3 Uhr wegen Kleinigkeiten wie einem eingewachsenen Zehnagel mit Blaulicht losgefahren. Rettungssanitäter sind die schlechtesten Patienten.“

Bei Youtube ist der Retter als "Der Sievi" aktiv.
Bei Youtube ist der Retter als "Der Sievi" aktiv.

© privat

Also Anruf beim Chef der Feuerwehr – Sievert soll zum Hausarzt gehen. Richtig geholfen wird ihm in Ratzeburg, Schleswig-Holstein, wo er wohnt, aber nicht. Bei Youtube erzählt Sievert dann, wie es im ergangen ist. Dass er mit der rechten Hand nichts greifen, den rechten Arm nicht heben kann, auch das rechte Bein ist betroffen, das Gehen fällt ihm schwer.

Hildmann fantasiert über eine Impf-Diktatur

Attila Hildmann sah in dem Feuerwehrmann ein Paradebeispiel für die Impf-Diktatur gegen das Volk. Seine Anhänger rief er im Kurznachrichtendienst Telegram auf, Sieverts Video zu teilen: „Warne alle vor den Impfungen.“ Und Hildmann schrieb: „Jetzt ist sein Arm gelähmt durch die Giftspritze.“

Attila Hildmann, Kochbuchautor und Anti-Corona-Aktivist, 2020 bei einer Demonstration gegen die Corona-Regeln.
Attila Hildmann, Kochbuchautor und Anti-Corona-Aktivist, 2020 bei einer Demonstration gegen die Corona-Regeln.

© Jörg Carstensen/dpa

Gegen Hildmann wird bekanntlich ermittelt, die Staatsanwaltschaft Berlin wirft ihm Volksverhetzung, Beleidigung und Bedrohung und öffentliche Aufforderung zur Straftaten vor, es geht um zahlreiche öffentliche Äußerungen in sozialen Netzwerken und bei Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen in Berlin.

Dabei gab er Juden die Mitschuld am Holocaust und verbreitete Hetze. Der Kochbuchautor sieht eine große Verschwörung am Werk. Inzwischen soll gegen ihn ein Haftbefehl vorliegen, Hildmann ist nach eigenen Angaben auf der Flucht.

Attila Hildmann wollte Sievert für seine Verschwörungsideen instrumentalisieren.
Attila Hildmann wollte Sievert für seine Verschwörungsideen instrumentalisieren.

© privat

Sievert wurde im Universitätsklinikum Lübeck komplett untersucht – nach dem Ausschlussprinzip, „wenn du nach etwa suchst, dass du nicht kennst“. So richtig wissen die Ärzte noch immer nicht, was passiert ist – eine Nebenwirkung des Impfstoff oder eine durch den Impftstoff provozierte Vorerkrankung.

Vermutet wird, dass die Reaktion seines Körpers auf die Impfung mit einem Vorfall vor einigen Jahren zusammenhängt. Vielleicht hat die Impfung einen Schub einer bislang nicht entdeckten Erkrankung an Multipler Sklerose, eine chronisch-entzündliche neurologische Autoimmunerkrankung, ausgelöst.

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Eine Lähmung, wie es Hildmann behauptet, war es jedenfalls nicht, sagt Sievert. Es handle sich um eine Parese, eine Empfindungsstörung. Es geht ihm inzwischen wieder besser, die Taubheit auf der rechten Körperseite schwindet langsam. „Ich habe viele Zuschriften erhalten, in denen von Nebenwirkungen der Impfung berichtet wird“, sagt Sievert. „Trotzdem sollte man sich schützen.“

In seinem Job kämpfe er an vorderste Front, da müsse man sich maximal schützen. „Das Rettungswesen muss aufrechterhalten werden.“ Er empfehle aber jedem, mit dem Hausarzt Rücksprache zu halten, um Risiken durch Vorerkrankungen auszuschließen. „Ich gehe davon aus, dass ich wieder fit werde.“ Von Coronaleugner und Verschwörungsideologen wie Hildmann lasse er sich nicht vereinnahmen.

Hildmann postet derweil weiter in seinem Telegram-Kanal. Er glaubt, es gebe einen „gigantischen Pharmakomplott zur Errichtung einer neuen Weltordnung".

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