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Von Verständnis bis „Drecks-BVG“: Das sagen Berliner zum Streik und den Forderungen
Viele Berliner haben sich auf den Streik bei den Berliner Verkehrsbetrieben eingestellt, manche wurden komplett überrascht. Wir haben uns auf Bahnhöfen umgehört.
Stand:
An der Warschauer Straße waren die Türen des U-Bahnhofs – wie überall in der Stadt – am Montagmorgen geschlossen, an ihnen kleben Schilder mit der Aufschrift: „Die BVG wird bestreikt. Es fahren keine U-Bahnen, Straßenbahnen oder Busse“. Ein Mann steht gestresst vor den verschlossenen Türen. Er hat augenscheinlich nichts vom Streik mitbekommen.
Am S-Bahnhof hingegen scheinen sich viele Fahrgäste auf den Streik eingestellt zu haben. Viele Menschen, die sonst mit U-Bahn, Straßenbahn oder Bus fahren, steigen auf die S-Bahn um. In einigen Bahnen ist es sehr voll. Um noch hineinzupassen, quetschen sich einsteigende Menschen rein.
Natalia Gräff wartet auf die S7 Richtung Potsdam. Sie sei wegen des Streiks früher losgelaufen, um pünktlich zur Arbeit zu kommen, sagt die 28-Jährige. „Ich finde es gut und richtig, dass gestreikt wird, wenn die Leute sich nicht gerecht bezahlt fühlen. Das würde ich ja auch so machen“, sagt sie, kurz bevor sie in die S-Bahn steigt.
Nurullah Bektaş wusste nichts von dem Streik. Er sei nur für zwei Tage in Berlin und müsse jetzt zum Flughafen, sagt der 42-Jährige. „Mein Glück, dass die S-Bahnen fahren“, lacht er.
Andere sehen den Warnstreik bei der BVG weniger entspannt. An Gleis 2 gestikuliert ein Mann mit Mütze und Brille wild mit den Händen, sprintet kurz darauf die Treppen hoch und murmelt leise, aber laut genug „Drecks-BVG“.

© dpa/Sebastian Gollnow
Am Bahnhof Tiergarten bekommen die Fahrgäste die Störungen bei der S-Bahn zu spüren. Die Weiterfahrt der S5 verzögert sich wegen eines Notarzteinsatzes. Einige Minuten später heißt es in einer Durchsage, die Weiterfahrt verzögere sich wegen einer technischen Störung. Einige Menschen verlassen die S-Bahn, es wird geseufzt.
Kathrin bleibt sitzen. Über die Forderungen von Verdi wisse sie „ein bisschen“. „750 Euro klingt erstmal viel, ist aber wahrscheinlich notwendig“, sagt die 50-Jährige. Ob sie den Streik für gut befinde, wisse sie nicht genau. „Welche andere Möglichkeit gibt es denn?“, fragt sie.
Mein Glück, dass die S-Bahnen fahren.
Nurullah Bektaş, Fahrgast
Am Bahnhof Zoologischer Garten steht Hania Z. Die 20-Jährige ist hier gestrandet. Zweimal pro Woche pendelt sie aus einer polnischen Grenzstadt nach Berlin. Vom Streik am Montag wusste sie nichts. „Ich bin genervt, es ist Zeit- und Geldverlust für mich“, sagt sie. Es sei nicht das erste Mal, dass das passiert. Nun müsse sie zurück nach Hause fahren.
An der M10-Station am Hauptbahnhof warten Lisa und Leonie auf die Straßenbahn. Die beiden sind 13 Jahre alt und haben eigentlich seit drei Minuten Unterricht. Sie wussten zwar vom Warnstreik, aber die BVG-App habe ihnen angezeigt, dass die Straßenbahn fährt, sagen sie. Jetzt müssen die Jugendlichen mit der S-Bahn über Friedrichstraße fahren.
Ramila und Hava gehen auf die Ernst-Reuter-Schule. Auch sie erzählen: „Wir wussten nicht, dass sie Tram auch nicht fährt, jetzt kommen wir zu spät“. Auf die Frage, was sie jetzt tun, zuckt Hava mit den Schultern. „Dann müssen wir fünf Stationen laufen.“
Dann müssen wir fünf Stationen laufen.
Die Schülerinnen Ramila und Hava wollten eigentlich mit der Straßenbahn fahren
Stephanie Mayer kommt aus Hamburg und war „offensichtlich nicht vorbereitet“. „Jetzt muss ich ein Taxi nehmen“, sagt sie genervt.
Taxifahrer Mustafa hat am Montag viel zu tun. In seinem Großraumtaxi bimmelt das Telefon ohne Ende. „Hören Sie das?“, fragt er. „Auftragslage ohne Ende, aber überall ist Stau, es lohnt sich gar nicht.“

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So sehen Berlinerinnen und Berliner die Verdi-Forderungen
Für Ina, die am Bahnhof Warschauer Straße auf die S7 Richtung Ahrensfelde wartet, bedeutet der Warnstreik bei der BVG etwas mehr Fußweg als sonst, sagt die 62-Jährige. Ob sie den Streik für richtig hält? „Jein. Es gibt genug Berufszweige, die nicht streiken können, ob der Streik jetzt also der richtige Weg ist, weiß ich nicht“, sagt sie.
Dirk wartet am Bahnhof Zoo auf die S7 Richtung Potsdam. Mit den Forderungen von Verdi habe er sich noch nicht beschäftigt, obwohl er thematisch sehr interessiert sei. „250 Millionen Euro klingt natürlich erstmal viel“, sagt der 64-Jährige. „Aber man muss sich dann auch überlegen, um wie viele Beschäftigte es sich da handelt. Ich erinnere mich an den letzten Lokführerstreik, das waren ja beispielsweise ganz andere Dimensionen.“ Bevor er näher darauf eingehen kann, fährt seine S-Bahn ein und er verabschiedet sich.
Magdalena ist sich sicher: Verdi habe bei den Forderungen höher angesetzt, das sei eine Verhandlungstaktik. „Dass es teuer wird diese Runde war allen klar“, sagt die 40-Jährige. „Es gibt weniger Personal und wird noch weniger geben, das verändert die Bedingungen. Die Menschen müssen mehr arbeiten und länger.“ Es gebe keinen Weg zurück, finanziell werde es schmerzhaft. „Ich unterstütze ganz klar, dass die Bus- und Tramfahrer streiken, 750 Euro sind ja nur das Bruttogehalt, letztendlich bleibt davon vielleicht die Hälfte“, sagt sie.
Alex findet, eine faire Entlohnung sei gerade jetzt wegen des Personalmangels notwendig. „Auch in Bezug auf die Energiewende kann es zum Problem werden, wenn der ÖPNV nicht attraktiver gemacht wird“, warnt der 23-Jährige. Gleichzeitig glaubt er, die Forderungen von Verdi könnten zu hoch sein. „Berlin ist halt hochverschuldet, weil die Budgets gecuttet wurden.“ Er sei sich nicht sicher, ob das leistbar ist.

© Özben Önal
Judith Jäger hält die Forderungen von Verdi für absolut gerechtfertigt. 750 Euro seien nicht zu viel. „Die Menschen haben ihre Fixkosten wie Miete und Nebenkosten und ja auch Kinder“, sagt die 53-Jährige. Sie sei überrascht, dass es noch kein 13. Gehalt für Beschäftigte der BVG gibt.
Das sollte möglich sein. Wir können ja auch Gelder anderswo reinstecken, dann sollte für die arbeitenden Menschen diese Summe drin sein.
Ein Fahrgast über die Forderungen von Verdi
Ein 67-Jähriger, der am Bahnhof Friedrichstraße auf die S-Bahn wartet und anonym bleiben will, meint, es gebe auf jeden Fall berechtigte Forderungen. „Es ist schade, dass es bisher noch kein Gegenangebot gibt.“ Die Summe, die gefordert wird, findet er zu hoch. Er ist sich aber sicher, dass es eine Einigung geben wird.
Phillip, 26, hält die Forderungen für berechtigt. „Der Freund meines Kollegen arbeitet für die BVG. So viel verdienen die nicht“, sagt er. Auf die Frage, ob Berlin sich das leisten kann, antwortet er: „Das sollte möglich sein. Wir können ja auch Gelder anderswo reinstecken, dann sollte für die arbeitenden Menschen diese Summe drin sein.“
Ein 41-jähriger Fahrgast möchte seinen Namen auf Nachfrage lieber nicht nennen. Er ist Politiker. Er googelt zunächst einmal, um herauszufinden, ob die BVG tatsächlich über die Verdi organisiert ist und wie viele Menschen bei der BVG beschäftigt sind. Die geforderte Summe erscheint ihm zunächst zu viel. „Aber wenn man sich die Inflation von 30 Prozent und den Realverlust der letzten 15 Jahre anschaut, sind 25 Prozent mehr eigentlich nicht zu viel“, sagt er. Das rechnet er schnell noch im Kopf aus.
Hintergrund des Streiks sind die Tarifverhandlungen zwischen Verdi und der BVG. Die Gewerkschaft fordert für die rund 16.000 Beschäftigten unter anderem monatlich 750 Euro mehr. Weil das Unternehmen in der ersten Verhandlungsrunde kein Angebot vorgelegt hat, wirft Verdi der BVG Verzögerungstaktik vor. Die BVG hat zwar Nachholbedarf beim Entgelt anerkannt, die Forderungen aber als „nicht finanzierbar“ zurückgewiesen. Am Montag teilte die BVG mit, dass der „Warnstreik angesichts der konstruktiven Auftaktrunde und dem angekündigten Angebot für die Verhandlungsrunde am 31. Januar unverhältnismäßig“ sei.
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