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Das Klärwerk Schönerlinde nördlich von Pankow reinigt pro Tag mehr als 100.000 Kubikmeter Abwasser. In den Faultürmen wird aus Klärschlamm Methan (Biogas) gewonnen.

© Stefan Jacobs

Um das Trinkwasser zu schützen: Berliner Wasserbetriebe reinigen Abwasser bald mit Ozon

Arzneimittel, Viren und Keime - nicht alles wird im Klärwerk bisher entfernt. Nun soll neue Technik gegen ein wachsendes Problem helfen.

Voltaren geht den Fischen im Tegeler See an die Nieren. Möglicherweise nicht nur denen. Im Detail sind die Effekte noch nicht erforscht, die menschgemachte Stoffe im Wasser haben. Aber weil es beim Lebensmittel Nummer eins auf rechtzeitige Vorsorge ankommt, investieren die Berliner Wasserbetriebe (BWB) fast 50 Millionen Euro in ihr Klärwerk Schönerlinde, das das Abwasser von rund 800.000 Menschen von Marzahn über Mitte und Pankow bis nach Reinickendorf sowie im nordöstlichen Berliner Umland reinigt.

Am Mittwoch begann der Bau einer Anlage, die das geklärte Abwasser zusätzlich mit Ozon behandelt, bevor es über den Nordgraben in den Tegeler See fließt. Also dorthin, wo eines der beiden größten Berliner Wasserwerke steht.

Die Sache mit dem Voltaren steht symbolisch für ein Problem, das mit der Alterung der Gesellschaft und dem immer spärlicheren Frischwassernachschub von Spree und Havel wächst: Die Menge sogenannter Spurenstoffe – beispielhaft dafür stehen neben dem Voltaren-Wirkstoff Diclofenac auch Röntgenkontrastmittel, Hormone und manche Haushaltschemie – nimmt zu, und der spezielle Berliner Wasserkreislauf wird immer kleinräumiger: Was die Wasserwerke als Uferfiltrat rund um die Seen fördern, ist zu einem beträchtlichen Teil schon mal durchs Klärwerk geflossen. Dort wurde es zwar von etwa 98 Prozent der Verunreinigungen befreit, aber die Spurenstoffe entkommen den herkömmlichen Reinigungsmethoden.
Um die Qualität von Gewässern und Trinkwasser auf Dauer zu erhalten, investieren die Wasserbetriebe bis 2030 rund zwei Milliarden Euro in Kapazitätserweiterungen und zusätzliche Reinigungstechnik für ihre Klärwerke. Die Anlage in Schönerlinde ist dabei zwar ein relativ kleiner Posten, aber ein technisch für die Branche bedeutsamer: Laut BWB-Vorstand Frank Bruckmann gibt es in Deutschland bisher keine vergleichbar große Anlage.

In einem neuen Gebäude auf dem Klärwerksgelände wird Sauerstoff in reaktionsfreudiges, aggressives Ozon umgewandelt. Das soll dann einige Minuten lang durchs gereinigte Abwasser blubbern und dabei die relativ großen Moleküle in kleinere Bausteine zerlegen. Diese Zwischenprodukte werden danach in bewährter Art von Mikroorganismen zu unproblematischen Stoffen abgebaut.

Vor der Entscheidung für die jetzt geplante Ozonbehandlung wurden auch Aktivkohlefilter getestet.
Vor der Entscheidung für die jetzt geplante Ozonbehandlung wurden auch Aktivkohlefilter getestet.

© Stefan Jacobs

Der emeritierte TU-Professor Martin Jekel, der sich seit Jahrzehnten mit Wasserreinhaltung befasst, hält die Ozonbehandlung für das sinnvollste von mehreren denkbaren Verfahren: Zum einen beseitige das Ozon nicht nur Spurenstoffe, sondern auch Viren und Bakterien sowie Gerüche. Zum anderen blieben – anders als bei ebenfalls denkbaren Aktivkohlefiltern – keine Rückstände, die dann extra entsorgt werden müssten. Die Reste des Reizgases Ozon ließen sich an Ort und Stelle leicht auffangen und beseitigen. Die Technik ist laut den Wasserbetrieben vorab mit sechs verschiedenartigen Anlagen getestet worden.

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Nach Auskunft von Jekel ist bis 2040 wegen der Alterung der Gesellschaft mit einer Verdopplung des Arzneimittelkonsums zu rechnen. Angesichts des schon in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangenen Frischwassernachschubes steigt die Konzentration potentiell problematischer Rückstände allmählich an – und könnte irgendwann nicht nur die Ökosysteme in den Gewässern schädigen, sondern auch in den Trinkwasserbrunnen ankommen.
Deshalb rüsten die BWB alle ihre sechs Klärwerke mit zusätzlichen Reinigungsstufen nach: teils werden per „Flockungsfiltration“ Nitrate und Phosphor herausgeholt, die sonst als Dünger die Gewässer belasten würden, teils soll das gereinigte Abwasser mit UV-Strahlung desinfiziert werden.

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Auch in Schönerlinde sei die UV-Behandlung perspektivisch sinnvoll, sagt Klärwerksleiterin Barbara Hütter. Schon jetzt wird auf dem am Berliner Ring gelegenen Areal ein 40.000 Kubikmeter großer Speicher gebaut, der bei starkem Regen „Mischwasser“, also durch Regen verdünnte Hausabwässer, auffangen kann, damit sie später wohldosiert durchs Klärwerk fließen, anstatt als Dreckflut die Gewässer zu verschmutzen. Außerdem geht laut Hütter im nächsten Jahr eine Abluftreinigung in Betrieb, die Gestank von der Umgebung des Klärwerks fernhalten soll.

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