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Ein Kreis hat sich geschlossen. US-Botschafterin. Amy Gutmann will die guten deutsch-amerikanischen Beziehungen weiter stärken.

© David Heerde für den Tagesspiegel

US-Botschafterin Amy Gutmann: „Auch ich rufe Präsident Biden nicht einfach so an“

Mit Amy Gutmann hat der US-Präsident zum ersten Mal eine Frau zur Botschafterin in Berlin gemacht. Hier erkundet sie auch ihre Wurzeln: Ihr Vater musste vor den Nazis fliehen.

Exzellenz, Frau Botschafterin Gutmann, Sie mussten sehr hart arbeiten, um mit einem Stipendium in Harvard studieren zu können. Ihr Vater starb schon, als Sie 16 waren. Später wurden Sie Präsidentin der Universität von Pennsylvania und haben neun Milliarden Dollar gesammelt, um unter anderem Studenten aus ärmeren Familien ein Studium zu ermöglichen. Was hat Sie geformt? 
Zuerst und am allerwichtigsten: Die Werte haben meine Eltern mir vermittelt. Mein Vater musste aus Nazi-Deutschland fliehen. Er hat mich gelehrt, wie wichtig es ist, Chancen zu bekommen und die auch zu ergreifen. Auch seiner Familie hat er geholfen, rauszukommen aus Deutschland. Mein Vater hat mir beigebracht, Demokratie nie als Selbstverständlichkeit zu betrachten. Man muss immer wachsam sein, muss dafür arbeiten, muss dafür kämpfen. 

Meine Mutter wuchs auf während der großen Depression. Sie hatte nie die Chance, ein College zu besuchen wie ich. Ohne finanzielle Hilfe in Form von Stipendien hätte ich das auch nicht geschafft. Es gibt in der jüdischen Kultur einen speziellen Ausdruck, der besagt, dass es darum geht, das eigene Leben zu nutzen, um anderen etwas zu geben, gute Taten zu tun.

Das ist mir sehr wichtig. Ich bin stolz darauf, Jüdin zu sein, aber umso stolzer bin ich, wenn ich auch anderen etwas geben kann. Ja, ich musste hart arbeiten. Aber das hätte nicht gereicht, ohne all das, was meine Eltern mir mitgegeben haben. 

Bei Ihrem Chanukka-Empfang haben Sie erzählt, dass Sie zu Hause zu den traditionellen Kartoffelplätzchen immer beides nehmen durften, saure Sahne und Apfelmus. War das ein Beispiel für die großzügige Atmosphäre, in der Sie aufgewachsen sind?
Meine Eltern haben sich sehr geliebt. Mein Vater kam über Indien aus Deutschland, meine Mutter hatte die USA nie verlassen. Meine ersten Eindrücke von den transatlantischen Beziehungen haben sie geprägt. Zusammen haben sie ein wunderbares Zuhause geschaffen mit einer ausgesprochen großzügigen Atmosphäre. Wir hatten nie viel Geld, aber meine Mutter kochte sehr gern und lud auch gern Freunde ein. 

Ihre Vorgänger haben immer mal wieder deutsche Sätze eingeflochten in ihre Ansprachen. Sie sind vergleichsweise zurückhaltend. Sind Sie denn nicht zweisprachig aufgewachsen?
Ich spreche nur ein bisschen Deutsch. Aber ich habe angefangen, es zu lernen. Meine Eltern haben Deutsch als Geheimsprache benutzt, wenn ich nicht wissen sollte, worüber sie sprechen. Meine Mutter stammte aus Brooklyn und konnte Jiddisch sprechen. Noch kann ich Deutsch viel besser verstehen, als ich es sprechen kann. 

Was ist Ihre wichtigste Erinnerung an Ihren Vater? Hat er Ihnen viel von Deutschland erzählt?
Mein Vater wollte nicht, dass ich traumatisiert werde wie er, deshalb hat er nur sehr ausgewählte Dinge erzählt. Er hat mir erzählt, dass die Geschichte seiner Familie in Deutschland Jahrhunderte zurückreicht. Er hat von meinen Großeltern erzählt, Amalia und Abraham. Ich heiße nach meiner Großmutter. Und er hat mir von Feuchtwangen erzählt, seiner Heimatstadt. Der Bürgermeister hat mich dorthin eingeladen. Da habe ich so viel mehr erfahren über meine Familie, als ich je gewusst habe. 

Es war eine der emotionalsten Erfahrungen, die ich je hatte, nicht nur als Botschafterin, sondern in meinem ganzen Leben. Was diese Erfahrung so erhebend machte, war nicht nur der ausgesprochen herzliche Empfang durch den Bürgermeister und die Menschen in Feuchtwangen, sondern die Erfahrung der Erinnerungskultur, die Deutschland so lebendig gehalten hat in den letzten Jahrzehnten. 

Schauen Sie mal, ich habe Ihnen das extra mitgebracht. Sie haben mir die Zeugnisse meines Vaters gegeben, die sich im Fränkischen Museum befanden. Erst war ich erschrocken, als ich die Noten sah. Aber dann erfuhr ich, dass im Deutschen, anders als bei uns, eine 2 eine gute Zensur ist. Darüber haben wir gelacht. Und er hatte sogar ganz viele Einsen. Plötzlich verstand ich, dass es eine Zeit der Normalität für ihn gegeben hat. Er war 11 Jahre alt, als er dieses Zeugnis bekam. Sie haben mich auch zum Haus meiner Großeltern geführt. Da ist jetzt eine schöne Buchhandlung drin. 

Mit dem Rad bin ich durch die ganze Stadt gefahren.

Amy Gutmann

Was für ein Bild von Deutschland hatten Sie, bevor Sie kamen? Waren Sie schon mal hier, bevor Sie Botschafterin wurden? 
Meine Bilder von Deutschland waren persönlich wie auch beruflich geprägt. Am allerbesten erinnere ich mich an meine erste Reise nach Berlin, nicht lange, bevor die Pandemie ausbrach. Ich war eine Woche lang hier und habe mich sofort in die Stadt verliebt. Mit dem Rad bin ich durch die ganze Stadt gefahren, auch durch Potsdam.

Die Erinnerungskultur überall hat mich tief berührt, aber auch die Tatsache, dass Berlin eine globale Kulturhauptstadt ist, die Willkommenskultur. Hier wird die tiefe Verbindung zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten gelebt und geatmet. Nachdem ich mich bereits in Berlin verliebt hatte, war der Anruf des Präsidenten umso aufregender, als er mich fragte, ob ich hier Botschafterin werden wolle. Das war eine große Ehre. 

Ehre ja, aber Sie hatten natürlich auch einen großartigen Job. Unter den Präsidenten der ehrwürdigen Ivy-League-Universitäten wurden Sie besser bezahlt… 
Halb im Scherz habe ich den Leuten in der Universität gesagt, wenn der Präsident dich bittet, etwas zu tun, machst Du es. Es gab keine größere Ehre in meinem Leben als die, als Botschafterin der USA in Deutschland zu dienen.

Es ist gerade jetzt so wichtig, dass Deutschland und die Vereinigten Staaten eine wirklich starke Beziehung haben. Seit ich Bundeskanzler Scholz kennengelernt habe, sehe ich, dass es wirklich so ist. Präsident Biden kenne ich seit Jahrzehnten. Die beiden haben eine starke Verbindung. Sie vertrauen einander, sie respektieren einander, und sie sind Freunde. Überall in Deutschland sehe ich, wie viele persönliche Freundschaften es gibt zwischen Deutschen und Amerikanern. Und das ist so wichtig. Das war nie wichtiger als heute. 

Putin hat tatsächlich gedacht, er könnte uns spalten, als er brutal in die Ukraine einmarschiert ist. Er dachte, er könnte Deutschland, Europa und die USA spalten. Aber er hat genau das Gegenteil erreicht. Wir halten fester zusammen als je zuvor. 

Im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine äußern Sie sich für eine Diplomatin manchmal erstaunlich klar politisch. Gerade von einer Professorin war das doch eher nicht zu erwarten.
In gewisser Weise habe ich einen großen und wichtigen Teil meines Erwachsenenlebens in meinen Studien der Bedeutung und Verteidigung der Demokratie gewidmet. 

Es ging mir auch immer um die Bedingungen, die Demokratie möglich machen.

Amy Gutmann

Das war das Erbe Ihres Vaters? 
Genau. Das war das Erbe meines Vaters. Es wurde zu einer lebenslangen Leidenschaft. Es ging mir auch immer um die Bedingungen, die Demokratie möglich machen, vertrauensvolle Beziehungen über alle Ethnien und Religionen hinweg.

Für mich ist es normal, darüber zu sprechen, wie wichtig die Rolle eines jeden Einzelnen ist, unsere Länder frei, einig und wohlhabend zu halten. Was mich bei den Deutschen so beeindruckt hat, war die Art, wie sie Millionen ukrainischer Flüchtlinge willkommen geheißen haben. Das ist nicht selbstverständlich. Das zeigt einen enormen Sinn für Menschlichkeit. Deshalb fühle ich mich so wohl in Berlin und in Deutschland. Antisemitismus zu bekämpfen, ist äußerst wichtig. Aber die Grundlage von allem ist der persönliche kulturelle Austausch. Es gibt ein Austauschprogramm zwischen Kongress und Bundestag für junge Leute. 30.000 haben schon daran teilgenommen. Das unterstützen wir seitens der Botschaft. 

Kürzlich hatten wir mit circa 500 Gästen den größten Berlinale-Empfang in der Geschichte der Botschaft. Was die starken Bande zwischen unseren Ländern möglich macht, sind nach meiner Überzeugung die engen kulturellen Beziehungen. 

Deshalb sagte einer der Gäste aus Hollywood, dass sie zum genau richtigen Zeitpunkt Botschafterin hier sind? 
Obwohl ich niemals erwartet hätte, das zu sein, ist es vielleicht doch Bestimmung oder Schicksal. Aber es fühlt sich sehr natürlich und gut an. Ich muss sagen, dass ich sowohl meinem eigenen Land als auch Deutschland dankbar bin.

Meinem eigenen Land dafür, dass es mich damit betraut hat und – noch viel wichtiger – Deutschland dafür, dass es mich willkommen geheißen hat, aber keineswegs nur auf persönlicher Ebene. Noch wichtiger ist, dass es diese starken Bande ermöglicht, basierend auf Vertrauen, Respekt und der Verteidigung unserer gemeinsamen Werte. 

Weiter Horizont. Der Kampf für die Demokratie ist Amy Gutmanns Lebensthema. 
Weiter Horizont. Der Kampf für die Demokratie ist Amy Gutmanns Lebensthema. 

© David Heerde für den Tagesspiegel

Es war ein symbolhaftes Bild: Sie und Steven Spielberg zusammen bei einem glanzvollen Botschaftsfest direkt am Brandenburger Tor, zwei Nachfahren jüdischer Familien, die aus Europa in die USA fliehen mussten. Es kann also auch im wirklichen Leben ein Happy End geben?
Wenn man nicht an die Möglichkeit von Happy Endings denkt, kann man keine Happy Endings schaffen. Es gibt so viel Tragisches in der Welt, so viel Leid. Die einzige Möglichkeit, effektiv zu sein in der Welt, als Führungskraft, als Botschafter, als Mensch mit einem Herzen, besteht darin, morgens aufzustehen und sich zu überlegen, wie man dazu beitragen kann, Happy Endings zu ermöglichen. 

Checkpoint Charlie war der Außenposten der freien Welt während des Kalten Krieges. Und jetzt? Hat sich der weiter nach Osten verlagert? 
Ich denke, dass es viele Checkpoint Charlies gibt, wenn Sie so wollen. Der Krieg gegen die Ukraine hat zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg deutlich gemacht, dass die Demokratie aktiv verteidigt werden muss. Von uns allen.

Jeder, der nach Berlin kommt und den Checkpoint Charlie kennt, muss denken, dass Deutschland, die USA, unsere Verbündeten, die NATO, die G7, die G20, alle zusammenkommen müssen, um die Demokratie in der Welt zu verteidigen, damit ein brutaler Diktator, in diesem Fall Putin, keinen Erfolg hat. Wir helfen der Ukraine, sich selbst zu verteidigen. Das unterstreicht auch die Bedeutung von all den Holocaust-Denkmälern in Berlin. „Niemals vergessen“ wird da übertragen in „Nie wieder!“. Man darf nicht zulassen, dass so etwas jemals wieder passiert. 

Ihr Mann Michael Doyle ist Professor für Internationale Beziehungen. Dient er Ihnen als Berater? So nach dem Motto der Clintons „Nehmt Zwei zum Preis von einem“? 
(Lacht) Mein Mann lehrt gerade an der Columbia Universität. Bis Januar war er hier bei mir in Berlin, und er wird erst im Mai nach Berlin zurückkehren. Er war Stipendiat im sozialwissenschaftlichen Forschungszentrum und hat ein Buch zu Ende geschrieben. Es geht um die Beziehung zwischen den USA, Russland und China und darum, einen neuen kalten Krieg zu vermeiden. Sein Fachgebiet ist internationale Politik. 

Das klingt sehr praktisch… 
Ja. Definitiv. Er interessiert sich sehr für das, was ich mache, und ich interessiere mich sehr für das, was er macht. Wir haben eine wundervolle Ehe. Dass ich ihn vermisse, ist der härteste Teil daran, hier zu sein. 

Sind Ihre Tochter und Ihre Enkelkinder schon zu Besuch gekommen? 
Noch nicht. Aber sie kommen! Meine Tochter ist Chemieprofessorin an der Universität von Kalifornien, Los Angeles (UCLA). Und sie wurde eingeladen, eine Reihe von Gastvorlesungen in Chemie zu halten in Deutschland. Sie kommt Ende Mai, und wir fahren zusammen nach Feuchtwangen, um dort die allerersten Stolpersteine im Ort zu legen, einen für jedes Mitglied der Familie meines Vaters. Mein Schwiegersohn und meine beiden Enkelkinder kommen Anfang Juni, und sie bleiben mehrere Wochen. Wir werden ihnen Berlin und das ganze Land zeigen. 

Oh, schön, wie alt sind sie? 
Konrad ist 9 Jahre alt, er ist nach meinem Vater Kurt benannt, Leah ist 7 Jahre alt. Sie sind beide große Fußballfans und freuen sich schon darauf, hier Fußball zu spielen. 

Diese Aufgabe ist aber auch persönlich für mich so bewegend.

Amy Gutmann über ihre Arbeit als Botschafterin

Sie kennen Joe Biden schon sehr lange. Wenn es Probleme gibt, können Sie ihn also einfach anrufen?
Er ist der Präsident der Vereinigten Staaten. Nein, ich rufe ihn nicht einfach so an. Aber es ist richtig, dass wir uns persönlich und beruflich schon sehr lange kennen. Und er ist mir gegenüber sehr großzügig mit seiner Zeit. Er bittet mich immer wieder, allen zu sagen, wie immens wichtig die deutsch-amerikanischen Beziehungen zurzeit sind. Einige seiner Enkelkinder haben die Universität von Pennsylvania besucht. Sein Sohn Beau, der tragischerweise an einem Hirntumor gestorben ist, war ein Absolvent der Universität.

Schon sehr früh, als Joe Biden Vizepräsident war, hat er sich dafür eingesetzt, Jobs für die Mittelklasse zu schaffen. Um das für Präsident Obama und sich zu erreichen, nutzte er die Universität von Pennsylvania, um eine Taskforce zu diesem Thema einzurichten. Als Präsidentin der Universität hatte ich die Aufsicht über sechs Hospitäler, es gibt da eine große medizinische Fakultät. Der Präsident ist ein leidenschaftlicher Kämpfer gegen den Krebs. Auch darüber haben wir uns besser kennengelernt, weil wir an der Universität viel Krebsforschung betreiben. Daraus ergab sich die Freundschaft, sowohl beruflich als auch privat mit seiner Familie. 

Ihre beiden demokratischen Vorgänger haben sich in Berlin ein zusätzliches Zuhause gekauft. Können Sie sich das auch für sich vorstellen? 
(Lacht) Da müssen Sie meinen Mann fragen. Es ist wohl noch zu früh, das sagen zu können. Aber ich merke, dass ich mich in Berlin tatsächlich zu Hause fühle. Erst gestern machte mich der wunderbare Manager der Residenz darauf aufmerksam, dass ich bereits bei der ersten Rückkehr aus den USA sagte, wie gut es sich anfühlt, nach Hause zu kommen. 

Die Aufgabe, als Botschafterin zu dienen, ist beruflich sehr herausfordernd und sehr lohnend. Diese Aufgabe ist aber auch persönlich für mich so bewegend. Es gibt absolut nichts, was mein Vater sich mehr gewünscht hätte, als dass seine Tochter herzlich empfangen wird als US-Botschafterin in Deutschland, in einem demokratischen wiedervereinigten Deutschland, das jetzt der stärkste Verbündete der USA ist, stärker als jemals zuvor in der Geschichte. Das ist so motivierend! 

Das klingt wie ein perfektes Happy End… 
Ja, aber es bleibt noch viel Arbeit zu tun, damit alle ein Happy End erleben können. Es ist erhebend zu sehen, dass je mehr Schreckliches Putin den Ukrainern antut, sie umso entschlossener zusammenstehen, um ihre Demokratie zu verteidigen. Es braucht einen gewissen Geist. Und der Geist, der dort herrscht, ist der Geist von Kameradschaft und Einheit. Das sehe ich auch hier in Berlin und in Deutschland. 

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