
© Soeren Stache/dpa
Sprengstoff-Bastler vom Bahnhof Neukölln: Automatensprenger jagte sich selbst in die Luft
Ende Oktober ließ Tomasz J. in Neukölln bei einer Polizeikontrolle hochexplosives TATP fallen. Nun kam er beim Anmischen des Sprengstoffs um. Innensenatorin Iris Spranger will Banken in die Pflicht nehmen.
Stand:
Einer der beiden Männer, die Ende Oktober vor einer Polizeikontrolle am S-Bahnhof Neukölln flüchteten und hochexplosiven Sprengstoff hinterließen, ist tot. Der Pole Tomasz J. hat sich nach Tagesspiegel-Recherchen selbst in die Luft gejagt – mutmaßlich beim Herstellen des Sprengstoffs TATP (Triacetontriperoxid). Jetzt zeigt sich, wie gefährlich der Stoff schon bei der Herstellung ist.
In der Nacht zum 24. November hatte es in Lohne (Landkreis Vechta) in einem Mehrfamilienhaus gebrannt. Danach war ein Toter gefunden worden, drei Menschen erlitten eine Rauchgasvergiftung. Anwohner hatten vor dem Ausbruch des Feuers in der Küche einer Wohnung einen lauten Knall gehört.
Inzwischen ist die Leiche von der Gerichtsmedizin und per DNA-Nachweis identifiziert worden. Es handelt sich um Tomasz J., der 34-Jährige fiel seit Jahren in Deutschland und Polen mit Straftaten auf. Zudem fanden Ermittler in der Brandwohnung Reste von Stoffen, die zum Herstellen von TATP gebraucht werden. Die Vermutung der Sicherheitsbehörden: Tomasz J. löste beim Anrühren des Sprengstoffes eine Explosion aus.
Die Sprengattacken auf Geldautomaten waren auch Thema für die am Freitag endende Innenministerkonferenz im brandenburgischen Rheinsberg. Nach Darstellung des Bundesinnenministeriums geht die Zahl der Automatensprengungen deutschlandweit zwar zurück, jedoch nicht in Berlin.
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Innensenatorin Iris Spranger (SPD) pochte deshalb bei der Konferenz in einer darauf, dass die Banken zu einem besseren Schutz der Automaten gesetzlich verpflichtet werden müssten. Denn in Berlin sind die Automaten meist in Wohn- und größeren Geschäftshäusern untergebracht – wenn dort TATP zum Einsatz kommt, ist die Gefahr für Anwohner weitaus größer als auf dem Land.
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„Eine Verlagerung der Sprengung von Geldautomaten ist von West- nach Ostdeutschland offensichtlich“, sagte Spranger. In Berlin ist die Zahl der Sprengungen deutlich angestiegen. Nach Angaben der Senatorin registrierte die Polizei im Jahr 2020 vier Automatensprengen, in den beiden Folgejahren waren es je 26 und 2023 schon 24 Fälle. In diesem Jahr war es bisher 39 Fälle, davon 14 mit Erfolg.
Das sei eine besorgniserregende Entwicklung, sagte Spranger. Die Automatensprenger verursachten „nicht nur erhebliche wirtschaftliche Schäden“, sondern gefährdeten „durch die zunehmende Gefährlichkeit von Sprengstoffen auch die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger massiv“. Die Kriminellen gingen mit brachialer Gewalt vor.
Es darf nicht allein Aufgabe der Sicherheitsbehörden und der Polizei Berlin sein, auf diese Bedrohung zu reagieren.
Iris Spranger (SPD), Innensenatorin von Berlin
„Die Banken tragen eine besondere Verantwortung, ihre Infrastruktur so zu sichern, dass diese Taten erschwert oder verhindert werden können“, sagte Spranger. Sie sprach von modernen Sicherungstechnologien – wie etwa verstärkte Gehäuse, Farbpatronen, die Geldscheine bei Manipulation unbrauchbar machen, oder die Verlagerung von Automaten an weniger gefährdete Standorte. Das alles sei längst verfügbar und müsse konsequent eingesetzt werden, sagte Spranger.
„Es darf nicht allein Aufgabe der Sicherheitsbehörden und der Polizei Berlin sein, auf diese Bedrohung zu reagieren“, sagte die Senatorin. Die Finanzinstitute müssten schnell Maßnahmen ergreifen, um solche Taten unattraktiv zu machen. „Berlin fordert deshalb weiterhin verpflichtende gesetzliche Regelungen für Banken und Kreditwirtschaft“, sagte Spranger. Wegen der gefährlichen Sprengstoffe halte sie „freiwillige Maßnahmen für unzureichend“.
TATP gilt bei Behörden und Islamisten als „Mutter des Satans“
J. war am 27. Oktober gemeinsam mit einem Moldauer ins Visier einer Streife der Bundespolizei geraten. Die Beamten wollten die beiden auf dem S-Bahnhof Neukölln kontrollieren – doch die beiden Männer rissen sich los, flüchteten über die Gleise – und J. ließ einen Stoffbeutel fallen. Darin fanden die Beamten einen mit Klebeband umwickelten Karton mit Drähten und einem kristallinen Pulver.
Die Beamten hielten den Stoff erst für Drogen und schnitten ein Loch in den Karton für einen Drogentest. Später stellte sich heraus: Fahrgäste und Polizisten hatten großes Glück. Das offenbar frisch hergestellte TATP – insgesamt 500 Gramm – war noch leicht feucht.
Kriminelle steigen auf TATP um
Wären die Kristalle vollends getrocknet gewesen, hätte allein die Erschütterung durch das Fallenlassen gereicht, um eine Explosion auszulösen. Noch am Abend jagten Experten der Polizei den Sprengstoff in einem Neuköllner Park in die Luft – und machten ihn damit unschädlich.
Das Landeskriminalamt (LKA) Berlin geht davon aus, dass es sich „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ um einen „vorbereiteten Sprengsatz“ für Geldautomaten handelte. Die Sprengstoffmenge hätte laut Ermittlern für deutlich mehr als einen einzigen Angriff auf einen der üblichen Geldautomaten in Banken und an Bahnhöfen ausgereicht. Der Einsatz von TATP für Sprengungen von Geldautomaten „in Deutschland scheint sich seit einigen Monaten zu potenzieren“, heißt es in einem internen LKA-Vermerk.
In Sicherheitskreisen und im Nahen Osten heißt er nur „Mutter des Satans“, ist bei Islamisten beliebt für Terroranschläge. Das sogenannte Selbstlaborat lässt sich einfach herstellen, ist aber höchst empfindlich. Kleine Erschütterungen und Stöße können zur Explosion führen. In einer internen Warnung des Berliner Landeskriminalamtes (LKA) heißt es: Bei dem „hochbrisanten und sensiblen Initialsprengstoff“ reichten bereits „sehr kleine Mengen im Grammbereich, um eine Explosion mit detonativer Umsetzung zu bewirken“. Komplett getrocknetes TATP könne bereits bei leichter Berührung explodieren.
Dank DNA-Spuren und Bildern konnten die Ermittler die beiden flüchtigen Männer schnell identifizieren. Beide sind als Geldautomatensprenger polizeibekannt. Nach beiden wurde wegen der Sprengung von Geldautomaten international gefahndet. Der Moldauer ist weiter auf der Flucht.
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